Bühnenbeleuchtung

Einleuchten für „Hotzenplotz“: Wie das Naturtheater Heidenheim nächtelang am Rampenlicht tüftelt

Obwohl die Premiere von „Der Räuber Hotzenplotz“ bereits über die Bühne gegangen ist, tüfteln Mitglieder des Heidenheimer Naturtheaters im Nachgang viele Stunden lang am Lichtkonzept des Kinderstücks. Ein nächtlicher Besuch auf der Freilichtbühne:

Obwohl die Premiere von „Der Räuber Hotzenplotz“ bereits über die Bühne gegangen ist, tüfteln Mitglieder des Heidenheimer Naturtheaters im Nachgang viele Stunden lang am Lichtkonzept des Kinderstücks. Ein nächtlicher Besuch auf der Freilichtbühne:

Kasperl ist frustriert. Das junge Mädchen lässt die Schultern hängen und nimmt auf den Treppenstufen des Schlosses Platz. Langsam verblasst das Licht um Kasperl herum, bis auch der letzte Lichtkegel, der ihr direkt ins Gesicht scheint, verschwindet. Nur wenige Meter zu Kasperls Linken erwacht indessen die Praxis von Portiunkula Schlotterbeck zum Leben. Stück für Stück schärfen sich die Konturen des Raumes – doch das Halbdunkel verlässt die Praxis zunächst nicht. „Das Frontlicht sparen wir uns. Die Schlotterbeck sieht man am Anfang nur in der Peripherie“, erklärt Ben Retetzki.

Es ist 21.29 Uhr. Während der Rest Heidenheims an diesem schwülen Mittwochabend schon langsam Richtung Bett schielt, krempeln etwa ein Dutzend Naturtheater-Mitglieder die Arme hoch. Ihnen steht eine lange Nacht bevor. Obwohl die Premieren der beiden Sommerproduktionen bereits über die Bühne gegangen sind, wird weiterhin am Kinderstück „Der Räuber Hotzenplotz“ – in diesem Jahr unter der Regie von Ben Retetzki – gefeilt. Das sogenannte Einleuchten steht in dieser Nacht auf dem Programm, im Zuge dessen das Lichtkonzept für die Abendvorstellungen des Stücks ausgearbeitet wird.

Warum sich das Naturtheater diese Aufgabe erst nach der „Hotzenplotz“-Premiere zur Brust nimmt? Ganz einfach: Der überwiegende Teil der Kinderstück-Aufführungen beginnt nachmittags – bis der sprichwörtliche Vorhang fällt, wird die Bühnenbeleuchtung von der Sonne übernommen. Einzig und allein die beiden finalen „Hotzenplotz“-Inszenierungen finden abends statt. Für die muss das Stück ordentlich ausgeleuchtet werden.

Steffen Vogel hat das Lichtkonzept für die beiden diesjährigen Sommerproduktionen im Naturtheater Heidenheim entwickelt. Foto: Rudi Penk

Der Mann am metaphorischen Lichtschalter ist Steffen Vogel. Auf der Naturtheaterbühne ist er bereits in so manche Rollen geschlüpft. Seine Leidenschaft, die Vogel inzwischen zum Beruf gemacht hat, gilt jedoch dem Lichtdesign. Am Festspielhaus Neuschwanstein in Füssen programmiert Vogel die Scheinwerfer.

Ehrenamtlich hat Steffen Vogel genau diesen Job in der diesjährigen Sommerspielzeit übernommen. Für „Annie“, das Erwachsenenstück, haben sich die Naturtheater-Mitglieder insgesamt fünf Nächte um die Ohren geschlagen, „Hotzenplotz“ wird am Ende drei Nächte in Anspruch nehmen. „Der Aufwand für das Erwachsenenstück ist natürlich größer“, berichtet Vogel. Dennoch musste bereits bei der Lichtkonzeption für „Annie“ das Kinderstück berücksichtigt werden. Das geschieht in enger Abstimmung mit den anderen Ressorts. Und tatsächlich: An diesem Mittwochabend sind neben Steffen Vogel auch die Techniker, das Regieteam sowie mehrere Lichtdoubles vor Ort. Letztere nehmen die Plätze des Ensembles auf der Bühne ein, ahmen dessen Bewegungen nach, bewegen sich auf Zuruf vor, zurück und wieder vor – so lange, bis die perfekte Lichteinstellung für jede Szene gefunden ist.

