Drei Stationen, 30 Kilometer und drei völlig verschiedene Baustile und Haustypen in unter drei Stunden. Das Programm der Architektenrundfahrt 2024 war sportlich. Doch, wer das Tempo mithielt, wurde belohnt, mit drei Besichtigungen von Häusern, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Mehr als 80 Interessierte waren dabei, um an der Rundfahrt teilzunehmen, die unter dem Motto "Einfach (Um)Bauen" stand und den Fokus auf Bestandsbauten oder bereits bebaute Räume legte, die durch An-, Neu- oder Umbauten erweitert wurden. Den Auftakt machte M64, das Wohn- und Geschäftshaus an der Giengener Marktstraße 64. Ein Neubau. Danach ging es zwei Jahrhunderte rückwärts in den Alten Stüber in Küpfendorf, wo ein früherer Stall in einen historisch-minimalistischen Wohnraum umgewandelt worden war. Den Schlusspunkt machten zwei Tiny Houses auf dem Dach einer Garage am Heidenheimer Zeppelinweg. Vollverspiegelt, geometrisch und raumökonomisch.
Marktstraße 64 in Giengen: Das neue Tor zur Stadt
M64 will gesehen werden. Oder wie es Architekt Stefan Linder formulierte: „Das Gebäude soll sagen ‚Ich bin neu‘“. Oder wie es Bauherr Andreas Adldinger sagte: „Hier sollte ausdrücklich kein Zeilengebäude entstehen, sondern der Auftakt der Fußgängerzone“. Und diese zeichnet sich im Bestand bekanntlich durch aufgereihte Spitzgiebel aus. Um die richtige Form also für den Einstieg in diese Reihe, genau diesen Auftakt zu finden, hatte Adldinger einen Architektenwettbewerb ausgerufen. Gewonnen hatte diesen das Büro Maier und Linder aus Gerstetten. Das Ergebnis ist nun besagte M64, die ihren Betrachter von oben gesehen her mit einem Knick im steilen Satteldach begrüßt und von unten her die Türen öffnen soll, für ein mehr als 100 Quadratmeter großes Metzgereigeschäft. Dazwischen liegen insgesamt neun Wohnungen mit ein bis vier Zimmern und mit Wohnflächen von 49 bis 114 Quadratmetern. Einige der Wohnungen sind bereits bezogen.
Bei der Architektenrundfahrt durften die Teilnehmer in eine der Wohnungen mit 49 Quadratmetern im ersten Stock hineinschauen. Gedacht sind diese entweder als Apartment oder als Büro. Auffällig sofort: Die Eichenholzfenster, in deren Nischen man sich zwar gemütlich hineinsetzen kann, bei denen sich – zumindest im besichtigten Raum aber – nicht die Fensterflächen öffnen lassen, sondern nur die gänzlich aus Holz bestehenden Luken oder Läden daneben. Eine Tatsache, die so manchem Besucher an dem Tag, wohlwollend formuliert, eine gewisse Skepsis entlockte, ebenso wie die fehlende Rechtwinkligkeit der meisten Raumecken. Die Frage, wo man hier am besten einen Kleiderschrank hinstellen sollte, blieb an diesem Tag offen. Davon abgesehen dürfte mit dem Rest der Ausstattung der Geschmack der Vielen getroffen sein: ein helles Parkett als Bodenbelag und graues Feinsteinzeug im Bad.
Im Hausinneren, also im Treppenhaus und auf den Fluren, kommt M64 ebenfalls recht unaufdringlich daher. Man könnte meinen, hier nimmt man sich zurück, damit das Außen besonders wirken kann. Gemeint sei hier im Besonderen der Besenstrich-Putz im warmen Erdton mit hellen Akzenten, der bei den Architekturrundreisenden gut ankam. Besenstrich übrigens deswegen, weil die Querrillen in der Oberfläche tatsächlich bis heute mit einem Werkzeug ausgeführt werden, das an einen Besen erinnert. Die Technik, die tendenziell an älteren, eher biederen Häusern zu finden ist, feiert gerade ein modernes Comeback.
