Historischer Machtwechsel

„Endlich sind wir frei“: Das denken in Heidenheim lebende Syrer über den Sturz des Assad-Regimes

Mehr als 50 Jahre regierte die Familie Assad in Syrien. Nun wurde Diktator Bashar al Assad von rebellischen Gruppen gestürzt. Die politischen Entwicklungen in ihrem Heimatland bewegen auch Syrer, die in Heidenheim leben.

Nach mehr als einem Jahrzehnt des Bürgerkriegs ist der Diktator Bashar al-Assad am 8. Dezember gestürzt worden. Ein Machtwechsel in Syrien, der weltweit Schlagzeilen macht – und auch in Heidenheim Spuren hinterlässt. Mehr als 100 Syrer fanden hier in den vergangenen Jahren Zuflucht, als sie ihr Heimatland aufgrund der politischen Lage verlassen mussten.

So auch Fidel Muhammad, Mageed al Zoubi und Ibrahim al Maslamani. Alle drei Männer haben sich trotz anfänglicher Sprachbarriere ein neues Leben in Heidenheim aufgebaut. Die Geschehnisse in ihrem Heimatland verfolgen sie durch Medien und Verwandte vor Ort gespannt mit.

Fidel Muhammad: „Die Nachricht war wie ein Lottogewinn“

Als Fidel Muhammad hörte, dass Assad sich aus Syrien zurückgezogen hat, konnte er es im ersten Moment kaum glauben: „Die Vorstellung, dass der Krieg jetzt bald ein Ende haben könnte, ist momentan noch sehr surreal.“ Ende 2014, also vor knapp zehn Jahren, floh der heute 35-Jährige nach Deutschland. Inzwischen ist der Friseurmeister Geschäftsführer eines eigenen Salons namens „Fidelius Hair and Beauty“ und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Heidenheim. Darüber, dass Assads gewaltvolle Herrschaft nach so langer Zeit endet, sei er mehr als glücklich. „Die Nachricht war wie ein Lottogewinn. Ich habe direkt meine Familie angerufen, endlich sind wir frei“, so Muhammad.

Sein Vater lebe in Nordsyrien – er habe ihn seit einem Jahrzehnt nicht mehr persönlich gesehen. „Mein zehnjähriger Sohn hat direkt gefragt, ob wir dann endlich mal den Opa besuchen können“, so Muhammad. Assad sei in seinen Augen ein „Menschenkiller“ und Diktator, der Krieg gegen sein eigenes Volk führe. Trotzdem hält der Familienvater den Sturz Assads nicht für eine „Wunderlösung“ für sein Heimatland. „Assad hat eine komplette Gesellschaft nachhaltig zerstört. Und solange es keine gescheite Regierung gibt, macht die Zukunft Syriens mir Angst“, so Muhammad. Er mache sich außerdem Sorgen, ob die einzelnen Gruppierungen in Zukunft friedlich miteinander auskommen werden.

In seine Heimat zurückzukehren, käme für den Friseurmeister nur infrage, wenn es dort langfristig konfliktlos bleiben würde. „Syrien ist und bleibt meine Heimat. Gleichzeitig habe ich mir hier in Deutschland so viel aufgebaut. Und meine Kinder wollen unbedingt hierbleiben, für sie ist Deutschland ihre Heimat“, so Muhammad.

Syrischer Friseurmeister: Fidel Muhammad in seinem Salon. Rudi Penk

Mageed al Zoubi: „Wenigstens gibt es eine Möglichkeit, meine Familie wiederzusehen“

Eine etwas pessimistischere Sicht auf die Geschehnisse in Syrien hat Mageed al Zoubi. Vor neun Jahren floh er gemeinsam mit seinem Cousin von Syrien nach Deutschland – damals war er erst 15 Jahre alt. Dieses Jahr erfüllte er sich den großen Traum, sein eigener Chef zu sein und gründete seinen eigenen Malermeisterbetrieb in Heidenheim.

Assads Sturz hat der 24-Jährige nicht wie die meisten durch die Medien mitbekommen: „Ich habe es zuerst von meinen Eltern in Syrien erfahren. Sie haben mich direkt angerufen, auch weil sie besorgt waren.“ Dass der ehemalige Diktator geflohen ist und sein Amt abgelegt hat, sei für al Zoubi kein wirklicher Grund zum Durchatmen. „Ich bin der Meinung, dass sich die Situation in Syrien jetzt sogar noch verschlimmern könnte. Es gibt keine Regierung mehr, das ganze Land ist gespalten und die Macht ist auf verschiedene Gruppen aufgeteilt“, so al Zoubi. Seine Familie, die noch in Syrien lebt, habe große Angst vor der Zukunft.