58 Licht-Cues bei einer Musical-Nummer im Naturtheater Heidenheim

Es ist 22.05 Uhr. Szene 12 im Drehbuch. An dieser Stelle wurden Kasperl und Seppel bereits entführt, ihre Freunde und Familienmitglieder ziehen auf der Suche nach den beiden die hellseherischen Kräfte der Witwe Schlotterbeck zurate. Da ist es, das Frontlicht, das Ben Retetzki nun gerne haben möchte. Es taucht Schlotterbecks Praxis in ein orange-gelbliches Licht. „Vielleicht sollten wir noch etwas Pink dazunehmen“, überlegt Max Barth, Regisseur von „Annie“. „Sonst sieht das nämlich aus wie eine finnische Sauna.“ Steffen Vogels Finger huschen über das breite Lichtpult, er dreht an Reglern, schiebt die Fingerspitze über den Touchscreen. So besser? Ja, sind sich alle einig. Vogel tippt diese exakte Farbkombination in den Rechner ein. Der sogenannte Cue ist gespeichert.

Mehrere Hundert Cues, also Lichteinstellungen, werden pro Stück programmiert. Manche von ihnen sorgen dafür, dass einzelne Scheinwerfer einzelnen Darstellern auf der Bühne folgen, andere reagieren auf Toneffekte aus der Technikabteilung: Ton ertönt, Licht folgt. Abgestimmt ist das Ganze auf die Millisekunde genau. Bei musik- und tonintensiven Szenen wie etwa der Musicalnummer „Dieses Leben stinkt“ aus „Annie“ gibt es 58 Licht-Cues.

Eingeleuchtet werden kann selbstverständlich nur in den Abend- und Nachtstunden. Foto: Rudi Penk

„Während der Vorstellung ist es hauptsächlich unser Job, alles zu überwachen“, erklärt Vogel. Die meisten Cues sind vorprogrammiert, bei einigen Lichtszenen ist jedoch manuelles Eingreifen erforderlich. Das geschieht in erster Linie dann, wenn einmal kein Stichwort, keine Musik und auch kein Soundeffekt den Einsatz für einen Lichtwechsel signalisieren, also falls beispielsweise ein Darsteller die Bühne durch eine Tür betritt. „Die meisten Lichtstimmungen sind allerdings abgespeichert. Falls ein Darsteller mal seinen Einsatz verpasst oder an der falschen Stelle steht, hat er Pech gehabt“, erläutert Vogel und lacht.

Nicht nur kleine darstellerische Aussetzer sorgen für unbekannte Variablen in der Lichttechnik. Das größte Problem, so Vogel, stellt die Waldbeleuchtung auf der Freilichtbühne dar. Diese ist Regen am meisten ausgesetzt, wasserbedingte Ausfälle sind nicht immer zu vermeiden. Neben der Witterung sorgt der Jahreszeitenwechsel selbst ebenfalls dafür, dass jede Inszenierung ein wenig anders aussieht. An einem Juniabend herrschen schließlich andere Lichtverhältnisse als im August.

Es ist 22.21 Uhr. Szene 13. Darian Falkenstein, sonst einer der beiden Seppel-Darsteller, übernimmt an diesem Abend die Rolle eines Lichtdoubles. Die Regie schickt ihn ans äußere Eck des Schlosses, wo an diesem Punkt im Drehbuch die Erzählerin Platz nimmt. Sie richtet den Fokus des Publikums auf die angrenzende Räuberhöhle. Steffen Vogel drückt eine Reihe von Knöpfen und taucht die Höhle in giftgrünes Licht. „Damit hast du jetzt halt kotzende Darsteller“, gibt es mit Blick auf den Teint, den das Licht dem Ensemble verleiht, zu Bedenken. „Wie viel Grün können wir machen, ohne dass es aussieht, als würden unsere Darsteller kotzen?“, fragt Ben Retetzki an die Runde gerichtet.

