Großer Dank für den Artikel über die Aufführung der Matthäus-Passion. Er nahm die Lesenden mit in die dichte Atmosphäre in der Pauluskirche am Palmsonntag und beschrieb neben der musikalischen Leistung auch die Hingabe aller Beteiligten. „Die beiden Chöre, die Heidenheimer Kantorei und die Aalener Kantorei, brachten die Volksseele zum Kochen“: Mit diesem Aspekt der Bach’schen Musik hatten sich die Sängerinnen und Sänger der Heidenheimer Kantorei während der Probenarbeit eigens beschäftigt.
Bei der Johannes-Passion wird das Thema „antijudaistische Folgen“ eher thematisiert als bei der Matthäus-Passion. Nicht zuletzt, weil das Matthäus-Evangelium eine innerjüdische Auseinandersetzung um den „Messias Jesus“ spiegelt. Dennoch ist die Wirkungsgeschichte des christlichen Antijudaismus auch bei Matthäus nicht zu unterschätzen. Der fatale Satz: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ muss in historisch-kritischer Betrachtung als ein theologisches Narrativ eingeordnet werden. Nicht die Juden konnten ein Todesurteil erwirken. Das konnte nur die römische Besatzungsmacht. Der jüdische Mob, der die Kreuzigung Jesu fordert, gehört in eine ca. 80 Jahre nach Christus entstandene Komposition des Geschehens.
Dass Judas bei Bach furios zur Hölle fährt, ist eine emotional aufgeladene Vertonung des Verräter-Motivs mit starker Wirkungsgeschichte. Die Juden wurden im Mittelalter dann zu Jesus-Mördern und Opfern von Pogromen. In Nazi-Deutschland tauchte dieses Motiv, nun antisemitisch gegen die Juden gewandt, als an Häuserwände geschmierte „Juda verrecke!“-Parole auf. Es ist angemessen, bei den großen Gefühlen, die man sowohl beim Aufführen als auch beim Hören der Passionen durchlebt, sich bewusst zu sein: Wir stehen heute bei diesen Werken doppelt unterm Kreuz. Unter dem des Gekreuzigten, und unter dem der Geschichte eines christlichen Antijudaismus und seiner Folgen. Und zu christlicher Demut mahnt auch ein Gedicht des schweizerischen Pfarrers Kurt Marti über Judas: „Was war dein einer Verrat gegen die vielen der Christen der Kirchen, die dich verfluchen?“
Susanne Büttner, Aalen