Warum die Cappella Aquileia ein aufgewühltes Publikum zurückließ
„Neue Pfade“ war der Titel des Auftakts der Meisterkonzerte am Mittwochabend im Congress-Centrum, und auch wenn doch einige Plätze leer blieben, waren doch sehr viele Zuhörer bereit, sie mitzugehen. Hinter dem Titel allerdings verbargen sich zwei veritable Misserfolge: Schumanns Violinkonzert d-Moll und Bruckners Sinfonie Nr. 3 d-Moll hatten sich die holländische Violinistin Noa Wildschut – trotz jungen Jahren schon ein Star auf ihrem Gebiet – und die Cappella Aquileia unter der Leitung von Marcus Bosch vorgeknöpft. Und – um das gleich vorwegzunehmen – gezeigt, dass ein Misserfolg kein Misserfolg bleiben muss.
Um ein Violinkonzert war Schumann einst gebeten worden, darum, aus seinem „tiefen Schacht ein Werk ans Licht zu ziehen“. Blöd nur, dass Schumann selbst in seinem tiefen Schacht saß und Ehefrau Clara befand, das sei seinem Werk anzumerken, Anzeichen seines geistigen Verfalls seien darin deutlich. Zudem sei es unspielbar. Also sorgte sie dafür, dass es nicht veröffentlicht wurde. Was auch nicht so blieb – zum Glück, denn so konnte Noa Wildschut beweisen, dass es eben nicht unspielbar ist. Wobei schon einige Fertigkeiten dazu gehören, die Noa Wildschut ohne Zweifel hat. Das beeindruckte gleichermaßen wie die spürbare Energie, mit der sie zu Werke ging. Und das buchstäblich: Ihr Instrument – immerhin eine fast 300 Jahre alte „Lady Stretton“ – wurde ganz schön rangenommen. Wie sie die Wucht einerseits und die Wattewölkchenweichheit herausarbeitete, das war nicht nur sehens- , sondern vor allem hörenswert.
Balancesuchend zwischen Wildheit und Ruhe
Bereits der erste Satz, der kräftiges Tempo vorgab, also tatsächlich eine Wucht, die das ebenfalls energiegeladene Spiel der Cappella Aquileia bestens zu bekräftigen wusste. Die geradezu schmerzliche Innigkeit des zweiten Satzes geriet so tief, dass sie ins Herz schneiden konnte. Der dritte Satz, balancesuchend zwischen den fröhlichen Akzenten, die vor allem die Bläser setzten, aufflackernder Wildheit und feinschimmernder Ruhe, mag Clara Schumanns Urteil nachvollziehbar machen, die Vielschichtigkeit konnte auch die Zuhörer im Congress-Centrum mächtig aufwühlen. Grandios, was Noa Wildschut und Cappella Aquileia da geleistet hatten.
Lockende Verheißung und düsteres Drohen
Und dann Bruckner. Seine Sinfonie Nr. 3 d-Moll wurde zwar veröffentlicht, war jedoch kein Erfolg und auch in der Überarbeitung ein Debakel. Das sich im Congress-Centrum nicht wiederholen sollte. Im Gegenteil: Das Aufwühlen nahm kein Ende. Der erste Satz, von Bruckner als mehr langsam und misterioso gewünscht, war exakt das: geheimnisvoll und voller Andeutungen, Hinwendungen zum Vagen, Ungewissen, mal lockende Verheißung, mal düsteres Drohen. Und die Düsternis blieb auch über die weiteren Sätze. Da mochten noch so viele Passagen strahlender Schönheit, unbeschwerter Leichtigkeit und berührender Süße in Bruckners Werk stecken, und es gibt eine Menge davon, immer lauern da die geisterhaften Schatten, abrupt auftauchend, aufwallend und überwältigend, bis hin zum furiosen Schluss, dem die Streicher wie gejagt entgegenstreben. Auch hier: eine grandiose Leistung der Cappella Aquileia unter der Leitung von Marcus Bosch. Und auch hier: ein mitgerissenes Publikum, das ein paar Sekunden brauchte, um dann unter anderem im Stehen zu applaudieren. Zugabe? Die gab's zuvor von Noa Wildschut, die eine hinreißende Bach-Sarabande spielte. Die Cappella Aquileia beließ es beim Schluss mit Bruckner. Wer wollte das auch verdenken, nach der Anstrengung, die dieses sicher nicht nur das Publikum aufwühlende Werk erforderte. Und auch andererseits: Was hätte danach draufgepackt werden sollen?
Mit den Misserfolgen von einst ließ sich also ein überaus erfolgreicher Start der Meisterkonzerte gestalten. Die neuen Pfade, die Schumann und Bruckner seinerzeit beschritten haben – und so erklärt sich der Titel – mögen steinig und voller Hürden gewesen sein, letztlich aber nicht die Sackgasse, für die sie anfänglich gehalten wurden. Das Publikum am Dienstag wird sicherlich wieder bereit sein, sie zu beschreiten. Der Titel „Neue Pfade“ mag aber auch für Noa Wildschut gelten: Für eine Violinistin von solchem Talent und Können werden sich viele solcher neuen Pfade eröffnen.
Mit sechs Jahren bereits im Fernsehen: Noa Wildschut
Erst 22 Jahre alt ist die im niederländischen Hilversum geborene Noa Wildschut und sie hat jetzt bereits ihren Platz in der internationalen klassischen Musikszene. Im Alter von sechs Jahren trat sie bereits im Fernsehen auf und spielte live. Ein Jahr später gab sie ihr Debüt im Concertgebouw Amsterdam. Seit 2016 ist sie Exklusiv-Künstlerin bei Warner Classics. Regelmäßig wird sie zu Festivals, Recitals und Solokonzerten im In- und Ausland eingeladen. Sie spielt eine Geige von Giuseppe Guarneri del Gesù, bekannt als "Lady Stretton", entstanden ca. 1729 in Cremona, als Leihgabe eines Mitglieds der Stretton Society.