Zeitzeugin Eva Erben an Jugendliche in Heidenheim: "Ich verlasse mich auf euch"
Diese eineinhalb Stunden werden für die meisten der rund 2800 Schülerinnen und Schülerinnen aus Heidenheim und Umgebung unvergessen bleiben, kein Flüstern, kein Handygepiepe ist im voll besetzten Saal des Congress-Centrums zu hören. Es herrscht gebannte Stille, während die Holocaust-Überlebende Eva Erben über ihre dramatische Jugend als jüdische Nazi-Verfolgte, die Erlebnisse in den Lagern Theresienstadt und Auschwitz spricht und Szenen beschreibt, die einmal grausame Realität waren.
Gleichzeitig hat sie ihr Lachen nicht verloren, spricht nicht aufgeregt, sondern mit der Gelassenheit einer klugen und lebenserfahrenen Frau. Und schließlich wendet sie sich direkt an die Jugendlichen, gibt Lebensratschläge und appelliert: „Was kann ich euch mitgeben? Schaut auf die Wahrheit. Lasst euch nicht reinlegen von opportunistischer Politik und nützt euren Intellekt.“ Am Ende stehen alle im Saal auf und applaudieren der zierlichen Frau zu.
Der Tag, an dem Eva Erben der Judenhass ins Herz traf
Auf Einladung des Deutschen Zweigs der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalems (ICEJ) und des Distrikts Stuttgart der Schools opposing Racism and Antisemitism (Scora) war die heute in Israel lebende 93-Jährige nach Heidenheim gekommen. Es gab so viel Interesse, dass statt einer gleich zwei Vorträge nacheinander organisiert wurden. „Was vor 80 Jahren passiert ist, dafür können wir hier nichts, aber wir haben es in der Hand, dass so etwas nicht mehr passiert“, sagte eingangs Gottfried Bühler, ein gebürtiger Heideneimer, heute Vorsitzender der ICEJ, der Eva Erben auf der Bühne interviewte.
Es sind die Details, die den Vortrag von Eva Erben so authentisch machen. Es gibt Momente, die einem den Hals zuschnüren. Zum Beispiel, als Eva Erben von dem Augenblick erzählt, als ihre Kindheit verschwand. Die Neunjährige wollte Eis kaufen und sah an einer Türe ein Poster mit einem hässlichen Mann und einem Hund: „Juden und Hunden ist der Eintritt verboten.“ Das habe ihr nicht gefallen, das Eis habe sie an diesem Tag dennoch bekommen. „Mein Vater war optimistisch und glaubte, die Nazis seien nur Rowdies, das Volk von Goethe und Schiller bringe das schon wieder in Ordnung.“ Doch es war nicht so.
„Man konnte dort überleben mit Glück, aber es war das Wartezimmer auf den Tod.“
Eva Erben
1941 wurde ihre Familie ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Eva Erben war elf Jahre alt. „Man konnte dort überleben mit Glück, aber es war das Wartezimmer auf den Tod.“ Eva Erben sah dort ihren Vater das letzte Mal, bevor er wie alle Männer abgeholt wurde, um ein neues Lager zu bauen. Als kurz später gefragt wurde, wer in das neue Lager wolle, habe ihre Mutter sich freiwillig gemeldet – in der Hoffnung, dass dort die Familie wieder zusammenkomme. Was sie nicht wusste: Sie meldete sich freiwillig für das Konzentrationslager Auschwitz. „Wir dachten, wir sind in der Hölle“, erzählt Eva Erben von süßem Geruch, der an verbranntes Fleisch erinnerte. Dort traf sie auf den Lagerarzt und Naziverbrecher Josef Mengele, der die Menschen „nach links in Gas und nach rechts zur Arbeit“ aussortierte.
