Leserbrief

Als Deutsche müssen wir sehr sensibilisiert dafür sein, ob Euthanasie zunimmt

Leserbrief zur Verlegung von Stolpersteinen in Heidenheim.

Von Jochen Lanksweirt aus Heidenheim erfuhr ich, dass mit beharrlicher Initiative seines Onkels Gerd dort ein Stolperstein für seine Urgroßmutter Frida Lanksweirt gesetzt wurde. Nach mehreren Geburten, unter Kindbettdepression leidend, vom Staat die Kinder vorenthalten, erkrankte sie 1923 schwer und lebte in einer Heilanstalt in Schussenried. Im Oktober 1940 kam sie nach Burg Grafeneck bei Münsingen. Sie wurde im Rahmen der Aktion T4 von deutschen Ärzten vergast und verbrannt. 10.600 Behinderte starben 1940 in dieser Tötungsanstalt. Lebensunwertes Leben hieß es damals. Euthanasie fand bereits vor den großen Massentötungen in industriellem Maßstab statt. Einen Monat später wurde die Einrichtung geschlossen. Kirchen und mutige Leiter von Pflegeeinrichtungen hatten protestiert.

Mut bewies meine Böblinger Großmutter. Sie hasste die Nazis und schimpfte, das Problem seien die vielen kleinen Hitler, und nach dem Überfall auf die Sowjetunion, jetzt hätten wir den Krieg verloren. Das Schweigen ihres sozialen Umfeldes bewahrte sie vor Schlimmerem. Ob ich den Mut gehabt hätte?

Meine Großeltern unterstützten die später vergaste jüdische Sindelfinger Familie Ullmann. Mein Opa hatte ihnen 1932 das Gebäude des späteren Ratsstübchens in der Böblinger Marktgasse abgekauft und brachte ihnen noch Nahrungsmittel, als sie in Stuttgart auf den Abtransport nach Theresienstadt warteten.

Wieder gibt es Diskussionen über Euthanasie. Anders als in Deutschland sind andere Länder weniger zimperlich. Frankreich plant, aktive Sterbehilfe zu lockern. Die gibt es bereits in den Benelux-Staaten, teils auch für Kinder. In den Niederlanden wurde Sterbehilfe auf ärztlichen Befund gegen den Willen der Patientin durchgeführt. In Kanada wurden „zu teure“ Patienten von Medizinern zu Sterbehilfe genötigt.

Gebrechliche Angehörige in Pflegeheime zu schicken bedeutet in vielen Fällen deren baldigen Tod, aus Langeweile und Einsamkeit. Als Deutsche müssen wir sehr sensibilisiert dafür sein, ob Euthanasie zunimmt. Die Perspektive zukünftig sehr hoher Zahlen Alter, Kranker und Dementer lässt mich nachdenklich werden. Frida Lanksweirts Schicksal muss eine Warnung sein. Euthanasie darf es nie wieder geben.
Jörg Lanksweirt, Böblingen