Heidenheims Gefängnis? Seit zehn Jahren Geschichte. Der Knast mitten in der Stadt wurde 2014 abgerissen. Dort, wo die Vollzugsanstalt einmal stand, steht jetzt die Stadtbibliothek. Das wussten Sie bereits? Nun, das hatten wir uns schon gedacht. Aber wussten Sie auch, dass heute vor 22 Jahren, es war ebenfalls ein Dienstag, letztmals einem Gefangenen die Flucht aus dem damals seit 35 Jahren wie selbstverständlich zum Stadtbild gehörenden Gefängnis gelang? Sehen Sie.
Bei dem erfolgreichen Flüchtling handelte es sich übrigens nicht um einen gewissen Florestan. Der war schon im Jahr 1986 erstmals nach Heidenheims gekommen. Im Rahmen der Opernfestspiele, wie es sich gehört. Im Sommer 2011 tauchte der Held, der am Ende von Beethovens Oper „Fidelio“ tatsächlich aus dem Gefängnis freikommt, in dem er völlig zu Unrecht gesessen hatte, noch einmal in Heidenheim auf.
Jahrestag der offenen Tür
Damals stand hier auch noch das Gefängnis, weshalb im Kulturteil der HZ eins und eins zusammengezählt wurde. Am Ende der Rechnung stand eine Geschichte mit den besten Heidenheimer Ausbruchsgeschichten. Zu denen diejenige aus dem Jahr 2002 eigentlich gar nicht gehört. Seinerzeit hatte ein Häftling, der sich zuvor heimlich in den Hof der Vollzugsanstalt geschlichen hatte, die Chance des offenen Gefängnistores zur Flucht genutzt, als gerade per Lkw Arbeitsmaterial für die Insassen angeliefert wurde.
Es war dies, wie erwähnt, der letzte Ausbruch aus dem Heidenheimer Kittchen; und der erste seit über zehn Jahren ohne jede Durchlässigkeit, einer Periode der Sicherheit, die nicht zuletzt auf die 1992 durch Pionierdraht verstärkte Sperre auf der Mauerkrone des Gebäudes zurückgeführt wurde. Und wohl nicht umsonst war der letzte Heidenheimer Ausbrecher seiner Art deshalb ebenerdig durch die Tür verschwunden.
Comics und Realität
Nicht, dass wir hier behaupten wollten, dass Gefängnisausbrüche grundsätzlich lustig wären. Das sind sie vielleicht in den Abenteuern des Comic-Cowboys Lucky Luke. Von dort her sind die Brüder Dalton wohlbekannt. Joe, William, Jack und Averell Dalton, tollpatschige Gangster, die – oft lustigerweise sogar jeder durch sein ganz persönliches, mit der Spitzhacke in die Mauer gehauenes Fluchtloch – in aller Regel zu Beginn einer Geschichte aus dem Gefängnis ausbrechen, um am Ende dort von Lucky Luke wieder abgegeben zu werden.
Hauptmerkmal der Gefängnisse in den Comics des Zeichners Maurice de Bévère alias Morris und des Texters René Goscinny, einem der beiden geistigen Väter von Asterix, ist deren enorme Durchlässigkeit und die geradezu liebenswerte Inkompetenz der dort beschäftigten Wärter und Direktoren. Davon konnte in Heidenheim selbstverständlich nie die Rede sein. Dennoch aber waren hier, insbesondere in den 1970er Jahren, spektakuläre Ausbrüche, wenn schon nicht an der Tagesordnung, so doch auch alles andere als ausgeschlossen.
Der Eimer-Trick
Beispielsweise gelangten im November 1972 zwei Häftlinge, die es aus einem nicht vergitterten Fenster der Küche zunächst in den Gefängnishof geschafft hatten, von dort aus mit Hilfe einer auf einen Eimer gestellten Leiter über die Mauer.
Besonders toll trieben es die Ausbrecher von Juni 1978 bis April 1979. Und das, nachdem doch erst im Winter 1977, also kurz nach dem Ende des sogenannten Deutschen Herbstes, sowohl das politische als auch das bürgerliche Heidenheim durch die im Stuttgarter Justizministerium diskutierte Möglichkeit, Häftlinge aus der Terroristenszene an die Brenz zu verbringen, in Angst und Schrecken versetzt worden waren.