Einleuchten im Naturtheater Heidenheim bis in die frühen Morgenstunden

Ganz einfach sind Antworten auf solche Fragen wohl nicht immer. Während sich bei manchen Einstellungen alle rasch einig sind, nehmen andere Szenen viel Zeit in Anspruch: zu viel Seitenlicht. Da ist schon genug Fuchsia drin. Der Scheinwerfer reflektiert auf dem Schild. Hier könnte noch etwas Lila von unten dazu. Die Lichtdoubles warten währenddessen voller Geduld stehend, sitzend oder auch liegend ihren nächsten Einsatz ab. Auch wenn das Lichtdesign nicht aus dem Nichts heraus entsteht – Steffen Vogel hat im Januar begonnen, das Lichtkonzept zunächst auf Papier zu entwerfen – investiert das Team viel Zeit und Mühe, um jede Einstellung ins buchstäblich rechte Licht zu rücken.

Anders als das Schauspiel an sich, die Musik oder gar das Bühnenbild, wird beim Lichtdesign enorm viel Aufwand in etwas gesteckt, dass das Publikum zumeist gar nicht wirklich wahrnimmt. „Es geht darum, bei den Zuschauern unbewusst eine bestimmte Stimmung zu erzeugen“, führt Steffen Vogel aus. Oliver Warbucks‘ Haus in „Annie“ wird anfangs in kaltem Licht gehalten. Ebenso wie Warbucks Gefühle für das Waisenmädchen Annie, erwärmt sich die Lichtatmosphäre der Villa im Laufe des Stücks. Während bei „Annie“ vergleichsweise realistische Lichtverhältnisse herrschen, wird „Hotzenplotz“ eher in märchenhaftes Licht getaucht.

Während des Einleuchtens kommen sogenannte Lichtdoubles zum Einsatz. Foto: Rudi Penk

Es ist 22.55 Uhr. Szene 14. Der Brunnen der Unke wurde inzwischen per Lift nach oben auf die Freilichtbühne geholt. Ein Lichtkegel aus Blau und Cyan richtet sich direkt auf den Brunnen, der Fokus des Lichts, und folglich auch der des Publikums, liegt nun ganz und gar auf der Vorbühne. Julia Frank, die eigentlich die Rolle der Petrosilia Zwackelmann spielt, mimt indessen die mystischen Bewegungen der Unke. „Ich kann da noch eine Wasserreflexion drüberlegen“, schlägt Steffen Vogel vor. Gesagt, getan.

Es ist 2 Uhr morgens. Szene 20 ist im Kasten. Beziehungsweise im Lichtpult. Eigentlich wollte die Naturtheater-Gruppe bis Szene 26 kommen, doch irgendwann muss auch für sie Schluss sein. Ihre Kräfte müssen sich die Vereinsmitglieder nämlich noch ein wenig aufsparen. Am nächsten Abend findet das finale Einleuchten für „Der Räuber Hotzenplotz“ statt. Bis 3.30 Uhr in der Früh wird es dauern, ehe jeder Scheinwerfer programmiert, jeder Spot ausgerichtet und jede Farbnuance eingespeichert ist.

Termine und Tickets fürs Naturtheater Heidenheim

Das Lichtdesign für „Annie“ kann ebenso wie das Gesamtpaket des Abendstücks immer freitags und samstags ab 20.30 Uhr bestaunt werden. Zwei Sonntagsvorstellungen finden am 14. Juli und am 4. August, jeweils ab 18 Uhr, statt.

Das Kinderstück „Der Räuber Hotzenplotz“ wird in der Regel mittwochs und sonntags ab 15 Uhr aufgeführt. Die beiden finalen Vorstellungen finden am Freitag, 23., sowie am Samstag, 24. August, jeweils ab 20 Uhr statt – nur bei ihnen kommt das nun ausgearbeitete Lichtkonzept zum Einsatz.

Karten für beide Stücke sind unter anderem im Pressehaus in Heidenheim sowie unter laendleevents.de erhältlich.

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