Grundlagenforschung bei der Glockengießerei Bachert in Karlsruhe
Die Bacherts gießen Glocken in der siebten Generation. Seit 1721. Und ehe 2003 alle wieder zusammengeführt worden waren, hatte es sogar gleich drei Bachertsche Glockengießereien gegeben: in Karlsruhe, Heilbronn und in Kochendorf bei Bad Friedrichshall. Viel älter aber noch als die Firmentradition ist die Art und Weise, wie Glocken gegossen werden. Und es hat sich daran so gut wie nichts geändert: Würde jetzt ein Geselle aus dem Mittelalter hereinspazieren, er könnte sofort mitarbeiten. Lediglich Ölofen, Kran und Schaufellader müsste man ihm erklären. Ansonsten aber geht’s bei der Herstellung von Glocken im Prinzip zu wie seit vielen Jahrhunderten. Und Albert Bachert, der Chef, sagt, warum: „Weil es sich bewährt hat. Wir machen das nicht aus Gewohnheit oder Faulheit.“ Mit industriellen Verfahren, die man durchaus auch schon ausprobiert habe, sei jedenfalls nie die erwünschte Qualität erreicht worden.
Am Ende klingt die Glocke. Wie sie klingt, das wiederum wird ganz zu Anfang festgelegt. Abhängig ist der Klang einer Glocke von Durchmesser, Höhe und Wandstärke, also von der inneren und äußeren Form. Deren Profile, die sogenannte Rippe, berechnet Albert Bachert und zeichnet sie auf ein Buchenbrett, das den halben Querschnitt der künftigen Glocke wiedergibt und zunächst am inneren Profil ausgesägt wird. Anschließend wird die hölzerne Rippenschablone an eine Metallspindel geschraubt, an der sie um die Mitte der entstehenden Glocke gedreht werden kann.
Archaische Zutaten
Nun mauern die Glockengießer aus Ziegeln – und etwas kleiner als das Innere der späteren Glocke – den sogenannten Kern, auf den nun immer feinere Lehmschichten aufgetragen werden, die solange mit der drehbaren Schablone geglättet werden, bis die Lehmschicht an deren inneres Rippenprofil angepasst und somit die Innenform der Glocke aufgebaut ist. Für Festigkeit und Geschmeidigkeit des Lehms werden diesem heute reichlich archaische, aber eben bewährte Zutaten wie Stroh, Kälberhaar und Pferdemist beigemengt.
Wenn die letzte Lehmschicht getrocknet ist, wird sie mit Rindertalg getränkt, der als Trennmittel dient, da nun auf die Innenform in weiteren Lehmschichten und mit Hilfe der inzwischen am äußeren Profil ausgesägten Schablone die sogenannte Falsche Glocke aufgebaut wird, die das genaue Gegenstück der späteren Glocke ist und zum Schluss ebenfalls mit Rindertalg bearbeitet wird.
Sollen die spätere fertige Glocke Inschriften, Verzierungen oder dergleichen schmücken, so ist nun der Zeitpunkt gekommen, diese in Bienenwachs geformt auf die Falsche Glocke aufzubringen, ehe darauf wiederum in weiteren Lehmschichten der sogenannte Mantel aufgetragen wird, wobei anfangs ganz besonders feiner Zierlehm verwendet wird, damit sich das Wachs besonders gut einprägen kann. Ist der Mantel fertig, wird die Form ausgebrannt. Dabei schmilzt das Wachs, hat sich aber als Negativ in den Glockenmantel gedrückt.
Wenn die Form wieder erkaltet ist, wird der Glockenmantel abgehoben. Die falsche Glocke darunter wird zerschlagen – und der Mantel anschließend wieder aufgesetzt. Zwischen dem Kern und dem Mantel ist so jetzt die Hohlform entstanden, die beim Guss mit der aus 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn gemischten, auch Glockenspeise genannten Glockenbronze ausgefüllt und so zur eigentlichen Glocke wird.
