Rollstühle für Ladakh

Wie der Ergotherapeut Wolfgang Günter aus Heidenheim Kindern im Himalaya hilft

Mit einer Heidenheimer Reisegruppe hat Wolfgang Günter Hilfsgüter in den nördlichsten Zipfel Indiens transportiert. Welches Projekt er unterstützt und wem er hilft:

Wie der Ergotherapeut Wolfgang Günter aus Heidenheim Kindern im Himalaya hilft

Wer eine Reise tut, der kann was erzählen. So spricht der Volksmund. Und er hat selbstverständlich recht. Denn wer reist, erlebt. Die besondere Heidenheimer Reisegruppe allerdings, von der nun die Rede sein soll, hat beim Erleben sogar noch geholfen. Und zwar Kindern in Ladakh.

Ladakh liegt im nördlichen Zipfel Indiens in Nachbarschaft zu Pakistan und China. Ladakh wird auch Klein-Tibet genannt. Und es gehört, ebenso wie unter anderem das richtige Tibet, Nepal oder Buthan, zu jener Hochgebirgsregion, die man den Himalaya nennt.

Von Duisburg nach Tibet

Von Heidenheim in den Himalya, das ist nicht unbedingt der nächste Weg. Es sei denn, Wolfgang Günter kommt ins Spiel. Dessen Wiege stand zwar im Ruhrgebiet, in Duisburg, also in einiger Entfernung von auch nur halbwegs stattlichen Bergen. Doch schon als Jugendlicher wurde er im Allgäu heimisch. Vor 25 Jahren schließlich kam er nach Heidenheim. Der Liebe wegen.

Und was ist mit dem Himalaya? Den bereist Wolfgang Günter seit 35 Jahren. Er hat ihn zweimal zu Fuß durchquert. Unter anderem. Er kennt sich jedenfalls aus. Und am liebsten geht er inzwischen nach Ladakh. Vor dreizehn Jahren war er zum ersten Mal dort. „Die buddhistische Kultur dort ist unzerstört“, sagt Wolfgang Günter. Anders als in Tibet, seinem Sehnsuchtsort von einst. „Das ist nicht mehr meine Welt. Und Lhasa ist längst eine chinesische Großstadt.“

Die Idee in Leh

Ladakh also. Und wie das so ist, wenn man das Land kennenlernt: Man lernt dabei auch immer mehr Leute kennen. Bei einer solchen Gelegenheit also traf Wolfgang Günter Karola Kostial. Diese hatte beinahe ein Jahrzehnt zuvor den Verein „Ladakh-Hilfe“ gegründet, der in der ladakhischen Hauptstadt Leh auf eigene Kosten ein Therapiezentrum für behinderte Kinder gebaut hat und betreibt. Das heute einheimische Betreuungspersonal, das sich inzwischen um 200 Kinder aus ganz Ladakh kümmert, wurde von Freiwilligen des Vereins ausgebildet. Im nächsten Jahr kommt eine Schule samt Wohnheim hinzu. Das Grundstück dafür spediert der indische Staat, der mit der Zeit ebenfalls auf die Leistungen des Vereins aufmerksam wurde.

Rollstühle für Leh: Wolfgang Günter im Therapiezentrum für behinderte Kinder in der ladakhischen Hauptstadt. Thukjay Targais

Wolfgang Günter jedenfalls war auf Anhieb angetan von dem, was die „Ladakh-Hilfe“ tat. Und wurde ein Teil des Ganzen. Zum Beispiel, indem der Buchautor und Fotograf die Projekte des Vereins mit den Erlösen von Film- und Diavorträgen unterstützte. Oder indem er seine Reisen nach Ladakh, die er nicht nur allein, sondern auch als Kopf kleiner Reisegruppen unternimmt, zu, wenn man so will, Hilfstransporten ausbaute. 40 Kinder-Rollstühle hat Wolfgang Günter auf diese Art und Weise bereits nach Ladakh gebracht. Die Reisenden verzichten obendrein auf Teile des eigenen Gepäcks und können so einige Kilogramm von solchen Sachen mitnehmen, an denen es in nicht nur im besagten Therapiezentrum, sondern vor allen in den entlegenen Dörfern fern der Hauptstadt mangelt: warme Winterschuhe, warme Kinderkleidung, Verbandsmaterial, Prothesen, Lesebrillen...