Noch kein Come-In indes ist im Geschäft im Erdgeschoss möglich, denn hier fehlt noch der vorgesehene Metzger. Die Suche laufe weiter, betonte Bauherr und Investor Adldinger vor den Mitreisenden der Architektenrundfahrt. Man sei weiter im Austausch mit potenziellen Kandidaten. Aber man wolle eben keinen Filialisten und „damit wir den Richtigen finden, nehmen wir uns Zeit.“
Alter Stüber in Küpfendorf: ein Haus als Bild
Grau, weiß und die warmen Töne von Eichenholz und Sandstein – mehr Farbe gibt es nicht im Alten Stüber in Küpfendorf. Oder anders gesagt: Es gibt sie noch nicht. Denn Bauherrin Kim Busch ist überzeugt: „Alle anderen Farben bringt der Mensch rein.“
Bevor der Mensch etwas hereinbringen konnte, musste eben dieser Mensch allerdings erst einmal sehr viel herausbringen. Im Speziellen all das, was die Generationen zuvor in dem ehemaligen Stall mit böhmischen Kappengewölbe aus dem 19. Jahrhundert hinterlassen hatten. Insgesamt zwei Jahre sollte es dauern, bis der Stüber zu dem wurde, was er heute ist: Ein etwa 100 Quadratmeter großer, minimalistisch eingerichteter, beeindruckend überwölbter Lebensraum für eine Familie.
Doch nicht allein der Stüber wurde umgebaut: Auch das angrenzende Bauernhaus mit ebenfalls rund 100 Quadratmetern bekam das ganz große Makeover, allerdings auch hier mit dem Ziel, alles freizulegen und zu erhalten, was freigelegt und erhalten werden kann. So schauen den Betrachter dort Mauern aus Feldsteinen an, kann er ein mächtiges Fachwerk bestaunen und zugleich dürfen die Bewohner alle heutigen Annehmlichkeiten in Sachen Sanitär und Elektrik in Anspruch nehmen. Wer sich beim Rundgang die aufgehängten Fotos des „Vorher“ ansah und dann den Kopf ins Heute drehte, konnte nur staunen über die Vorstellungskraft und den Willen, ein solches Projekt anzugehen und durchzuhalten.
Der Familie Busch gelang dies unter Begleitung des Architekten Kay-Peter Thierer aus Gerstetten. Und dass die Bauherrschaft am Ende trotz aller Anstrengung zufrieden ist mit dem Ergebnis, zeigte sich als Busch, ohne zu Überlegen auf die Frage aus der Runde, ob man denn nicht doch vielleicht noch Bilder aufhängen wolle in dem großen, weißen Säulenraum antwortete: „Das Haus ist das Bild“.
Tiny Houses in Heidenheim: Wohnen im Würfel hoch zwei
Alles begann mit einer Schnapsidee – so zumindest berichtet es im Wortlaut Architekt Markus Baamann von Merz Objektbau aus Aalen. Urheber der Schnapsidee war Uli Grath, Heidenheimer Immobilienmakler und Bauherr der fast schon außerirdisch anmutenden Spiegelpyramiden auf dem Dach einer Garage am Heidenheimer Zeppelinweg. Von der Idee bis zu Realisierung brauchte es dann allerdings etwas mehr Ausdauer, als es vielleicht eine gewöhnliche Idee dieser Kategorie erfordert, denn: Die Hürden waren hoch. Zum einen musste die Statik der darunterliegenden Garage mithilfe eines Überzugs angepasst werden. Zum anderen gab es besondere Auflagen in Sachen Brandschutz zu erfüllen, bevor die maßgefertigten, polierten Fünfmillimeter-Edelstahlbleche die Kokons umhüllen durften.
Das fertige Objekt – oder besser die beiden gespiegelten und verspiegelten sich gegenüberstehenden Objekte – bestechen nun allerdings in gleich mehrfacher Hinsicht. Auf einer Grundfläche von jeweils fünf mal fünf Metern verbergen sich knapp 14 Quadratmeter Wohnfläche. Alles ist unter einem Dach: ein Schlafbereich, ein Bad, eine Küche, ein Esstisch und ein Lesesessel. Alles winzig, alles komprimiert – aber genau so soll es sein in einem Tiny House.
Gedacht sind die voll klimatisierten Häuschen für Geschäftsreisende, die länger bleiben, als man für gewöhnlich ein Hotelzimmer bucht, aber nicht lange genug, um eine Wohnung zu mieten. Hier und da mag man beim Öffnen aller Schränke zwar noch ein Winkelchen entdecken, das hätte noch effizienter genutzt werden können. Insgesamt aber dürfte nahezu das Maximum an verfügbarem Raum in Verwendung gebracht worden sein, ohne das Innere beengt wirken zu lassen. Wer ins Bett möchte, muss allerdings gelenkig und schwindelfrei sein, denn ohne die Schullandheim-artige Holzleiter, die zum Hochbett führt, ist das Innere des Spiegelhaus-Gipfels nicht zu erreichen.
So weit zu den gelungenen Accessoires. Nicht unerwähnt bleiben soll aber auch ein Manko der hypermodernen Silberhütten: Wie beim Rundgang zu erfahren war, werden die neuen Häuser in der Nachbarschaft nicht nur gemocht – und auch das hängt mit der verspiegelten Fassade zusammen. Denn Spieglein, Spieglein spiegelt eben.