Immer mehr Kinder in Heidenheim sind verhaltensauffällig
Die aktuellen Krisen schlagen auf Kinder, Jugendliche und Familien durch: Die Fallzahlen derer, die sozialpädagogische oder psychologische Hilfe benötigen, steigen im Landkreis Heidenheim. Gleichzeitig schlägt in den sozialen Berufen der Fachkräftemangel durch, die Belastungen der Helfer steigen.
Welche aktuellen Herausforderungen hat die Jugendhilfe im Landkreis Heidenheim derzeit zu bewältigen? Und welche Lösungsansätze könnte es geben? Dieser Frage ist die Landkreisverwaltung in den vergangenen Wochen intensiv nachgegangen und hat dazu alle Träger der Jugendhilfe im Landkreis Heidenheim mit ins Boot geholt, die ambulante und stationäre Hilfen anbieten.
„Schaffen wir es, Szenarien zu vermeiden, wie in anderen Landkreisen, wo Jugendhilfemitarbeiter Jugendliche mit nach Hause nehmen, weil es keine Träger gibt?“, sagte Sozialdezernent Matthias Schauz im Jugendhilfeausschuss des Kreistags eingangs, wo Jugendhilfeplaner Robin Schwarz die Ergebnisse vorstellte. Vier Vertreter der 15 Jugendhilfeträger trugen zudem die Probleme aus ihrer Sicht vor und benannten Lösungen. Beantragt hatte diese Analyse die CDU/FDP-Fraktion im Rahmen der Haushaltsberatungen.
Kindeswohl steht im Mittelpunkt
Mit der Problematik steht der Landkreis Heidenheim nicht allein da. Jugendhilfeplaner Robin Schwarz berichtete von landesweit zunehmenden Fallzahlen in der Jugendhilfe. „Hierfür wird immer mehr Personal benötigt, mehr als auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht.“ Dies sei ein Teufelskreis: Ambulante Hilfen würden verschleppt, weil nicht genügend Personal vorhanden sei. Um Kindeswohlgefährdungen abzuwenden, müssten immer mehr Heranwachsende in stationären Einrichtungen aufgenommen werden. Und auch hier drohen die Plätze eng zu werden oder gar der Rückzug von Trägern wegen unzureichender Kostendeckung.
Britta John vom Kinderschutzbund, Juri Marker für das HSB-Sportinternat, Christine Schulten von der Awo und Matthias Linder von der Eva Heidenheim schilderten aus der Praxis.
Träger berichten aus der Praxis im Landkreis Heidenheim
„Die Fälle sind herausfordernder geworden, viel mehr psychische Abweichungen sind an der Tagesordnung, die die Arbeit erschweren“, sagte zum Beispiel Juri Marker. Schuld daran seien nicht nur die Folgen der Coronazeit. Marker nannte kulturelle Einflüsse, Sprachproblematik, hohes Suchtverhalten, Abhängigkeit von Medien. Zudem nähmen auch die Erkrankungen der Eltern zu, was sich auf die Kinder auswirke. „12 bis 16 Wochen Wartezeit für die Kinder- und Jugendpsychiatrie sind keine Seltenheit in Heidenheim.“ Die Folge sei, dass das System überlastet werde.
Schaffen wir es, Szenarien zu vermeiden, wie in anderen Landkreisen, wo Jugendhilfemitarbeiter Jugendliche mit nach Hause nehmen, weil es keine Träger gibt?
Matthias Schauz, Sozialdezernent
Weil die Fälle viel komplexer geworden seien, benötigten die Mitarbeitenden mehr Zeit. Nicht zuletzt auch durch den erhöhten bürokratischen Aufwand führe das dazu, dass die Vergütungsvereinbarungen die tatsächlichen Kosten nicht mehr deckten. Darin waren sich alle Träger einig, egal ob von ambulanten als auch stationären Angeboten. Matthias Linder zeigte das Beispiel der Eva Heidenheim auf, die mit vier Wohngruppen eine der zwei Anbieterinnen für stationäre Betreuung im Landkreis ist und im vergangenen Jahr bei der stationären Hilfe 177.000 Euro Verlust geschrieben habe.
Das sind die Lösungsvorschläge
Doch es wurden nicht nur Probleme beschrieben, sondern auch Lösungsansätze präsentiert. Zum Beispiel in punkto Ausbildung und Fachkräfte: „Wir haben die einmalige Chance, dass wir die Duale Hochschule vor Ort haben“, sagte Britta John und nannte speziell den Studiengang „soziale Arbeit“. Genau das seien die Studierenden, die nicht im Büro, sondern in der Praxis arbeiten wollten. In der Ausbildung habe sich gezeigt, dass der Turnus drei Monate Praxis und Theorie im Wechsel nicht funktioniere. Die Idee: Ein Prototyp-Studiengang mit einem anderen Turnus ähnlich der dualen Ausbildung mit zwei Hochschul- und drei Arbeitstagen. „Vielleicht bieten dann auch mehr Träger einen Ausbildungsplatz an.“ Überarbeitet werden sollten auch die Lehrpläne, denn Träger meldeten zurück, dass die Studierenden für die Praxis nicht gut vorbereitet seien.
Christine Schulten von der Awo sprach formale Hürden bei den ambulanten Hilfen an. Ihre Vorschläge, die starren Zeitvorgaben lockern, Fallbesprechungen ermöglichen und Vergütungsvereinbarungen überarbeiten. Britta John sprach im Namen aller Träger den Wunsch aus: „Wir bitten zu bedenken, wie wichtig soziale Arbeit ist.“
CDU-Kreisrat Dr. Stephan Bauer (Heidenheim) unterstrich dies: „Jeden Cent, den wir in Jugendhilfe finanzieren, können wir später an anderer Stelle einsparen.“ Wahrscheinlich werde es ohne finanzielle Ausstattung nicht gehen, deutete er auf den kommenden Kreishaushalt.
Dass auch der Kreisverwaltung an Lösungen gelegen ist, sagte Robin Schwarz. Er verwies auf eine bereits anberaumte Konferenz Ende des Monats, wo über die Lösungen noch einmal konkret beraten werden soll. Auch Landrat Peter Polta zeigte sich offen, wenn auch ohne konkrete Zusagen: „Es ist nicht so, dass wir Sparfüchse sind. Wir müssen schauen, was machbar ist.“
Das sind im Landkreis Heidenheim die Träger in der Jugendhilfe
Diese Institutionen und Verbände bieten ambulante und stationäre Hilfen für Heranwachsende und Familien an: Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Heidenheim, Arge Inklusion, Bekamo Jugendhilfe, Caritas Ost-Württemberg, Familien und Kommunikationszentrum Blickpunkt Kind, HSB Sportinternat, Kinderschutzbund Heidenheim, Epia Erlebnispädagogik im Alltag, Eva Heidenheim, Jugend- und Erwachsenenhilfe Seitz, Life – Hilfe für Familien, My Way Praxis für Jugendhilfe, Supervision und Coaching, Pädagogische Praxis Jung, Sozialpädagogisches Forum, Verein Freie Michaelschule.