Abschied

Großturbinenhalle auf dem Voith-Gelände: Wo fast 100 Jahre lang das Herz von Voith Heidenheim schlug

Seit bald 100 Jahren ist die Großturbinenhalle das größte Gebäude im Voith-Stammwerk in Heidenheim. Sie überstand den Krieg und ihre Zeit als Lokomotiven-Werkstatt, nun steht der Abschied von jener Turbinenproduktion an, für die sie einst gebaut wurde. Gebraucht wird das Kulturdenkmal aber weiterhin. Ein Blick in eine riesige Halle voller Geschichten und Geschichte.

Eine Produktionsverlagerung weg aus Heidenheim? Das kam 1928 bei Voith absolut infrage. Die Brüder Walther, Hermann und Hanns Voith dachten auch lange darüber nach, ihre neue Produktionsstätte an einen „verkehrsgünstigeren“ Ort zu verlegen – mit einem Hafen, an einem Fluss, um die immer gigantischeren Wasserkraftanlagen besser abtransportieren zu können.

Doch die Voith-Brüder entschieden sich schließlich anders: Entwicklung und Produktion sollten zusammenbleiben, schon die Entfernung zur nur zwölf Kilometer entfernten Versuchsanstalt an der Brenz in Hermaringen war oft beschwerlich. Das neue Herzstück des Voith-Werks sollte unter dem Hellenstein entstehen.

„Der Chef zu Besuch: Hanns Voith in den 1950ern mit Gästen in der Großturbinenhalle“ Archiv HZ

Nur wo? Schon Friedrich Voith hatte im Süden Heidenheims gewaltige Flächen erworben, um seiner Fabrik Wachstum zu sichern. Aber die neue Montagehalle würde gewaltig werden: Bald 150 Meter lang. Man fand eine optimale Stelle an der Alexanderstraße, damals noch vor den Toren der Stadt. Doch dort stand schon ein Wohnhaus, und dessen Besitzer war kein Voithianer und mit gesundem Eigensinn ausgestattet. Tatsächlich war die erste Großtat für die Großturbinenhalle, das komplette Haus auf Schienen auf die andere Seite der Alexanderstraße zu verschieben, wo es das weitere Wachstum des Werks aber auch nicht lange überlebte. Der Bau konnte beginnen.

Die Großturbinenhalle: Ein Bauwerk der Superlative für Heidenheim

Was im Oktober 1929 in Betrieb genommen wurde, war ein gewaltiger Schritt nach vorne. Aus dem noch von Gründerzeitarchitektur beherrschten Werk stach die Halle mit moderner Schlichtheit hervor – und mit ihren Dimensionen: 134 Meter lang, 34 Meter breit, fast 22 Meter hoch. Keine „Schlosserei“ mehr, sondern eine Werft für Giganten, wie sie größer kaum sein konnte damals. Riesige Kräne hoben bis zu 75 Tonnen in jeden Winkel der Halle, und besonders stolz war man bei Voith auf die „Herkules“: Die enorme Karusseldrehbank des Düsseldorfer Herstellers Schiess-Defries wog 600 Tonnen und schaffte Werkstücke mit bis zu 18 Metern Durchmesser, das war einige Jahre lang Weltrekord.

„Rekord: Die Karusseldrehbank „Herkules“ war 1929 die größte Karusselldrehbank der Welt. Bis in die 2000er Jahre stand sie noch in der Halle.“ Archiv HZ

Ob Halle oder „Herkules“: Die Giganten an der Alexanderstraße wurde viel bestaunt und gerne gezeigt, und oft wandelten Direktoren oder gar die Voiths selbst plötzlich über die Galerien hoch über der Halle. Der Rest ist alte Voith-Legende: Arbeiter, die trotz der möglichen Beobachtung ein Nickerchen riskieren wollten, stellten sich angeblich an eine Werkbank, klemmten Ihre Latzhose im Schraubstock fest und konnten im Stehen schlafen, was aus der Höhe der Galerie niemand bemerkte.

Nie wieder Platznot? Es dauerte keine zehn Jahre, bis es Voith selbst in der riesigen Großturbinenhalle zu eng wurde. Doch die Pläne zur Erweiterung mussten in der Schublade bleiben. Deutschland begann den Zweiten Weltkrieg. 1942 wurde das 75-jährige Bestehe des Werks gefeiert, unter Hakenkreuzfahnen und natürlich in der Großturbinenhalle. Den bei Weitem größten Raum der Region wollten die Nazis übrigens gerne auch für eigene Veranstaltungen nutzen, Voith fand aber immer wieder Ausreden.

Voith Heidenheim: Im Krieg nicht bewusst von Bomben verschont

Den Krieg überlebte die Großturbinenhalle ohne nennenswerte Schäden. Nebenan baute man einen Hochbunker, den „Luftschutzturm“, Zwangsarbeiter gruben Luftschutzstollen – doch es fielen keine Bomben. Hatten die Tarnanstriche und Tarnnetze geholfen, mit denen Voith gerade die riesige Halle unsichtbar machen wollte? Hanns Voith wurde nach dem Krieg von US-Militärs ausgelacht für die Bemühungen: Die US-Armee hatte hoch detaillierte Luftbilder des Werks und wusste genau, dass bei Voith auch Munition, Luftschutzunterstände und Waffenteile hergestellt wurden. Die Großturbinenhalle und ganz Heidenheim wurden nicht bewusst verschont, es kam nur einfach zu keinem großen Angriff, ehe der Krieg zu Ende war.