Freitag, 15 Uhr
Doch auch nach wochenlanger Vorarbeit ist der Moment für den Guss noch nicht gekommen. Denn zunächst einmal werden der Kern und der Mantel in ein mehrere Meter tiefes Loch, die Glockengrube gehoben, das, damit die Glockenmäntel dem immensen Innendruck standhalten, anschließend mit Erde ausgefüllt und festgestampft wird. „Festgemauert in der Erden“, wie es in Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“ heißt.
Und dann ist’s Freitag. Denn gegossen werden Glocken grundsätzlich freitags zur Sterbestunde Jesu Christi. Dies bedeutet, dass allerspätestens bis 15 Uhr die Glockenspeise auf 1080 Grad Celsius erhitzt sein sollte, damit sie pünktlich über gemauerte Rinnen zu den Gusslöchern und in die Hohlformen geleitet werden kann. Acht Glocken werden heute gegossen, sieben Tonnen Glockenspeise fließen. Vor dem Guss wird gebetet.
Jede Form in der Erde hat drei Löcher als Öffnungen. In der Mitte fließt das Metall hinein, außen schlagen zwei große Flammen heraus. Dort verbrennen die Gase, die während des Glockengusses in der Hohlkammer entstehen, die Luft entweicht aus der Form – und die flüssige Bronze kann ungehindert hineinfließen. Das geht ruckzuck, in wenigen Minuten ist alles vorbei. Für heute.
Denn erst nach einer Abkühlzeit von etwa vier Wochen wird die Glockenform ausgegraben. Nun wird der Mantel abgeschlagen und die Bronzeglocke vom Kern gehoben. Nach dem Säubern und Polieren der Oberflächen wird der erste Glockenschlag vollzogen. Nun endlich stellt sich heraus, ob die Glocke gelungen ist und den gewünschten Ton anschlägt. Hat es nicht geklappt, was selten vorkommt, aber eben auch nicht unmöglich ist, war die Arbeit eines Vierteljahres für die Katz.
Zirka hundert Glocken pro Jahr werden bei Bachert in Karlsruhe gegossen, in den 1950er-Jahren war es noch die fünffache Anzahl. Und das, obwohl es seinerzeit noch zehnmal so viele Glockengießereien in Deutschland gab wie heute, da gerade mal fünf Firmen übrig geblieben sind. „Die Zukunft unseres Gewerbes“, sagt Albert Bachert, „wird in der Erhaltung von Glocken liegen.“ Wozu auch die Fertigung von Holzjochen und von Glockenstühlen aus Holz zur Aufhängung und als Tragwerk der Glocken gehört.
Zwanzig Mitarbeiter sind bei der Firma Bachert beschäftigt, die nicht nur für den deutschen Markt produziert, sondern auch Kundschaft im Ausland beliefert, etwa in Slowenien, der Ukraine oder, wie 1992, die Kirche des olympischen Dorfes in Barcelona. Für den Landkreis Heidenheim wurde hier zuletzt im Jahr 2015 die mit knapp 1,3 Tonnen und 1,3 Meter Durchmesser schwerste und größte Glocke des Geläutes der Peterskirche in Dettingen gegossen.
Der Preis der Bronze
Die größte Glocke, die hier jemals hergestellt worden ist, wiegt 11,5 Tonnen und ziert, auf einem Sockel stehend, das Heim eines glockenverrückten Privatmannes. Die größte tatsächlich auch freischwingende und klingende Glocke, die das Haus Bachert in Karlsruhe jemals verließ, hängt im Turm des Hamburger Michels und wiegt 9040 Kilogramm. Über den Preis für eine Kirchenglocke spricht man nicht bei Bachert. Wenigstens die reinen Materialkosten aber kann sich jeder selber ausrechnen: Das Kilo Bronze wird derzeit für 10 Euro an der Börse gehandelt.