Eva Erben überlebte das Sortieren, die Zwangsarbeit, den Hunger, die Krankheiten und schließlich auch den Todesmarsch, auf den die Nazis die Insassen schickten, als die russische Armee näher rückte. „Wer sich hinsetzte, wurde erschossen, der Weg war mit Leichen übersät.“ Die Mutter motivierte ihre Tochter, starb selbst an den Strapazen. Eva Erben marschierte weiter und fand in einer Scheune in einem Kuhmisthaufen ein warmes Fleckchen. Das war ihr Glück. Die Nazis haben sie beim Aufbruch nicht gesehen, die Hunde nicht gerochen. „Die meinten, das sei eine Kuh.“ Eva Erben erzählt von ihrer Flucht, einem deutschen Deserteur, der ihr Kaffee gegeben habe, von deutschen Soldaten, die sie fast erschossen hätten („Lass sie gehen es ist schade um die Kugel.“) und der polnischen Bauersfamilie, die sie aufgenommen und vor den Deutschen versteckt habe bis Kriegsende.
Als Eva Erben die Liebe ihres Lebens traf
Die Liebe hat Eva Erben trotz all der schlimmen Erlebnisse nicht verlernt. Die Liebe ist auch der Grund, dass Eva Erben heute in Israel lebt mit Kindern, Enkeln und Urenkeln. Dorthin zog sie mit ihrem Mann Peter, den sie im Lager Theresienstadt kennengelernt hatte und den sie am Tag, als der Staat Israel ausgerufen wurde, zehn Jahre später beim Feiern und Tanzen in Prag wiedertraf. Beide wanderten nach Israel aus und lebten 70 Jahre zusammen. Ihr Mann starb vor sechs Jahren, seitdem lebt Eva Erben allein in Aschkelon, unweit des Gaza-Streifens.
Hat sie Angst seit dem Angriff der Hamas? Wenn sie welche hat, dann verschweigt sie das. Was könne ihr schon passieren, sie sei alt und lebe allein ohne Kinder. Vielmehr ist es das Unverständnis für die Wut auf die Juden, die Lügen und die Unwahrheit, was sie umtreibt. „Warum hasst man uns so?“, fragt sie in den Raum. Wo sei der Papst, das Rote Kreuz, die UN, um Israel beiseitezustehen. Sie prangert die Manipulationen an, die Israel als Aggressor darstelle und übt scharfe Kritik an Greta Thunberg, die Menschenmengen dirigiere. „Ich appelliere an euch, ihr seid die Zukunft nicht nur Deutschlands, sondern der Menschheit überhaupt“, wendet sie sich an die. Aber sie schlägt auch immer wieder den Bogen zu einer optimistischen Lebenseinstellung. „Das Leben ist kein Picknick, es hat Stolpersteine, aber man darf nicht verzweifeln, sondern weitermachen und nicht aufgeben zu hoffen.“
Warum Eva Erben nach 40 Jahre erstmals wieder deutsch sprach
Am Ende haben wenige Jugendliche die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Wann sie das erste Mal deutsch gesprochen habe? Mehr als 40 Jahre hat es gedauert, bis Eva Erben öffentlich über ihre Vergangenheit sprach. Zufällig habe ihr Mann zwei Studenten, nahe dem Verdursten, während seiner Arbeit in der Wüste angetroffen und mit nach Hause gebracht. Er habe erzählt, es seien Schweden, aus Angst vor Eva Erbens Reaktion. Am nächsten Tag erzählten ihr die beiden, sie seien aus München und wollten sehen, wer diese Juden seien. Das habe das Eis gebrochen. Ihre Erlebnisse schrieb sie schließlich in einem Buch nieder: „Mich hat man vergessen.“
Wäre die Zeit nicht um gewesen, die Jugendlichen hätten der alten Dame weiter zugehört, deren Abschiedsbotschaft so eindringlich wie einfach klang: „Die Menschen müssen die Wahrheit sehen. Ich verlasse mich auf euch. Ich grüße euch aus Israel und wünsche euch ein langes, gesundes und glückliches Leben. Amen.“
Kurzbiografie Eva Erben
Die 93-jährige Holocaust-Überlebende Eva Erben, geboren 1930 in Decin in der damaligen Tschechoslowakei, lebte ab 1936 in Prag. Im Dezember 1941 wurde die Familie nach Theresienstadt deportiert, später ins Vernichtungslager Auschwitz. Sie überlebte als einzige ihrer Familie. Nach dem Krieg kehrte Eva Erben nach Prag zurück, ließ sich zur Krankenschwester ausbilden und wanderte 1949 nach Israel aus, wo sie eine Familie gründete. Heute lebt sie in Aschkelon, Israel. Sie spricht hebräisch, tschechisch, deutsch, englisch und französisch.