Womit Maren Kroymann das Publikum im Konzerthaus Heidenheim begeisterte
Maren Kroymann hat doch tatsächlich eine Marktnische in Sachen feierbarer Jubiläen entdeckt: 50 Jahre Pubertät. Und diesen Anlass feierte sie ausgiebig mit ihrem Publikum am Sonntagabend im Konzerthaus Heidenheim, wo ihr Programm „In my sixties“ zum Auftakt der Kulturschiene-Saison gezeigt wurde. Ein Etikettenschwindel, warnte die bekannte Kabarettistin und Schauspielerin gleich vorneweg: „Ich bin schon 70. 74, um genau zu sein“. Der Programmtitel stand also nicht mehr für ihr Lebensalter, aber doch noch für den Inhalt, nämlich die 1960er Jahre. Genauer gesagt: Die 1960er Jahre von Maren Kroymann. Die sie weitgehend in der Pubertät verbrachte. Und in Tübingen.
Schlipsumhüllte Kleiderbügel
Pubertät in Tübingen, da ist das Mahl an der Imbissbude bereits revolutionär, denn da verkehren ansonsten nur Asoziale und Alkoholiker, der honorige Tübinger isst selbstverständlich am heimischen Tisch. Und Pubertät in den 1960er Jahren, das bedeutet Berge von Ratgeberliteratur in Sachen Korrektheit für Mädchen, in welchen Anleitungen zu finden sind, wie sich Schlipse zu Kleiderbügelumhüllungen verarbeiten lassen und die Anregung, dem eigenen Haar täglich hundert Bürstenstriche zuteil werden zu lassen. Und beides zusammen bedeutet, dass sich ein Mädchen nur um zwei Dinge kümmern sollte: Erstens wie kriege ich einen Mann, und zweitens wie halte ich ihn – wofür möglicherweise täglich hundertfach gebürstetes Haar in Kombination mit schlipsumhüllten Kleiderbügeln der sicherste Weg war.
Aber es war früher nicht alles schlecht: „Man äußert sich zu einem Thema erst, wenn man es adäquat zu Ende gedacht hat“, hat die pubertierende Maren noch im Tübinger Gymnasium gelernt – damals, als ein Wort wie „adäquat“ noch als allgemein bekannt angenommen werden konnte. Maren Kroymann jedenfalls hält sich bis heute daran, ihr Programm ist der beste Beleg dafür: Ihre Erinnerungen an die „Sixties“, die vielleicht gar nicht so „swinging“ waren, wie es der Mythos will, waren gespickt voll mit subtilen Pointen und von erfrischender Offenheit an die Jahre, die ja – und das ist kein Phänomen der sechziger Jahre, sondern wohl immer gleichbleibend – von großen Unsicherheiten und ständiger Suche geprägt sind.
Rettung durch den Plattenteller
Was rettet durch diese Zeit? Musik, und die kam in den Sechzigern vom Plattenspieler. Ganz nostalgisch konnte man werden, wie eingehend und geradezu liebevoll Maren Kroymann den Plattenreiniger beschrieb – eine Bezeichnung, die heutzutage eher an Laubbläser denken lässt denn an das süße kleine schwanähnliche Gerät mit Schwämmchen und Bürstchen für Vinyl und Nadel. Für jüngere Leser: einfach mal bei den Großeltern nachfragen.
Was jedenfalls bei Maren Kroymann seinerzeit auf dem Plattenteller lag, das hat sie gleich mitgebracht: Edelsteine hat sie ausgegraben, geschliffen und von ideologischem Geröll entfernt, so Kroymann. Und es sind auch wirklich Preziosen dabei: „Toi jamais“ von Catherine Deneuve beispielsweise oder Dean Martins „Standing on the corner“ oder „The Boy from New York City“ von „The Ad Libs“. Nicht nur, dass diese Songs eben nicht zu den ausgelutschten Songs der Sechziger gehören, Maren Kroymann interpretiert sie auf ihre ganz eigene Art und sie verleiht diesen mit ihrer klaren, kraftvollen Stimme einen ganz neuen Reiz. Manche Lieder werden gar in ihrer Interpretation erst zu Edelsteinen, man denke nur an „Wrong Direction“, das „kleine, pickelige“ Lied der „Dixie Cups“, einer der seinerzeit häufig auftretenden weiblichen Kollektive namens „Girl Groups“, die, so Kroymann, hormonelle Schwankungen auch in der Intonation ausleben durften. So wie Maren Kroymann es sang, bekam es richtig Schmiss und Schwung.
Vor allem aber war es Dusty Springfield, die offenbar eine große Stütze in Kroymanns Pubertät war. Denn die hatte seinerzeit immer genau das richtige Lied für die akuten Probleme „Mann weg oder gar nicht erst gekommen“ parat. Und so zog sich das Springfieldsche Liedgut durch das ganze Programm – bis hin zu „In private“, dem Comeback-Song der Ikone. Und vielleicht hört es Dusty Springfield nicht so gern, aber es muss gesagt sein: Maren Kroymann war an manchen Stellen die bessere Springfield.
Sorgsam ausgewählte Anekdoten
Schon die Zahl der Akteure (mit den Begleitmusikern fünf) verdiente die Bezeichnung „Fünf-Sterne-Abend“, noch viel mehr aber tat dies die Qualität: Sorgsam ausgewählte Anekdoten vom USA-Schuljahr mit 37 Eissorten im Gegensatz zum Tübinger Fürst Pückler, aber auch dem Lebensinhalt amerikanischer Mädchen, sich vor dem anderen Geschlecht komplett zum Affen zu machen, bis hin zur Tübinger Legitimation von Lidstrich, nämlich nur dann, wenn man einen Beruf hat, der Lidstrich erfordert, feiner Humor, sorgsame Liedauswahl in erstklassiger Präsentation, und das alles in einer perfekt abgestimmten Show – das gab auch einen Fünf-Sterne-Applaus des Publikums, im Stehen verabreicht. Gut, dass Maren Kroymann ihr Alter gleich selbst erwähnt hat, diese Show hätte beim Rätselraten darüber auf eine völlig falsche Spur geschickt.
Aus den konservativen 1960er Jahren eine solch schillernde Show zu zaubern, die gleichzeitig authentisch und originell ist, das ist schon sehr beachtlich. In etwa so beachtlich wie die Methode zur Geschlechterbestimmung bei der Zeugung, die Maren Kroymanns Mutter offenbarte: „Wenn sich die Frau zuerst ergießt, dann wird’s ein Mädchen“. Hut ab, Mutter Kroymann, so eine Erkenntnis in weitaus prüderen Zeiten verdient größte Anerkennung. Und was für ein Mädchen ist das geworden! Ein Hoch auf Mutter Kroymann. Und ihre Tochter.
Mit exzellenten Musikern
Maren Kroymann stand im Konzerthaus nicht allein auf der Bühne, sie konnte auch auf exzellente Musiker zurückgreifen: Pianist Matthias Binner, Bassist Jürgen „Speedy“ Schäfer, Gitarrist Ralf Lehmann und Schlagzeuger Ralf Kündgen waren weitaus mehr als eine Begleitband, sie waren Co-Stars, und unter dieser Beschreibung machte es Maren Kroymann auch nicht.