Wie von der Tarantel gestochen raste Remco Evenepoel über die Straßen von Paris – durch das Künstlerviertel Montmartre und vorbei am berühmten Varieté Moulin Rouge. Für die schönen Ecken der Stadt hatte der Belgier aber keine Augen. Es ging um viel für ihn, um nicht weniger als die Goldmedaille. Der 24-Jährige war nicht als Tourist in der französischen Hauptstadt unterwegs, sondern als Führender im olympischen Straßenrennen. Und dann ging auf einmal gar nichts mehr, das Rad streikte, der Traum von Gold bröckelte. Hektik brauch aus, der Topfavorit gestikulierte wild. Doch Hilfe nahte, ein Mechaniker sprang aus dem Wagen der belgischen Mannschaft und reichte ein Ersatzrad. Bei einem Reifenschaden hätte der Techniker das Rad in Sekunden getauscht. Das war aber nicht nötig. Evenepoel kam mit dem Schrecken davon, fuhr kurz darauf unter dem Eiffelturm hindurch ins Ziel – eine Siegerpose vor dem Pariser Wahrzeichen inklusive. Als erster Radfahrer gewann er trotz streikender Technik nach dem Zeitfahren auch auf der Straße die Goldmedaille und schieb damit Sportgeschichte.
Der kleine Flitzer fürs Trainingslager
Ganz so dramatisch erging es mir nicht. Ein Problem mit dem Zweirad gab es trotzdem. Für den Besuch des FCH-Trainingslagers in Tirol war alles organisiert: Die Ferienwohnung war gebucht, die Taschen gepackt, das Auto geladen. Ein Punkt auf der Liste war aber offen. Wie geht es vor Ort vom Arbeits- zum Trainingsplatz? Ein bisschen Bewegung sollte dabei schon sein. Ein 15-minütiger Spaziergang durch das kleine Zentrum des Städtchens Volders zur Anlage wäre denkbar gewesen – bei zweimaligem Hin- und Rückweg ginge dabei aber eine ganze Stunde drauf. Das musste bewegt schneller gehen. Ein Rad war die Lösung. Mit einer besonderen Anforderung: Es muss in den Kofferraum passen. Das gab es nur eine Möglichkeit – ein Klapprad, kurzfristig verfügbar und nicht allzu teuer. In einem Kleinanzeigen-Portal gab es schnell das Passende. Für weniger als hundert Euro war das klappbare Velo zu haben. Beim Kauf kamen Olympia-Vibes auf, ganz rund liefen die Bremsen nicht: Der Rücktritt klappte, das Vorderrad lief sich nicht so recht blockieren. Aber für den Preis: gekauft.
Wenn die Bremse streikt: Youtube hilf mir doch!
Ganz meinem Optimismus folgend glaubte ich dem Gedanken: Mit etwas Geschick und einem Sechskantschlüssel lässt sich doch alles am Rad reparieren. Falsch gedacht. Das Entfernen des Flugrostes von den Speichen verlief noch problemlos, genauso wie das Reinigen und Ölen der Kette. Doch dann war sie dran, die Bremse. Ihre Funktion erfüllte sie zumindest bei meinem Zeitplan, sie bremse mich aus. Doch zurück zum Problem: Bei gezogenem Bremshebel passierte gar nichts. Gar nicht gut sah auch der Verlauf des Bremszuges aus.
Ok, da muss ich auch noch einmal ausholen. Der Wortschatz der Fahrradtechnik ist ein Kapitel für sich. Der Bremszug ist natürlich nicht ein entgegenkommender Zug – der bei Eingleisigkeit für eine Verzögerung sorgt –, sondern die Edelstahlschnur, die die Bremsbacken zusammenzieht. Und der Bremszug verlief an der Bremse nicht wie üblich gerade, sondern durch ein verformtes bogenartiges Röhrchen. Meine erste Diagnose: Da stimmt was nicht. Doch wer hilft dem Möchtegern-Fahrradmechaniker? Natürlich Youtube.
Die Lösung: Das kurvige Röhrchen muss an die richtige Stelle
Nach kurzer Suche war das Video zum Bremsentausch gefunden und ich bin dem Schritt für Schritt gefolgt. Bremszug lösen und aus der Führung ziehen. Die Führung? Bei genauem Hinschauen wurde klar: Das verformte Röhrchen ist im Normalzustand genau das: die Führung. Sie sorgt dafür, dass der vom Lenker kommende Bremszug kurvenartig um 90 Grad zur Bremse geführt wird. Also ran ans Werk: Bremse gelöst, Zug rausgezogen, die Führung an die richtige Stelle gesetzt, Bremse wieder festgezogen. Es folgte der spannendste Moment: der Griff zum Bremshebel.
Langsam zog ich ihn heran, schaute auf die Bremse – die in gefühlter Zeitlupengeschwindigkeit ganz nach ihrer Funktion die Backen zusammenzog und bremste. Ein Gefühl von Stolz und Zufriedenheit schoss in mir auf. Dafür blieb aber wenig Zeit, es ging raus aus der Tür, rauf aufs Rad und ab zur Probefahrt. Und so viel kann ich sage: Ich habe noch nie so freudestrahlend gebremst und gebremst und gebremst. Als es dann zwei Tage später nach Tirol ging, stieg ich aufs aufgeklappte Rad, fuhr sicher zum Training und fühlte mich wie ein Olympiasieger – zumindest ein ganz kleines bisschen. Ich genoss dort fünf Tage lang meine freie Fahrt mit Alpenblick dank guter Führung – und tue das immer noch.
So geht’s weiter bei der HZ-Sommerserie
Der nächste Teil der Sommerserie erscheint am Samstag, 24. August. Darin wird HZ-Redakteur Jens Eber zum aufmerksamen Zuhörer. Ganz nebenbei ist er mit im Musikstudio, als die Band „Fogdriver“ ihr zweites Album aufnimmt.