40 Rollstühle

Zu Kinderschuhen und dergleichen kommt Wolfgang Günter etwa über die Eltern der Kinder, die der Ergotherapeut bei seiner Arbeit in Kindergärten betreut. An Rollstühle für Kinder gelangt er über die in Oberhausen bei Karlsruhe angesiedelte Firma Sorg, die auf Rollstühle für Kinder spezialisiert ist und Wolfgang Günter immer mal wieder Ausstellungsstücke überlässt. Und zwei solcher Stühle und andere Hilfsmittel mehr waren auch mit an Bord, als sich Mitte September die von der Pforzheimerin Elke Osterloh ergänzte, ansonsten jedoch beinahe lupenreine Heidenheimer Reisegruppe mit Wolfgang Günter, Winnie Klaiber, Gabi Klaiber und Ulf Klaiber auf nach Ladakh machte.

Ihr Weg durchs Land führte sie dabei nicht nur in die 3.400 Meter hoch gelegene Hauptstadt Leh, sondern auch in das etwas ab vom Schuss gelegene Dorf Lingsheed, wo Wolfgang Günter seit jeher Station macht und bei dieser Gelegenheit diesmal auch ein Wiedersehen mit zwei ihm seit ihrem zwölften Lebensjahr bekannten, inzwischen erwachsenen und aus dem hauptstädtischen Therapiezentrum in ihre Elternhäuser zurückgekehrten behinderten „Kindern“ feierte. Für diese wird er sich nun in Deutschland auf die Suche nach zwei Erwachsenen-Rollstühlen machen. „Denn ohne Rollstühle sind sie gewissermaßen dazu verurteilt, liegend zu leben“, sagt Wolfgang Günter. „Sie sind nicht mobil. Aber nur, wenn sie im Rollstuhl durchs Dorf gefahren werden, werden sie sichtbar und von der Gesellschaft wahrgenommen. Und ein wenig hat sich an der Einstellung zu Behinderten deshalb auch schon geändert. Denn insbesondere auf dem Land wird durch den Buddhismus nach wie vor eine Behinderung mit einem schlechten Karma in Verbindung gebracht und schämen sich Eltern, obwohl sie ihre Kinder selbstverständlich lieben.“

Medizin und Mathematik

Lingsheed liegt übrigens auf 4.500 Meter und somit an der Grenze der Region, in der noch eine Art Wintergerste angebaut werden kann, das vergleichsweise schnell reifende und für die Menschen überlebenswichtige Getreide des Landes, das nach der Ernte geröstet wird, um es haltbarer zu machen. In noch höheren Lagen ziehen nurmehr Nomaden mit ihren Yak-Herden umher.

In solch abgelegenen Landstrichen gestaltet sich die im übrigen auch hier staatlich verwaltete und deshalb kostenlose medizinische Versorgung selbstverständlich weit schwieriger. Neben der traditionellen Kräutermedizin stehen reisende Ärzte zur Verfügung, die regelmäßig in den Außenposten vorbeischauen.

Auch die Verteilung von Hilfsgütern ist hier nicht mehr so einfach. „Für mich koordiniert das ein mit mir seit Jahren befreundeter Mönch, der sicherstellt, dass alles, was für behinderte Kinder oder ganz grundsätzlich auch die arme Bevölkerung gedacht ist, selbst in den entlegensten Dörfern auch bei den Empfängern ankommt.“

Die Mönchskultur, erzählt Wolfgang Günter, sei in ganz Ladakh noch so lebendig wie seit 2.000 Jahren. „Die Klöster ersetzen in den allermeisten Gegenden außerhalb der Hauptstadt auch die Schulen. Die Kinder werden nicht nur im Buddhismus unterrichtet, sondern lernen neben Lesen und Schreiben auch Englisch und haben Mathematik-Unterricht. Den Winter verbringen die Kinder nicht in den Klöstern, sondern in ihren Heimatdörfern.

Sehr hoch gelegen und sehr dünn besiedelt

Das indische Unionsterritorium Ladakh liegt nicht nur sehr hoch (gleich zwei Pass-Straßen führen auf deutlich über 5.000 Meter hinauf), sondern ist auch sehr dünn besiedelt. Auf knapp 60.000 Quadratmetern Fläche leben 275.000 Einwohner. Im ebenfalls nicht als Ballungsraum bekannten und fast hundertmal kleineren Landkreis Heidenheim leben auf 627 Quadratkilometern 135.000 Einwohner.