Dass er bald in sein Heimatland reisen und seine Familie besuchen kann, hält der Malermeister ebenfalls für unrealistisch. „Als junger Mann kann man trotz Assads Flucht nicht unbedenklich nach Syrien reisen. Es kann immer noch sein, dass man sofort für den Militärdienst eingezogen wird“, so al Zoubi. Seine Familie könne aufgrund der neuen politischen Lage in Zukunft jedoch nach Jordanien ein- und wieder ausreisen und ihn dort treffen. „Wenigstens gibt es eine Möglichkeit, meine Familie wiederzusehen. Wirklich freuen kann ich mich aber erst, wenn es eine neue, sichere Regierung gibt“, so al Zoubi. Eine dauerhafte Rückkehr nach Syrien käme für ihn aber sowieso nicht infrage: „Ich kam sehr jung nach Deutschland und habe hier meinen Beruf und mein Umfeld. Außerdem ist meine Freundin, die Deutsche ist, inzwischen wie Familie für mich.“

Der 24-jährige Mageed al Zoubi kam als Jugendlicher mit seinem Cousin nach Deutschland. Rudi Penk

Ibrahim al Maslamani: „Das ist eine einmalige Chance“

Der 27-jährige Ibrahim al Maslamani kam vor fast zehn Jahren ebenfalls als Jugendlicher nach Deutschland und wohnt und arbeitet in Heidenheim. Hört man ihn sprechen, könnte man denken, er wäre hier geboren. Für den gebürtigen Syrer bedeute das Ende der Assad-Diktatur vor allem eins: Hoffnung. Er verfolge die politische Entwicklung in seinem Heimatland eigentlich ununterbrochen. „Ich informiere mich selber, da meine Familie in Syrien nicht immer eine zuverlässig Strom- und Internetanbindung hat“, so al Maslamani. Über diesen Weg habe er auch von Assads Flucht erfahren.

Er sei unglaublich erleichtert, dass der Diktator inzwischen endlich von Syrien abgelassen hätte. „Meine Familie und alle anderen Syrer haben jahrelang in einer Angst gelebt, die man sich als Außenstehender nicht vorstellen kann“, so al Maslamani. Die Sorge um seine Familie sei ihm seit seiner Flucht „wie ein Berg auf der Brust gelegen“. Er hoffe, dass nun endlich Frieden in Syrien einkehre. „Das ist eine einmalige Chance, jetzt müssen alle Syrer zusammenhalten, egal welche Religion und Ethnizität sie haben. Gemeinsam können sie das Land wieder aufbauen“, so al Maslamani.

Am meisten freue er sich darauf, seine Familie nach einem Jahrzehnt wieder in die Arme schließen zu können. Trotzdem könne er sich nicht vorstellen, ganz nach Syrien zurückzuziehen: „Hier in Deutschland bin ich zu einem Mann herangewachsen und es ist inzwischen meine zweite Heimat.“

Der 27-jährige Ibrahim al Maslamani. Für den gebürtigen Syrer ist Heidenheim seine Wahlheimat. Ibrahim al Maslamani

Während die Erleichterung über das Ende der Diktatur auf der ganzen Welt spürbar ist, bleibt die Zukunft des Landes ungewiss. Für Fidel Muhammad, Mageed al Zoubi und Ibrahim al Maslamani steht fest: Ihre Herzen schlagen weiterhin für ihre Heimat, doch ihr Leben und ihre Zukunft sind in Heidenheim fest verwurzelt. Die Möglichkeit, ihre Familien wiederzusehen, gibt ihnen Hoffnung – auch wenn der Frieden in Syrien noch in weiter Ferne liegen mag.

Was passiert mit laufenden Asylanträgen in Heidenheim?

Das Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) hat bekannt gegeben, alle Asylverfahren von Syrern auszusetzen und vorerst keine Entscheidungen mehr zu treffen. Auf eine Anfrage der HZ äußerte sich das Landratsamt Heidenheim über die Situation im Kreis wie folgt: „Aktuell sind etwa 135 Syrer in den Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises untergebracht. Solange über die Asylverfahren nicht entschieden wird, ändert sich vor Ort im Landkreis zunächst nichts. Erst nach Ablehnung eines Asylantrags erfolgt die Ausreise bzw. die Verlegung in die Anschlussunterbringung der Städte und Gemeinden. Bei Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft besteht die Möglichkeit sich Wohnraum zu suchen, ansonsten erfolgt ebenfalls Verlegung in die Anschlussunterbringung. In diesen Fällen wechselt die Zuständigkeit für die Leistungen zum Jobcenter.“

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