Deutscher Herbst
Das hatte sogar dazu geführt, dass sich der seinerzeitige Oberbürgermeister Martin Hornung im Januar 1978 in einem Protestschreiben ans Ministerium unter anderem zu folgender Bemerkung veranlasst gesehen hatte: „Obwohl die Heidenheimer Anstalt nach Angabe des Justizministeriums zu den sichersten und modernsten ihrer Art gehört, haben sich Ausbrüche bisher nicht immer verhindern lassen.“ Das grenzte schon beinahe an Selbstbezichtigung.
Und gerade so, als ob dies noch weiterer Beweise bedurft hätte, ging's auch schon los. Zunächst an einem frühen Freitagmorgen Anfang Juni 1978, als sich drei Gefangene auf eine Art und Weise aus dem Staub machten, die, wäre sie nicht verbürgt, tatsächlich auch einem Comic entsprungen sein könnte. Jedenfalls entkam das Trio, indem man zunächst die Gitterstäbe der gemeinsam bewohnten Zelle durchsägte, sich sodann an zusammengeknoteten Bettlaken auf die Gefängnismauer herab hangelte, noch einen Stacheldraht übersprang und – verschwand.
Sägen und Korkenzieher
Immerhin schon fast draußen war dann Mitte August 1978 ein 22-jähriger Italiener, der mit Hilfe seines Zellengenossen und eines Bettgestells die Metallschienen des Zellenfensters so weit auseinandergebogen hatte, dass er hinausschlüpfen konnte, wo er dann aber abstürzte und im Stacheldraht landete. „Hätte er sich fachmännisch mit einem Bettlaken abgeseilt, wäre die Flucht wahrscheinlich geglückt“, mutmaßte tags darauf die Heidenheimer Zeitung.
Erfolgreicher, aber auch brutaler ging dann Anfang Oktober die nächste Aktion über die Bühne, bei der gleich fünf Häftlingen die Flucht gelang. Zwei von ihnen war es beim Gang aus dem Fernsehzimmer zur Zelle gelungen, zwei Beamte mittels eines aus einem Korkenzieher und einer Rasierklinge selbst gebastelten Messers zu überwältigen und mit einem vorbereiteten Seil zu fesseln. Anschließend hatten sie sich mit den Schlüsseln eines Beamten aus der Kleiderkammer ihre Privatkleidung geholt und waren auf aus dem Werkraum beschafften Tischen, die sie im Hof aufeinander stellten, über die Mauer geklettert.
Einer kam durch
Und schließlich noch erwähnenswert aus dieser besonders heiklen Fluchtperiode in der Geschichte des Heidenheimer Gefängnisses: der Kistentrick aus dem April 1979. Da verließ ein 25-jähriger Gefangener den Knast tatsächlich in einer Kiste, die Mithäftlinge auf einen Lkw geladen hatten, mit dem im Gefängnis gefertigte Waren abgeholt wurden.
Immerhin: Wenn der Autor beim Schmökern im Archiv nicht doch etwas übersehen hat, dann wurden, bis auf einen, all die hier geschilderten Flüchtlinge nach zumeist relativ kurzer Zeit wieder geschnappt.
So wie schlussendlich auch immer die Daltons aus dem Comic, die der Held Lucky Luke mitunter auch trotz der ebenso aufdringlichen wie kontraproduktiven Hilfe des Gefängnishundes Rantanplan einfängt. Aber weil Luke kein Unmensch ist, bekommt Rantanplan trotzdem seine regelmäßigen Streicheleinheiten.
Happy End für „Dingo“?
Ganz im Gegensatz zum realen Gefängnishund Dingo, der 1967, als die damals nagelneue Heidenheimer Vollzugsanstalt auch die Insassen des in Auflösung begriffenen Aalener Amtsgerichtsgefängnisses aufnahm, nicht vom Kocher mit an die Brenz übersiedeln durfte. „Weil man für ihn in Heidenheim keine Verwendung findet, soll er erschossen werden“, schrieb die Heidenheimer Zeitung am 3. Februar 1967 allen Ernstes. Ob es wirklich zum Äußersten gekommen ist, war nicht mehr zu eruieren.
Siebenundvierzig plus sieben
47 Jahre, von 1967 bis 2014, stand in Heidenheim, wo heute die Stadtbibliothek steht, das Gefängnis. Die Bibliothek hat immerhin auch schon sieben Jahre geöffnet. Drei Tage dauerten die Einweihungsfeierlichkeiten am 10., 11. und 12. November 2017.