Todsünden und Vaterunser

Volles Haus beim Nachhaltigkeitsoratorium in der Heidenheimer Waldorfschule

Im Festsaal der Waldorfschule wurde vor 400 Zuhörern das Nachhaltigkeitsoratorium „Eine Welt“ aufgeführt. Der Erlös ging an den Verein „Heidenheim für Ukraine“.

Volles Haus beim Nachhaltigkeitsoratorium in der Heidenheimer Waldorfschule

Was am Samstagabend in der Waldorfschule geboten wurde, erleben auch versierte Konzertbesucher nicht alle Tage. Das „Nachhaltigkeitsoratorium“ des Kirchenmusikers Thomas Gabriel, 2019 im Auftrag der Dreifaltigkeitskirche komponiert, ist eine beeindruckende Bestandsaufnahme dessen, was in der Welt schiefläuft, und zugleich eine flammende Anklage durch die junge Generation. Der Erlös des Abends ging an den Verein „Heidenheim für Ukraine“. Die Vorsitzende Jasmin Glänzel-Seibold begrüßte die zahlreichen Mitwirkenden, den Komponisten, den Leiter des Oratoriums Norbert Rohlik und den Gesamtorganisator Wolfgang Heinecker sowie die Schirmherren Barbara und Bernhard Ilg. Sie erklärte überzeugend und warmherzig, dass die Ukraine-Hilfe mit jedem Cent ankomme: Hier vor Ort werden ukrainische Flüchtlinge unterstützt, und es gehen regelmäßig große Lieferungen mit Hilfsgütern in das vom Krieg zerstörte Land.

Auch visuell und mit gesprochenen Worten

Auch das Ehepaar Ilg dankte den Veranstaltern für ihren unermüdlichen ehrenamtlichen Einsatz. Der Komponist gab noch eine kurze Einführung, und dann begann das „Nachhaltigkeitsoratorium“. Dieses Werk geht weit über den klassischen Aufbau eines Oratoriums hinaus. Gabriel bezog nicht nur klanglich mit dem kleinen, aber exzellenten Orchester, den drei Chören und den Solisten, sondern auch visuell und mit gesprochenen Worten den ganzen Raum, das ganze Publikum mit ein.

Gabriels Idee, ausgehend von der berühmten Rede der damals 15-jährigen Greta Thunberg beim Weltklimagipfel 2018, war, das Elend dieser Welt als Folge der sieben Todsünden anzuprangern, die nichts sehen wollenden Erwachsenen, die von wütenden und klar argumentierenden Jugendlichen angeklagt werden. Es war allein schon ein klangliches Erlebnis, diese jungen Stimmen des großartigen Kinder- und Jugendchors aus Hainstadt, der Hirscheckschule und dem Max-Planck-Gymnasium zu hören. Das schuf eine Intensität, die die dramatische Aussage des Oratoriums noch einmal steigerte.

Steigerung ins Unheilvolle

Im Prolog „Oh, du mein Volk“ zeigte sich schon, wohin das Werk musikalisch führen würde: Man hörte zunächst eine fast vor sich plätschernde Bestandsaufnahme, alles war scheinbar gut, was sich dann aber doch steigerte ins Unheilvolle, teils Dissonante, und andeutete: Es stimmt vieles ganz und gar nicht. Über den Musizierenden war eine Leinwand, auf der im Verlauf die unterschiedlichsten Bilder gezeigt wurden: thematisch passend, zum Beispiel eine „friedliche“ Naturszene, die aber allesamt ins Bedrohliche verfremdet wurden durch einen „Bildfehler“, der die heile Welt infrage stellte. „Ein himmlisches Geschenk“ habe doch Gott den Menschen gegeben und hier zeigten schon die Solisten, fantastisch die Altistin Andrea Wahl und der junge Tenor Jonas Esslinger, der beeindruckende Chor der Dreifaltigkeitskirche, der Kinder- und Jugendchor sowie der als dritte Partei imponierende Chor „Forte Ukrainzi“, was im Verlauf des Oratoriums noch gesteigert wurde: der Gegensatz zwischen „einfach weiter so“ und den jugendlichen Anklagen. Sensationell. Jede Todsünde wurde einzeln benannt – Hochmut, Neid, Zorn, Unmäßigkeit, Habgier, Wollust und Faulheit – durch die im dunklen Saal gesprochenen selbstzufriedenen Worte der Erwachsenen, die dann musikalisch durch Solisten und die Erwachsenenchöre gerechtfertigt wurden – bis die Kinder ihnen den Spiegel vorhielten und nach jeder Todsünde mit einer umwerfend gemeinsam gesungenen Zeile aus dem Vaterunser abschlossen. Das war ein Gesamteindruck, ein Erlebnis, das die Zuhörer sichtlich mitriss, und am Ende des Oratoriums dauerte es, bis sich der Applaus durch diese Ergriffenheit hindurch Bahn brechen konnte. Dann aber zeigte der Saal seine Begeisterung. Der Chor der Dreifaltigkeitskirche, der schon mehrere Werke des Komponisten gesungen hat, ernannte Gabriel zum Ehrenmitglied und verriet: „Wir wollen mit Ihnen weitermachen!“ Der Musiker: „Ich bin dabei!“ Dieser Abend, der bei einem Stehempfang mit angeregten Gesprächen ausklang, wird lange nachhallen – musikalisch wie inhaltlich.

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