Seinen siebenjährigen Aufenthalt im Fegefeuer sieht man Ignacio Iturrioz nicht an. Aber wer hätte auch ahnen können, dass sich die Kreise der Hölle ausgerechnet in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo befinden. Ob Heidenheim nun dem Himmel oder der Hölle nähersteht, kann man nur mutmaßen. Tatsache ist jedenfalls, dass der gebürtige Uruguayer und studierte Fotograf Ignacio Iturrioz seine Eindrücke aus dem Fegefeuer auf die Ostalb gebracht hat, genauer gesagt: ins Heidenheimer Kunstmuseum.
„Purgatorio“ lautet der Titel des Fotoprojekts, das Iturrioz im Rahmen der Ausstellungsreihe „#vonhier“ ab 12. Juli präsentiert. Gemeint ist mit „Purgatorio“ freilich nicht das sprichwörtliche Höllefeuer, sondern vielmehr der Palacio Salvo. 1922 entwarf der Architekt Mario Palanti den Art-déco-Bau und ließ sich dabei offenbar von Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“ inspirieren. Strukturell lässt sich der Palacio nämlich durchaus entsprechend der von Dante beschriebenen Sphären interpretieren: von der Hölle über das Fegefeuer bis hinauf in den Himmel.
Als der Rindfleisch-Export Uruguay Anfang des 20. Jahrhundert den Wohlstand brachte, stand der Palacio Salvo mit seinem Nobelhotel im unteren Bereich und den Penthouse-Wohnungen im oberen stellvertretend für eine Epoche, die als „Zeit der fetten Kühe“ in die Geschichtsbücher einging. Nach dem wirtschaftlichen Abstieg des Landes wurden die unteren Räume zu kleinen, dunklen Wohnungen umgebaut, in denen Menschen leben, deren Biografien zum Teil von Prostitution, Drogen und Kriminalität gezeichnet sind.
Im sechsten Stock des Bauwerks quartierte sich Ignacio Iturrioz für sieben Jahre ein. Er freundete sich mit den verschiedenen Bewohnerinnen und Bewohnern an und begann, diesen Ort, diese Menschen, diese Leben auf Film zu bannen. Drei Jahre sollte es dauern, bis das Projekt „Purgatorio“ vollendet sein würde. Schnappschüsse sind dabei laut Iturrioz kaum entstanden. „Ich habe zunächst zahlreiche Gespräche mit den Menschen geführt und versucht, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen“, erzählt der Fotograf. Viele ließen sich darauf ein, vor Iturrioz’ Kameralinse zu posieren. Nur wenige lehnten ab.
Ausstellung im Kunstmuseum Heidenheim mit „Latin Lover“
Sämtliche Aufnahmen sind nachts und mit einem 40-Millimeter-Objektiv entstanden, sämtliche Resultate sind in Schwarz-Weiß gehalten. „Starke Hell- und Dunkelkontraste, eine dramatische Beleuchtung, gezielt eingesetzte Unschärfen und fragmentiert wirkende Bildausschnitte entwickeln eine Gesamtwirkung, die an den Film noir oder Horrorfilme erinnert“, findet Kunstmuseumsleiter Marco Hompes.
So einige der Motive hätten laut Hompes das Potenzial, ins Voyeuristische abzugleiten, durch verschwommene Ansichten nehme Iturrioz einen Teil dieser Intimität allerdings wieder heraus. Die Geschichten hinter den Motiven, die bei Führungen erzählt werden sollen, kennt letztlich nur der Fotograf selbst. Etwa die von Washington, ein laut Iturrioz klassischer „Latin Lover“, der sich selbst gutgekleidet und seine Frauen-Affären jung liebt. Im Porträt vermeidet Iturrioz den Fokus auf Washingtons Gesicht und lenkt den Blick des Betrachters stattdessen auf die mondäne Kleidung des Mannes.
Obwohl „Purgatorio“ keiner Erzählung oder einer thematischen Reihung folgt, werden die Werke im Kunstmuseum anhand eines roten Fadens und an einer rot gestrichenen Wand präsentiert. Der Rundgang beginnt mit dem luxuriösen Teil der Gebäudegeschichte sowie seinen Bewohnern, arbeitet sich zu den Menschen vor, die für die dunkleren Seiten des Lebens stehen, und nimmt am Ende sowohl die fotografischen Techniken Iturrioz’ als auch auf die Darstellung von Stofflichkeit und Oberflächen in den Fokus.
Das Projekt wurde mit dem Premio de Fotografía del Uruguay, dem nationalen Preis für Fotografie, ausgezeichnet und ist erstmals in diesem Umgang in Heidenheim zu sehen.
Ausstellung im Kunstmuseum bis September
„Purgatorio“ von Ignacio Iturrioz ist im kleinen Wechselausstellungssaal des Kunstmuseums von 12. Juli bis 1. September zu sehen. Eine Vernissage findet am Donnerstag, 11. Juli, ab 19 Uhr statt.