Wie Pianist Gerhard Oppitz seine besondere Magie entfaltete
Es war, das lässt sich ohne Übertreibung sagen, eine Sternstunde, die am Donnerstagabend in der Waldorfschule im Rahmen der Meisterkonzerte stattfand. Oder sollte in diesem Fall gesagt sein: Großmeisterkonzert? Denn „Großmeister“ war der Titel des Abends, und auch das war keine Übertreibung: Pianist Gerhard Oppitz, zu Hause auf den internationalen Bühnen der Welt, gab dem Heidenheimer Publikum die Ehre. Und einen Beleg seines Könnens, das mit „beeindruckend“ nur unzureichend beschrieben ist.
Es gibt ja Künstler, die mit großem Bohei schillern und glitzern, funkeln und blitzen – Gerhard Oppitz gehört nicht dazu. Bescheiden, ja geradezu zurückhaltend betrat er die Bühne, setzte sich an den Flügel und begann mit seinem Spiel. Und war für ein herausragendes Spiel war das, es ging geradezu eine Sogwirkung von ihm aus. Im Programm: Franz Schubert im ersten Teil mit der Klaviersonate C-Dur D840 und Drei Klavierstücken D946, und im zweiten Teil Franz Liszt mit der Ballade Nr. 2 h-Moll, Drei Petrarca-Sonetten aus „Années de pèlerinage“ und die Variationen über Bachs „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ am Schluss.
Und dieses ganze große und anspruchsvolle Programm legte Oppitz buchstäblich in seine Hände, übergab alles, Anspruch, Tempo und Dynamik, seinen Fingern, in denen die ganzen prachtvollen Werke abrufbar zu stecken schienen. Keine Noten nötig, alles besorgten diese unglaublich brillanten Finger, die nicht nur die Werke in vollendeter Schönheit erklingen ließen, sondern vor allem eines taten: Energie verströmen.
Scheinbar mühelose Sicherheit
Jeder Hauch, jede Brise, jede Böe in den Werken, und davon gibt es jede Menge, die für reichlich Turbulenzen auf den Tasten sorgen, die Finger, ihrerseits wohl mit einer geheimnisvollen Energie geladen, spürten diese auf und wandelten diese mit scheinbar müheloser Sicherheit in jenen Sog, der die Zuhörer förmlich in die Musik gleiten ließ. Schien Oppitz bereits vollkommen mit seiner Musik verschmolzen, so galt dies auch bald für das Publikum. Es war umhüllt von der Weichheit lieblicher Passagen, berührt von der immer wiederkehrenden bitteren Süße der Musik, die ans Herz greifen konnte, bewegt von Läufen in ganz natürlichem Fluss, mitgerissen von Sturmgebraus, grollenden Wogen und schäumenden Wellen. Was Gerhard Oppitz an Virtuosität und Musikalität bot, das ist in dieser Form selten zu erleben.
Die Hingabe des Publikums war Gerhard Oppitz sicher: Die Konzentration der Zuhörer war fast mit Händen zu greifen, so sehr waren sie von der Musik, von diesem eindringlichen und außerordentlichen Spiel in den Bann gezogen. Allein das Spiel dieser Goldfinger zu verfolgen, die ihrerseits einem ganz natürlichen Fluss zu folgen schienen, entfaltete bereits eine besondere Magie, die für das Ergebnis des Spiels umso mehr galt.
Beifall voller Bewunderung
Und diese Magie blieb auch über das Ende des Vortrags hinaus. Sie ließ die Zuhörer zunächst, noch ganz unter dem Eindruck stehend, verharren, sich sammeln, um dann den mehr als verdienten Beifall in überreichem Maße zu geben. Und das Großmeister-Erlebnis mit „Bravo“-Rufen und Applaus im Stehen zu honorieren. Mehrfach musste Gerhard Oppitz auf die Bühne kommen, denn der Beifall war lang und voller Respekt und Bewunderung. Dafür ließ Oppitz sein Publikum noch in Liszts „Liebestraum“ versinken – in eben jener Intensität und Energie, die dem ganzen Abend zu eigen war. Und Gerhard Oppitz blieb dabei bescheiden und zurückhaltend, wie er sich bereits den ganzen Abend lang ganz in den Dienst der Musik gestellt hatte.
Es mag Künstler geben, die furios funkeln und spektakulär schillern. Und es gibt eben jene wie Gerhard Oppitz, die schlicht leuchten.
Höchste Auszeichnungen
Gerhard Oppitz hat eines mit Johannes Brahms gemeinsam: Beide wurden mit dem Bayerischen Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet, der höchsten Auszeichnung Bayerns. Mit Leonhard Bernstein und Yehudi Menuhin vereint ihn der Brahms-Preis der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein, mit dem alle drei ausgezeichnet sind. Die internationale Karriere des mittlerweile 70-jährigen Gerhard Oppitz nahm 1977 ihren Anfang, als er als erster Deutscher den Arthur-Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv gewann. Konzertreisen durch Europa, Japan und USA folgten. 78 Schallplatten hat er aufgenommen, und immer wieder hat er vollständige Werkzyklen im Konzert gespielt. Bis 2013 hielt er eine Professur an der Musikhochschule München.