Die kurze Geschichte des Heidenheimer Waldheims
Aus dem "Heidenheimer Tagblatt vom 22. August 1913: "Am vergangenen Sonntag fand unter reger Anteilnahme der Heidenheimer und Schnaitheimer Arbeiterschaft die Eröffnung des Waldheims mit gleichzeitiger Abhaltung des Sommerfestes der organisierten Arbeiterschaft Heidenheims statt. Der Festzug bewegte sich von der Hauptstraße nach dem schön idyllisch gelegenen Waldheim oberhalb des großen Katzentals bei den Heeräckern. Der bisher so einsame, ab und zu von Wanderern besuchte Platz hatte bald seine Einsamkeit abgelegt und diente den fröhlichen Spielen und der Erholung."
Ein Waldheim in Heidenheim? Bis 1924, als das Naturtheater errichtet wurde, gab es auf dem Schlossberg fast nur Wald und, von alters her darin ausgespart, den "Heeracker": zum Westen hin Wiese, zum Osten hin 14 verpachtete Gemeindeäcker. Inzwischen ist dort oben von Idylle und Einsamkeit nichts mehr zu spüren. Heute steht dort die Voith-Arena. Damals aber lebte man noch in einer anderen, leiseren, langsameren Welt, in der zum Beispiel für Kraftfahrzeuge mit mehr als 5,5 Tonnen Gesamtgewicht eine Höchstgeschwindigkeit von zwölf km/h galt, außerhalb geschlossener Ortsteile "im Interesse der Sicherheit des Verkehrs wie der Straßenunterhaltung" von 16 km/h – "wenn wenigstens die Triebräder mit Gummi bereift" waren, wie es im August 1913 ebenfalls im "Tagblatt" hieß.
Heidenheimer Waldheim: Eine Holzhütte und alkoholfreie Getränke an Sonn- und Feiertagen
Die eingangs zitierte Einweihung des Waldheims fand, in keiner Chronik vermerkt, am 17. August 1913 statt. Am 3. Juni hatten die "Vereinigten Gewerkschaften Heidenheim" den Gemeinderat handschriftlich darum ersucht, ihnen auf dem Heeracker eine Fläche von 100 Metern Breite und 70 Metern Länge pachtweise zu überlassen. Am 29. Juli folgte der Wunsch, dort eine "12 m lange u. 6 m breite Schutzhütte" erbauen zu dürfen; "Abort mit Pissoir für Männer u. Frauen" würden "den Vorschriften gemäß im Wald erstellt".
An Sonn- und Feiertagen sollten alkoholfreie Getränke ausgeschenkt werden dürfen, das freie Gelände sollte der Jugend als Spielplatz dienen. Die Genehmigungen (zu einem geringen jährlichen Pachtgeld von zehn Reichsmark) erfolgten auf dem Fuße, zum Bau der Holzhütte bereits am 4. August. Wenig später stand sie, und ab diesem Zeitpunkt fanden die traditionellen Sommerfeste der Gewerkschaft nicht wie vorher auf der Wiese oberhalb des Kleinen Katzentales statt, sondern dort oben bei den Heeräckern.
Das "Tagblatt" ging in seinem Bericht noch kurz auf die Festrede des Genossen Sebastian Geiger ein, der dem Wunsch Ausdruck gab, das Waldheim möge der Arbeiterschaft als Sammelpunkt dienen, auch rühmend des wenige Tage zuvor verstorbenen Genossen Bebel und seiner Verdienste um das Proletariat gedachte. Weiter hieß es: "Der unterhaltende Teil war ein sehr reichhaltiger. Schülerabteilungen des Heidenheimer Arbeiter-Turnvereins brachten exakt ausgeführte Stabübungen zur Schau, während der Arbeiterturnverein Schnaitheim schneidige Fahnenübungen zeigte. Der Gesangsverein 'Vorwärts' ließ auch seine freiheitlichen Chöre erschallen und eine Abteilung der Stadtmusik füllte die Lücken reichlich aus. Der Jugend spendete Fortuna bei mannigfachen Spielen ihre Gaben, die Alten vergnügten sich mit Speerlauf und Preisschießen, so daß überall die froheste Stimmung herrschte. Für gute Bewirtung war bestens gesorgt."
Heeräcker in Heidenheim: Das Waldheim als Kindererholungsstätte während der Schulferien
Nach dem Ersten Weltkrieg, im April 1924, beantragte der Ortsausschuss des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB, so der Name seit 1919), das Pachtverhältnis auf 20 Jahre festzuschreiben. Das in den Sommermonaten im Betrieb stehende Waldheim erfreue sich eines recht guten Besuches, zumal nicht nur die Arbeiterschaft, sondern auch "weite Kreise des Mittelstandes" ständige Gäste geworden seien. Bereits 1923 habe das Waldheim während der Schulferien als Kindererholungsstätte gedient, und zwar nach ärztlichem Befund mit recht befriedigendem Erfolg, sodass nun geplant sei, auch dieses Jahr einer größeren Zahl von schwächlichen Kindern eine Unterkunft und Pflegestätte zu bieten. Zudem könnte auch erwachsenen erholungsbedürftigen Krankenkassenmitgliedern an Wochentagen ein Aufenthalt gewährt werden. Um finanzielle Planungssicherheit beim beabsichtigten Ausbau des Waldheims zu haben, sei jedoch ein längerer fester Pachtzeitraum notwendig.
Der Gemeinderat genehmigte aber nur zehn Jahre, da das Gelände eventuell für einen neuen Friedhof gebraucht werde, weil der auf dem Totenberg auf absehbare Zeit voll belegt sei. Im August wurde aber die Errichtung einer 12 Meter langen und 5 Meter breiten "Liegehalle" beim Waldheim gestattet.
Vier Jahre später, Sommer 1928, ein neuer Antrag: Es sollte nicht nur "für die vielen Kinder, die sonntäglich mit ihren Eltern und Angehörigen" ins Waldheim kämen, ein Spielplatz hergerichtet, sondern "zu gegebener Zeit" auch ein solider Hausbau erstellt werden, da man bei der "erfreulich guten Entwicklung des Waldheims auf die Dauer mit den derzeitigen Einrichtungen nicht mehr auskommen" könne. Zu diesem Zweck wurde die Stadtverwaltung gebeten, dem Allgmeinen Deutschen Gewerkschaftsbund auch die vor dem Waldheim liegenden sieben Äcker nach dem Abernten zu überlassen. Den Aussagen der bisherigen Pächter zufolge seien sie sowieso wenig ertragfähig, und leider bringe der jetzige Zustand auch Zerwürfnisse mit sich, da es sich "trotz bester Aufsicht" nicht absolut vermeiden lasse, dass Kinder in die Felder liefen und Flurschaden anrichteten. Der Gemeinderat erklärte sich einverstanden. Den betroffenen Pächtern sollten auf Wunsch andere Gemeindeäcker zugewiesen werden.
Wie 20 Arbeitslose eine Wasserleitung zum Heidenheimer Waldheim bauen sollten
Da der "Turnerbund", Mitglied des Deutschen Arbeiterturn- und Sportbundes, seit 1926 auf der anderen Seite des Heerackers einen Sportplatz unterhielt, den er im Herbst desselben Jahres auch auf die nördlichen sieben Gemeindeäcker hatte ausdehnen dürfen, befand sich nunmehr der gesamte Heeracker, wenn man so will, aufgrund gemeinsamer ideeller und personeller Verflechtungen von Gewerkschaft, Turnerbund und SPD in der Hand der Arbeiterbewegung.
Weitere vier Jahre danach, im August 1932, beantragte man neuerdings eine Pachtverlängerung um 20 Jahre, weil man gemeinsam mit dem Turnerbund im Wege des freiwilligen Arbeitsdienstes eine Wasserleitung zum Heeracker herstellen lassen wolle. Circa 20 Arbeitslosen – es war die Zeit der großen Wirtschaftskrise – werde so für eineinhalb Monate eine Beschäftigung geboten. Die Stadt äußerte angesichts der hohen Kosten von 5250 Reichsmark Verständnis, hielt den Zeitraum jedoch wiederum für zu weitgehend und verlängerte die 1934 ablaufende Pacht wieder nur um zehn Jahre, das heißt bis Juni 1944.
Es spielte dann aber keine Rolle mehr. Wie am 11. November 1918 wurde am 8. März 1933 unter großem Beifall eine rote Fahne auf dem Rathausbalkon aufgepflanzt, diesmal aber mit einem Hakenkreuz in der Mitte. Die Gewerkschaften wurden zerschlagen. Der "Waldheim-Verein e. V." (seit 1930) löste sich auf, sein Besitz wurde eingezogen. Anders als im Fall des Turnerheims, das von den Nazis alsbald demoliert und später abgerissen wurde, blieben die Baulichkeiten des Waldheims stehen, auch, als auf dem Heeracker 1934 die SA-(1936 NSV-Gau-/1938 Polizei-)Schule Einzug hielt, benützt als Waschküche/Handwerkerbaracke und Lagerschuppen.