Geschäftsübergabe

Heidenheims Nähmaschinen-Experten Gerlinde und Michael Häring schmieden neue Pläne

Im weiten Umkreis ist das Nähmaschinen-Geschäft von Gerlinde und Michael Häring an der Heidenheimer Grabenstraße das letzte seiner Art. Nun stehen Veränderungen an.

Warum näht die Maschine nicht, wie sie soll? Warum bricht die Nadel schon wieder? Oder warum spuckt sie erneut Fadensalat aus, statt glatter Nähte? Michael Häring benötigt meist nur einen Blick – und erkennt den Fehler, den er in der Regel auch beheben kann. Der 66-Jährige ist Nähmaschinenmechaniker und Meister seiner Zunft – einer der letzten.

Ein „Nähmaschinen-Flüsterer“, würde man prosaisch sagen, wenn man seinem Berufsleben einen Titel geben wollte. „Der Beruf ist interessant, jede Maschine ist anders und die Fehlersuche deshalb auch“, sagt Michael Häring. Wenn er die Probleme seiner Kunden lösen kann, macht das den Meister ebenso glücklich wie die Kundschaft, für die der Weg ins Fachgeschäft oftmals die letzte Rettung ist.

Der Beruf ist interessant, jede Maschine ist anders und die Fehlersuche deshalb auch.

Michael Häring, Nähmaschinenmechaniker

Der Beruf wird mittlerweile nicht mehr ausgebildet. Zusammen mit seiner Frau Gerlinde führt Michael Häring das letzte Nähmaschinen-Fachgeschäft mit Reparaturwerkstatt in Heidenheim. Als er vor 36 Jahren an der Grabenstraße begann, gab es dort noch vier solcher Geschäfte. Jetzt stehen auch bei den Härings Veränderungen an.

Dennis Bohnet führt den Laden in Schnaitheim weiter

Der Name Häring, den in Heidenheim viele mit geballtem Nähmaschinen-Fachwissen verbinden, wird bleiben – wenn auch unter neuer Leitung und ab dem 1. April an einem neuen Standort. „Lagerräumung wegen Umzug“ steht auf Plakaten im Schaufenster, doch das erzählt nur die halbe Geschichte. „Wir hatten das Glück, einen Nachfolger zu finden, der Nähmaschinen genauso liebt wie wir“, sagt das Ehepaar.

Das geschah quasi in letzter Minute – sonst hätten sie das Geschäft wohl über kurz oder lang aufgegeben. Doch wie der Zufall so will, traf sich das Ehepaar mit einem Fachmann aus Nähmaschinen-Händlerkreisen, den Michael Häring bereits seit seiner Lehrzeit 1976 kennt. Der Kreis schloss sich: Dieser Fachmann war vor seinem Renteneintritt auf seiner letzten Tour durch Deutschland und hatte den Kontakt zu dem Mann, der nun in die Fußstapfen der Härings treten wird: Dennis Bohnet. Er betreibt seit 15 Jahren ein Nähmaschinengeschäft in Ostdeutschland, suchte aber aus familiären Gründen nach einem Standort in Süddeutschland.

Im Schaufenster des Nähmaschinenfachgeschäfts Häring an der Heidenheimer Grabenstraße wird der Umzug seit einigen Tagen angekündigt. Rudi Penk

Diese Verbindungen in Händlerkreisen waren es auch, die den Blick der Härings von ihrer Heimatstadt Göppingen nach Heidenheim lenkten. Michael Häring hatte seinen Meister gemacht, wurde 1979 sogar Bundessieger im Nähmaschinenhandwerk und spielte mit dem Gedanken, sich selbstständig zu machen.

Warum die Härings sich für Heidenheim entschieden

Dabei zeigte sich Heidenheim 1989 beim ersten Besuch der Härings nicht gerade von seiner einladenden Seite. Im Gegenteil: Es war ein nebliger, düsterer Novembertag. Das Geschäft wirkte ebenso düster wie die Grabenstraße – mit bordeauxroten Wänden, verstaubten Regalen und einem alten Ölofen in der Ecke.

Und dennoch entschieden sie sich, in Heidenheim den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen – und sind geblieben. „Ich habe es keinen Tag bereut“, sagt Michael Häring. Seine Frau schon eher, wobei sie sich lachend an den ersten Kundenkontakt erinnert: ein muffig wirkender Mann, der ohne Worte mit der Nähmaschine den Laden verließ. Doch zum Glück stellte sich die Kundschaft dann doch als sehr viel netter heraus, als es der erste Eindruck vermuten ließ.

Bei Nähmaschinen ist das wie beim Fotografieren oder Rennradfahren. Das alte Modell funktioniert zwar noch, aber dennoch kauft man gerne das neuere.

Michael Häring, Nähmaschinenmechanikmeister

Heute ist die Verbundenheit groß: „Wir haben immer wieder Kunden, die sich ausdrücklich für die Beratung bedanken“, erzählt die 62-Jährige. „Deshalb ist das Internet als Konkurrenz für uns kein großes Problem“, sagt Michael Häring, der ebenso wie seine Frau auf Fachwissen setzt, das es kaum noch gibt – im Internet schon gar nicht. „Reparaturen werden immer wichtiger.“ Die Kundschaft kommt mittlerweile aus einem immer größeren Umkreis, erst neulich hatte er eine Anfrage aus Donauwörth.

Selber nähen: früher peinlich, heute angesagt

Die Branche hat sich seit den Anfängen der Härings stark verändert. Einst war eine Nähmaschine ein unverzichtbarer Bestandteil jedes Haushalts, heute ist Nähen vor allem ein Hobby. „Zum Abiball im selbst genähten Kleid – das ist total angesagt“, sagt Häring. Vor 20 Jahren wäre das eher peinlich gewesen. Wie beim Reparieren wird auch Beratung geschätzt. Deshalb sei der Online-Handel für sie kein großes Problem: „Ich will niemandem eine Maschine aufschwatzen“, betont Gerlinde Häring. „Es bringt nichts, wenn jemand mit einer teuren Maschine den Laden verlässt und dann feststellt, dass sie gar nicht zu seinen Bedürfnissen passt.“ Deshalb dürfen die Kunden die Maschinen vor dem Kauf testen – sogar mit eigenen Stoffen.

Michael Häring in der Werkstatt: Hier repariert er eine Coverstich-Maschine. Rudi Penk

„Bei Nähmaschinen ist das wie beim Fotografieren oder Rennradfahren: Das alte Modell funktioniert zwar noch, aber dennoch kauft man gerne das neuere“, sagt Michael Häring. Dass sich eine Neuanschaffung nicht lohnt, zählt nicht, wenn Nähen das große Hobby ist.

Zum Abiball im selbst genähten Kleid – das ist total angesagt.

Michael Häring, Nähmaschinenmechanikmeister

Wie bei der modernen Maschine, die Gerlinde Häring gerade im Laden aufgebaut hat: Unter der Nadel liegt ein Stoff, auf dem die kleine Hexe mit dem Raben Abraxas gestickt ist. „Wir schicken per WLAN ein Foto an die Maschine, die stickt das nach“, sagt Häring. Diese Technik gibt es erst seit fünf Jahren.

Die Stickmaschine arbeitet nach einer Fotovorlage. Gerlinde Häring testet an der kleinen Hexe, wie gut das funktioniert. Rudi Penk

Ein Abschied – aber nur ein halber

Ab dem 24. März ist der Laden an der Grabenstraße geschlossen. Die Werkstatt bleibt dort vorerst, aber der Verkauf zieht an die Straße „Am Jagdschlössle 41“. „Das letzte Haus auf der linken Seite, wenn man vom Bahnhof Richtung Aufhausen fährt.“ So hat es Gerlinde Häring den Kunden schon dutzende Male erklärt.

Wenn der Laden ab dem 1. April in neuen Händen ist, wollen die beiden kürzertreten – von 70 auf 20 Stunden pro Woche reduzieren. „Darauf freuen wir uns beide“, sagt Häring. Was aber nicht heißt, dass sie dem Nähen den Rücken kehren. „Ich freue mich, dass ich in der Werkstatt mal was aufarbeiten kann“, sagt der Meister. Und Gerlinde Häring will endlich mehr Zeit haben, selbst zu nähen.

Klar ist: Ihr Wissen wird weiterhin gefragt sein. Und solange Fäden reißen und Maschinen klemmen, wird Michael Häring eine Lösung parat haben.

Was mit dem Haus geschieht

Was mit dem Laden an der Grabenstraße nach dem Auszug geschieht, darüber haben die Härings als Hauseigentümer noch nicht entschieden. Michael Häring lässt die Nähmaschinenwerkstatt im hinteren Bereich erst einmal bestehen, auch wenn der Laden selbst nach Schnaitheim umzieht. Grund des Umzugs war laut Angaben der Härings eine bessere Erreichbarkeit des Ladens auch mit dem Auto, die an der Grabenstraße eingeschränkt ist.

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