Interview

Matthias Heisler vom Fachbereich Familie in Heidenheim: „Probleme in Kindergärten sind kein Geheimnis“

Viele Erzieherinnen und Erzieher in Kindergärten im Landkreis Heidenheim haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die es früher in dieser Form nicht gab. Welche das sind und wie von Seiten der Stadt Heidenheim versucht wird, zu helfen.

In vielen Kindergärten im Landkreis Heidenheim haben sich die Probleme über die Jahre hinweg verändert und verstärkt. Viele Faktoren führen dazu, dass die Beschäftigten häufig überfordert sind, die Arbeit immer schwieriger wird. Im Interview spricht Matthias Heisler, im Heidenheimer Rathaus Leiter des Fachbereichs Familie, Bildung und Sport, über die Situationen, mit denen man auch in den städtischen Kindergärten in Heidenheim zu kämpfen hat.

Herr Heisler, wie ist die Situation der Beschäftigten in den Betreuungseinrichtungen in Heidenheim?

Die Stadt Heidenheim ist Träger von neun Kinderbetreuungs-Einrichtungen. Insgesamt gibt es hier 37. Wir sind zwar nur für ein Viertel der Einrichtungen verantwortlich, aber betreuen aufgrund der Größe ein gutes Drittel der Kinder. Ich kann nur für diejenigen sprechen, die in Trägerschaft der Stadt sind.

Und wie sieht es in den städtischen Einrichtungen aus?

Dass es Probleme gibt, ist kein Geheimnis. Das erzählen wir auch dem Gemeinderat in aller Deutlichkeit.

Welches sind denn die größten Probleme?

Eines davon ist der Personalmangel. Viele Beschäftigte gehen nicht aus der Vollzeit in den Ruhestand, sondern reduzieren vorher ihre Arbeitszeit. Weil der Beruf körperlich und psychisch schon sehr anstrengend ist. Wir haben aber auch seit 2013 aufgrund des Stellenschlüssels die doppelte Anzahl an Erzieherinnen und Erziehern. Grund für die Personalverdoppelung war insbesondere der Ausbau an Betreuungsplätzen und der Rechtsanspruch für unter Dreijährige. Und wir bauen die Anzahl der Plätze immer weiter aus. Wir brauchen immer mehr Personal, haben das aber nur in Teilen. Das macht es vor Ort für die Erziehenden auch nicht leichter.

Was kann man dagegen tun?

Wir bilden sehr viel Nachwuchs aus, sind dabei an der Kapazitätsgrenze. Wir stellen derzeit auch über Bedarf ein und hoffen, im September alle Stellen besetzt zu haben. Wir versuchen außerdem, die Arbeitsbedingungen so gut wie möglich zu gestalten und unsere Erziehenden bestmöglich zu unterstützen. Wir greifen nach jedem Strohhalm und halten die Personalsituation einigermaßen in der Waage.

Reicht das aus?

Wenn in einer Einrichtung mal der Wurm drin ist und zwei fehlen, dann taucht meist noch ein weiteres Problem auf, in der Folge müssen die anderen mehr leisten, auch über das Normale hinaus. Das wiederum führt dazu, dass es weitere Ausfälle gibt, weil die Leute krank werden.

Das bedeutet, dass die Erzieherinnen oft unter einem großen Druck stehen?

Absolut.

Woher kommt das?

Mehr Kinder, mehr Ansprüche der Eltern, mehr schwierige Kinder. Für Kinder, die einen Förderbedarf haben, gibt es Eingliederungshilfen über den Landkreis. Allein für die Kindergärten in Heidenheim gibt es eine Warteliste mit rund 40 Kindern, die zusätzliche Betreuung benötigen würden. Aber man findet niemanden, der es macht. Solche Kinder haben zwar einen Anspruch auf Betreuung, doch das Personal in der regulären Kindergartengruppe kann das nicht leisten.

Wie wirkt sich so etwas im Alltag aus?

Man versucht, es irgendwie doch hinzukriegen, hofft auf eine Integrationskraft. Das geht aber nur bei leichteren Fällen. Bei schlimmeren Fällen müssen wir unsere Erziehenden und die anderen Kinder schützen. Dann ist der Anspruch auf den Platz so lange verwirkt, bis eine Integrationskraft gefunden ist. Das ist natürlich schlecht für das Kind und die Familie, aber für uns ist das ein Abwägungsprozess.

Wie muss man sich das vorstellen? Kinder, die prügeln, kratzen, beißen, schreien und mit Gegenständen werfen?

Ja, genauso. Wenn so ein Kind in einer Gruppe ist, kann man mit den anderen nicht mehr arbeiten. Dabei muss man bedenken: Kein Kind rastet ohne Grund aus, es ist immer Überforderung, ein Hilfeschrei. Deshalb braucht es einen erhöhten Betreuungsbedarf. Die Zahl dieser Kinder hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Und sie kommen aus allen sozialen Milieus.