„Bahnbetriebswerk in der Stunde Null: Nach dem Kriegsende wurden in der gigantischen Halle auch Dampfloks aus ganz Süddeutschland repariert“ Archiv HZ

Mit der Stunde Null konnten Voith und seine Großturbinenhalle ihre Vielseitigkeit beweisen, denn die Alliierten erteilten schnell die ersten Aufträge: In der unbeschadeten Monsterhalle konnten Dutzende vom Krieg beschädigte Dampfloks auf einmal repariert werden, um den Bahnverkehr wieder auf die Beine zu stellen. Und eine eigene Voith-Brückenbauabteilung fertigte gewaltige Metallträger für Bauwerke in ganz Süddeutschland. Und mit der Wiederaufnahme der normalen Produktion kamen auch die Ausbaupläne aus der Vorkriegszeit wieder auf die Tagesordnung: 1952 wurde die Großturbinenhalle erweitert und auf ihre heutige Länge von 206 Metern gebracht. Die nochmals gewachsene Gigantin ist dem Rauminhalt nach bis heute das größte Gebäude am Standort Heidenheim, auch wenn andere Hallen insgesamt länger oder breiter sind.

Produktion wandelte sich, die Halle blieb beständig

Sein originales, markantes Gesicht mit der riesigen (und nicht ganz korrekten) Aufschrift „Grossturbinenhalle 1929“ zeigt der Bau heute nur noch an seinem östlichen Ende. Zur Erchenstraße hin baute Voith 1991 einen Bürotrakt für den Turbinenservice an, 1999 wurde er zum Firmensitz von Voith Hydro aufgestockt und erweitert. Seither sieht man die Großturbinenhalle als Nicht-Voithianer nur noch aus der Ferne. Den Durchgangsverkehr auf der Alexanderstraße, an der Autos einst direkt die ganze Länge der Halle entlangfuhren, hat Voith seit Jahrzehnten vom Werksgelände verbannt.

„Kosmetik die Erste: 1991 baute Voith Büros für den Turbinenservice an die Westfassade der Halle“ Archiv HZ

In der Halle selbst herrschte über Jahrzehnte ein erstaunlicher Gegensatz: Die Produkte, die Turbinen mit ihren Laufrädern und Gehäusen, veränderten sich trotz gleichen Prinzips deutlich und waren immer auf dem modernsten Stand, die Kulisse der Halle indes zeigte enorme Beständigkeit. Kaum eine andere Halle bei Voith kann man auch auf sehr alten Aufnahmen bis heute so spontan wiedererkennen.

„Kosmetik die Zweite: 1999 wurde der Firmensitz von Voith Hydro vor die Westfassade gesetzt. Seither sieht man die Halle von der Erchenstraße aus nicht mehr“ HZ Archiv

So vorausschauend die gigantischen Dimensionen 1929 waren, so beständig blieb das Gebäude. Selbst „Herkules“ die 1929 weltgrößte Karusseldrehbank, blieb über 70 Jahre lang in Betrieb, sie wurde erst lange nach 2000 endgültig abgebaut. Praktisch für die Illustration dieser Geschichte, denn gemessen an der Prominenz der Halle gibt es gar nicht so viele Aufnahmen aus dem Inneren im Zeitungsarchiv.

Arbeitsschutz und Industriespionage: Zutritt zu Halle nicht einfach möglich

Freilich kann man bis heute auch nicht einfach so in die Großturbinenhalle spazieren und Fotos machen, das Gebäude ist fast ein Hochsicherheitstrakt, das gilt für mögliche Industriespionage und noch mehr in Sachen Arbeitsschutz. Würde Hanns Voith heute wie einst noch mit Hut und Mantel in die Produktion kommen, ohne Ohrstöpsel, Helm, Brille und Sicherheitsschuhe – man würde ihn nicht einlassen.

Und aus einem letzten Grund wird sich die Halle nicht mehr verändern: Schon heute, wenige Jahre vor ihrem 100. Geburtstag, ist die Großturbine ein Kulturdenkmal, ganz offiziell ein „bauliches Zeugnisses herausragender Bedeutung im Wasserturbinenbau in den 1920er Jahren“. Das bedeutet Schutz, dass man in der Halle aber bis heute prima arbeiten kann, schützt wohl noch mehr. Die wandelbare Gigantin hat sich noch immer angepasst.

Großturbinenhalle: Wie geht es weiter?

Für die Produktion von Wasserkraftturbinen hat Voith die Großturbinenhalle 1929 gebaut – nun aber will der Konzern die Produktion im Bereich Hydro konzentrieren, und zwar im Voith-Werk in Heidenheims österreichischer Partnerstadt St. Pölten. Für die Großturbinenhalle ist das mehr als nur ein symbolischer Verlust, doch die Lichter gehen in dem Großbau gewiss nicht aus: Schon heute werden in der Halle längst nicht nur neue Wasserkraftanlagen produziert, sondern vor allem auch alte Turbinen überholt und modernisiert, was bei den extrem langlebigen Anlagen immer wieder rentabel sein kann. Service bietet Voith Hydro in der Halle nicht nur für die Turbinen selbst, sondern auch für riesige Kugelschieber, Regler und sogar Teile der Generatoren zur Stromerzeugung. Den Bereich Service aber will Voith Hydro, nicht nur in Heidenheim belassen, sondern hier auch konzentrieren. Den Großturbinen würde die Großturbinenhalle dann weit über ihren 100. Geburtstag hinaus verbunden bleiben.

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