21-Jähriger muss nach Auseinandersetzung am Heidenheimer Rewe in Haft
Es war schon eine etwas kuriose Verhandlung, die da vor dem Heidenheimer Schöffengericht ablief. Auch am zweiten Tag des Prozesses gegen einen 21-Jährigen wegen gefährlicher Körperverletzung erschien das Opfer, das angeblich mit einer Wodkaflasche niedergeschlagen worden war, nicht zur Verhandlung. Der einzige Zeuge wollte sich plötzlich an gar nichts mehr erinnern und legte sich mit Richter Jens Pfrommer an.
Respekt vor dem Gericht? Fehlanzeige, der 18-Jährige lümmelte auf dem Zeugenstuhl und pampte den Richter an: „Was sind das für Fragen?“ Sehr detailliert hatte dieser Zeuge noch bei der Polizei ausgesagt, was sich am 22. Oktober 2022 in der Nähe des Rewe-Supermarktes angeblich abgespielt hatte. Jetzt behauptete er, sehr weit vom eigentlichen Geschehen entfernt gewesen zu sein. Er habe einen Schlag gesehen, wisse aber nicht, ob es der Angeklagte gewesen sei und ob eine Flasche im Spiel war. Richter Pfrommer zweifelte am Wahrheitsgehalt dieser Aussage und erinnerte den jungen Mann an seine Pflicht als Zeuge, und dass er sich auch strafbar mache, wenn er Dinge verschweige. Auch das beeindruckte den Mann nicht, der offenbar selbst kein unbeschriebenes Blatt ist: Zum ersten Verhandlungstag hatte er nicht kommen können, weil er inhaftiert war.
Jetzt könnte ihm auch die unglaubwürdig klingende Zeugenaussage Probleme bereiten. Staatsanwalt Philipp Schmidt bat um eine Abschrift, um sich diese offenbar noch einmal genau anzusehen.
Dass der 21-jährige Angeklagte unter Alkohol, den er in großen Mengen konsumiert, unberechenbar und aggressiv wird, war im Laufe des ersten Verhandlungstages immer wieder ein Thema gewesen. Was sich aber an besagtem Abend an der Brenz abgespielt hatte, ließ sich nicht eindeutig rekonstruieren. Eine Ohrfeige hatte der Angeklagte bereits zugegeben, aber den Schlag mit einer Flasche und Fußtritte gegen den am Boden liegenden Mann geleugnet.
Laufend machte der Angeklagte Ärger und war von der Polizei kaum zu bändigen
Letztendlich regte Staatsanwalt Philipp Schmidt an, das Verfahren in diesem Punkt einzustellen. Dennoch blieb eine Fülle an Anklagepunkten bestehen, bei denen es hauptsächlich um tätliche Angriffe, Körperverletzung, Widerstand und Beleidigungen in einer Vielzahl von Fällen gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten ging. Immer war dabei jede Menge Alkohol im Spiel, die Blutalkoholwerte lagen knapp unter der drei-Promille-Grenze. Wenn der Angeklagte betrunken unterwegs war, war Ärger programmiert. Gegenüber den alarmierten Polizisten agierte er dann dermaßen aggressiv, dass er kaum unter Kontrolle zu bringen war und auch vor tätlichen Angriffen nicht zurückschreckte. Ein Beamter hatte am ersten Prozesstag ausgesagt, dass ihm solch offene Aggression bisher nur selten begegnet sei. Eine treffende Beschreibung des Angeklagten gab Jugendgerichtshelfer Dieter Soika: „Im betrunkenen Zustand ist er ein Pulverfass, da scheint jede Hemmschwelle zu fallen."
Soika begleitet den Angeklagten schon seit mehreren Jahren und beschrieb ihn im nüchternen Zustand als freundlich und zugänglich. Dennoch hätten alle Versuche, Einfluss auf seinen Werdegang zu nehmen, versagt. Er sei zu keiner Suchtberatung bereit, habe sich schon als Jugendlicher allen gerichtlichen Weisungen widersetzt und sei immer wieder im Arrest gelandet, was ihn aber auch nicht beeindruckt habe. Alle Möglichkeiten, die das Jugendgerichtsgesetz biete, seien ausgeschöpft worden, aber ins Leere gelaufen. Der Angeklagte sei eindeutig reifeverzögert und es fehle ihm die Fähigkeit, vorausschauend zu denken, aber das werde sich aus seiner Sicht auch nicht ändern. Er habe keine Hoffnung, dass auf den Angeklagten noch erzieherisch Einfluss genommen werden könne. Soika sah eine Verurteilung nach dem Jugendstrafrecht deshalb nicht für sinnvoll an.
Völliges Unverständnis für die totale Verweigerung einer Suchtherapie
Und auch das war eine Kuriosität dieses Prozesses, denn Staatsanwalt Philipp Schmidt plädierte für die Anwendung des Jugendstrafrechts. Der Angeklagte sei nicht mit einem Erwachsenen gleichzusetzen. Er erhoffe sich einen erzieherischen Aspekt, und vielleicht schaffe der Angeklagte es, in der Jugendhaft eine Ausbildung zu machen. Der Staatsanwalt forderte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. Sowohl Soika als auch Schmidt äußerten Unverständnis, dass sich der Angeklagte einer Suchttherapie komplett verweigere. Auch Verteidiger Ulrich Carle plädierte für eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht. Bei seinem Mandanten handele es sich um einen klassischen Systemsprenger. Ein normaler Strafvollzug würde wenige Möglichkeiten bieten, um auf ihn einzuwirken.
Urteil wegen Körperverletzungen, Widerstand und Beleidigung
Das Schöffengericht verurteilte den 21-Jährigen schließlich wegen einer Vielzahl von tätlichen Angriffen, Körperverletzungen, Widerstands und Beleidigungen gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten sowie wegen einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad und einem Betrug gegenüber dem Jobcenter zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Die Anwendung des Jugendstrafrechtes sah das Schöffengericht als nicht gerechtfertigt an. Man sei überzeugt, dass der Angeklagte erzieherisch nicht mehr zu erreichen sei. Für ihn sei er ein Mensch mit zwei Gesichtern, so Richter Pfrommer. Wenn man mit ihm zu tun habe, denke man sich: Was für ein netter Kerl. Wenn man dagegen die Anklage lese, denke man sich: Was ist das für ein Monster?
Verfahren gegen Freundin eingestellt
Auch die Freundin des Angeklagten war wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Im Prozess hatte sie zugegeben, den Mann im Oktober 2022 bei einem Aufeinandertreffen in der Innenstadt geohrfeigt zu haben. Das vermeintliche Opfer war an beiden Prozesstagen nicht zur Verhandlung erschienen. Das Verfahren gegen die 21-jährige Frau wurde eingestellt.