Wie reagieren die Eltern, wenn man sie auf die Verhaltensauffälligkeiten der Kinder hinweist?

Ganz unterschiedlich. Von voll verständig bis zum totalen Unverständnis. Manche wollen es einfach nicht wahrhaben und verweigern auch Hilfen. Aber die meisten lassen sich überzeugen, das ist auch herkunftsabhängig.

Welche Rolle spielen im Kindergartenalltag Migrantenkinder und die Tatsache, dass viele kein Deutsch sprechen? Kann in solchen Gruppen überhaupt noch Bildungsarbeit geleistet werden?

Ein klares Jein. Sprache ist ein großes Thema, genauso wie der kulturelle Hintergrund. Wir versuchen, so gut wie möglich Sprachförderung zu betreiben. Wir haben Kindergärten, da wird in 90 Prozent der Familien zu Hause kein Deutsch gesprochen. Aber auch das ordentliche Erlernen der Muttersprache ist nicht immer gegeben. Dennoch kann man in diesen Gruppen arbeiten, weil Kinder Kinder sind und trotzdem erreicht werden können. Sprachbarrieren erschweren natürlich auch die Elternarbeit. Ich staune immer wieder, wie unser Personal das alles hinkriegt, aber auch die Erzieherinnen und Erzieher stoßen irgendwann an ihre Grenzen.

Wie können diese dabei unterstützt werden?

Wir versuchen, uns die Probleme sehr genau anzuhören und die Mitarbeitenden zu beraten. Wir schulen die Leitungen und die Erzieherinnen und Erzieher. Wir haben sehr gute Leitungen vor Ort und können uns auf diese verlassen.

Gibt es auch Bedrohungen und Gewalt von Seiten der Eltern gegenüber dem Personal?

Verbal sehr wohl. Es sind aber gemessen an den 2000 Kindern, die wir betreuen, Einzelfälle. Aber jeder einzelne Fall ist einer zu viel.

Schwierigkeiten auch bei kirchlichen Trägern

Der Evangelische Kirchenbezirk Heidenheim ist Träger von 26 Kindertagesstätten und zwei Familienzentren. Daraus, dass es auch in Betreuungseinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft Schwierigkeiten gibt, macht man hier kein Hehl. Man tue vieles dafür, Personalmangel so gut wie möglich zu umgehen, doch lasse sich dieser nicht immer vermeiden. „Insbesondere dann, wenn in einer Kita zur generell schwierigen Arbeitsmarktlage noch ein höherer Krankenstand hinzukommt oder eine steigende Zahl an Kindern mit herausforderndem Verhalten besonders intensiv die Aufmerksamkeit des Personals benötigt“, so die zuständige Geschäftsführerin des Fachbereichs Kindergärten, Sandra Hofmann. Dies führe in einzelnen Fälle auch dazu, dass die Betreuungszeiten reduziert werden müssen. Der damit einhergehende Stress für die Eltern äußere sich auch vereinzelt in respektlosem Verhalten gegenüber dem pädagogischen Personal. Meistens gelinge es jedoch, in Gesprächen gute Wege miteinander zu finden, „da das Wohl des Kindes immer im Vordergrund für alle steht“, so Hofmann.

Bei der Elternarbeit sei in den vergangenen Jahren ein steigender Unterstützungsbedarf in Sachen Erziehungspflicht festzustellen. „Wir versuchen, diesem Bedarf gerecht zu werden, zum Beispiel, indem unser Kita-Personal mindestens einmal pro Jahr ein ausführliches Entwicklungsgespräch mit jeder Familie führt“, erklärt Hofmann. Außerdem versuche man als Träger, den Eltern auch in anderer Form Hilfestellungen zu geben, „diese Angebote sollten dann natürlich auch wahrgenommen werden“.

Auch in den Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft kennt man die Kinder mit herausforderndem Verhalten. „Solche Kinder benötigen eine besonders intensive Erziehungspartnerschaft“, so Hofmann. Die notwendige pädagogische Unterstützung werde leider nur manchmal genehmigt, „dies kann den Alltag in den betroffenen Gruppen deutlich belasten“. Die Teams erarbeiteten in solchen Fällen verschiedene Lösungen zum Umgang mit der Situation. Außerdem versuche man, mit den Eltern Hilfsmaßnahmen zu besprechen, „die unserer Erfahrung nach nicht immer, aber zum großen Teil von den Eltern unterstützt werden“, so Hofmann. Die Beschäftigten und Leitungen in den Kitas versuche man, so gut wie möglich vor Ort zu unterstützen und Gespräche zu führen.

Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar