Im Hausbart auf Heidenheims steilsten Gipfel
Es pfeift, es piept, je schriller der Ton, umso steiler geht’s rauf. Unzählige Male dreht man sich im Kreis, mal links, dann wieder rechts, auf einem unsichtbaren Pfad, geleitet von einem dünnen Faden, der zeigt, ob die Richtung stimmt. Der Weg ist mühsam, man schwitzt, geblendet von der Sonne, pro 100 Meter wird es zum Glück ein Grad kühler. Die Talstation? Für manche eins der schönsten Fleckchen weit und breit. In Urzeiten Schauplatz eines apokalyptischen Infernos, doch jetzt idyllisch, fast vergessen, am Rand des Steinheimer Meteorkraters: die Schäfhalde.
Die Wochenenden im Sommer sind reserviert fürs Segelfliegen
Hier ist die Fliegergruppe zu Hause und ich bin Mitglied. Heißt: fast jedes Sommerwochenende gibt es Mikroabenteuer und immer wieder als Belohnung für die Mühen das eingangs Beschriebene: ein Aufstieg auf den Gipfel sozusagen, getragen von aufsteigender, von Sonnenlicht erwärmter Luft, ganz ohne Propeller, ohne Motorlärm.
Beschreiben lässt sich kaum, warum es wie von Geisterhand nach oben geht. Verstehen wird man es, wenn man es wirklich lernen will und dranbleibt. Erleben kann man es bei einem Schnupperflug.
Die Mikroabenteuer auf der Schäfhalde beginnen eigentlich schon vor dem Flugbetrieb: ist man mal wieder abgeschnitten von der Außenwelt, weil ein großes Sportevent stattfindet? Steht vielleicht ein mobiles Häuschen neben oder liegen Stöckchen auf der Landebahn? Hat es womöglich unter der Woche geregnet und das ist Gras pünktlich zum Wochenende in die Höhe geschossen? Haben Wildschweine an der Landebahn genagt?
Fünf Teilnehmende reichen, um den Flugbetrieb auf der Schäfhalde zu starten
Sind die Hürden also erstmal überwunden und genug Segelflugbegeisterte zusammengekommen, zu fünft lässt sich die Heide in einen Flugplatz verwandeln, geht es los: 16 signalfarbene Hütchen markieren den Rand der Landebahn, ein auf dem Gras ausgerolltes T aus rotem Stoff zeigt, wo man das Flugzeug später aufsetzt. Ein Flatterband zeigt Zuschauerinnen, wo sonst ein Zaun wäre, der Tower ist ein ehemaliger Feuerwehrbus.
Als Starthilfe wird die Winde in Stellung gebracht: ein Oldtimer-Lkw mit zwei Seiltrommeln an einem V8-Motor statt Ladefläche. Das Seil wird ausgezogen, das Segelflugzeug je nach Windrichtung in Position gebracht und eingehängt. Checkliste, Funksprechprobe, Daumen hoch, ready for Takeoff.
Straff, fertig, frei, heißt es dann tatsächlich beim Start. So schnell wie dieser Satz gelesen war, hat das Flugzeug den Boden verlassen. Von Null auf Hundert in weniger als zwei Sekunden. Eine scheinbare Ewigkeit hingegen ist die nächste halbe Minute: Der Oldsmobile V8 röhrt und zieht den Flieger auf 300 Meter über dem Boden, zehn Meter pro Sekunde. Nach dem Ausklinken ist man plötzlich auf die Sonne als Energielieferant angewiesen, ganz ohne Scherpa auf dem Weg zum Gipfel, um im Bild vom Anfang zu bleiben.
Unsichtbare Strömung zieht einen wie von Geisterhand nach oben
Was nun pfeift ist die Luft, was piept, das Variometer. Das Instrument macht einen entsprechend schönen Ton, wenn man im Aufwind ist. Wenn’s abwärts geht, ist der Ton hingegen ziemlich nervig. Der nun folgende und in Jahren erlernte Lifehack zum Abschluss in Kürze: gleitet man in aller Ruhe eine Runde oder zwei, trifft man fast immer auf den legendären Schäfhalde-Hausbart. Je nach Wind und Wetter ist das ein unsichtbares, schlauchförmiges Gebilde aus Luft, die aufsteigt. Dreht man hier ein und bleibt in diesem dünnen Schlauch, kreist unzählige Male, genießt das schöne Piepen des Variometers und behält den auf der Cockpithaube aufgeklebten roten Faden im Blick, ist die Fahrkarte schon gelöst und es geht immer steiler nach oben.
Der rote Faden ist in unserem Fall also keine Metapher. Das profanste Instrument an Bord ist gleichzeitig das Zuverlässigste. Es zeigt nämlich an, ob man noch ernst nimmt, was man als Flugschüler einst gelernt hat.