Mikroabenteuer in Heidenheim

In einem Land vor unserer Zeit

Eigentlich war Fußball geplant. Das muss der Autor aus grundsätzlichen romantischen Gründen verweigern. Er reist stattdessen kurzentschlossen in die eigene Vergangenheit.

In einem Land vor unserer Zeit

Mikroabenteuer. Was es nicht alles gibt! Und was nicht alles von einem verlangt wird. Mikroabenteuer. Die kommen vielleicht auf Ideen, die Kollegen. Und das mir. Einem geborenen Makroabenteurer. Habe ich schon mal erzählt, wie ich damals in den Ardennen, äh in den Great Smokey Mountains natürlich, Auge in Auge mit dem Schwarzbären...

Mikroabenteuer. Wie klein darf’s denn sein? Streng beim Wort genommen, handelt es sich bei einem Mikroabenteuer um den millionsten Teil eines Abenteuers. In Zahlen ausgedrückt, haben wir es hier mit zehn hoch minus sechs zu tun, es stehen also sechs Nullen vor dem Abenteuer. Das ist so klein, dass selbst Barfußlaufen für einen Tag wie die Besteigung des K2 wirkt. Und barfuß gelaufen ist man früher jeden Tag.

Heimspiel hinterm Altar

Früher? Der wird doch nicht… von früher erzählen? Aber was bleibt einem denn übrig, außer geschwätzig zu werden, wenn man älter geworden ist? Mit Mikroabenteuern fängt man da nicht mehr an. Es sei denn, man begriffe als ein solches schon die ja tatsächlich bereits bestandene Herausforderung, sich unbedingt die letzte Folge der Sommerserie zu sichern, um im Fall des Falles letztendlich völlig gefahrlos am Auftrag vorbeischwadronieren zu können.

Als ob ich es geahnt hätte. Denn geplant war tatsächlich alles ganz anders. Mein Mikroabenteuer wäre gewesen, mich am ersten Heimspieltag des Bundesligisten FC Heidenheim hinterm Altar in der Michaelskirche zu verstecken. Warum? Das will ich glatt erzählen.

Klerikale Couture

Zunächst einmal: Auf diesen sagenhaft originellen Gedanken gebracht hatte mich die Lektüre eines der zahlreichen Artikel hier in der HZ, in denen es um Möglichkeiten einer erweiterten Nutzung der Michaelskirche ging, die der evangelischen Kirchengemeinde bekanntlich finanziell auf dem Magen liegt. Dekan Gerd Häußler hatte in diesem Zusammenhang die Idee geäußert, die Kirche als Bindeglied zwischen Innenstadt und Schlossberg anbieten zu wollen. Denn wenn man die Türen vorne und hinten öffne, sei das der kürzeste Weg von der Stadt hinauf zum Schlossberg. Damit könne die Kirche auch für Fußballfans interessant werden, die auf dem Weg ins Stadion in der Kirche haltmachen wollten. So etwas gebe es zum Beispiel bei Borussia Dortmund.

Vor der Tür: das Tarntrikot von hinten. Rudi Penk

Jetzt aber: Was für ein Abenteuer! Beinahe schon mega, also eine Größe, bei der das Abenteuer vor sechs Nullen steht. Und der Abenteurer im Tarnanzug antritt. Denn selbst fromme Fußballfans – doch, die gibt’s’, wo jetzt ja sogar schon Gott queer sein soll – sind nicht vorrangig unterwegs, um die andere Wange hinzuhalten. Weshalb es sich vielleicht anbietet, ihnen in einem gewissermaßen neutralen und dazu in gleichsam klerikaler Couture gehaltenen Trikot zu begegnen. Für solche Fälle hat man ein Leibchen im Schrank, wie es einst in den heißen Nächten ferner Serie-A-Tagen die Spieler der US Città di Palermo trugen. Schwarz. Mit Goldrand.

Zehn hoch minus dreißig

Also: Her mit den frommen Dortmundern! Tja, und da war das Abenteuer auch schon wieder vorbei. Denn wer kam zum ersten Heimspiel der Heidenheimer, dem ersten überhaupt in der Bundesliga, aber auch gleichzeitig dem letzten vor dem Ende unserer Sommerserie? Wer kam? Hoffenheim. Hoffenheim! Der Dorfverein. Die Langeweile in Fußballstiefeln. Keine Tradition. Und keine Fans. Zumindest keine, mit denen sich ein Fußball-Romantiker befassen müsste, der sich das Recht und die Freiheit zubilligt, Retortenklubs grundsätzlich nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sonst kämen wir am Ende noch dorthin, wo der Fußball inzwischen bereits gelandet ist.

Hoffenheim! Das wäre kein Mikroabenteuer, das wäre ein Quektoabenteuer, zehn hoch minus dreißig, dreißig Nullen vor dem Abenteuer, der quintillionste Teil eines Abenteuers. Muss man gar nicht erst ausprobieren. Also geplatzt, die Geschichte! Eigenmächtig verweigert. Doch kein Heimspiel mehr vor der letzten Folge der Sommerserie. Was nun?

Retten, was zu retten ist, selbstverständlich. Die Serie braucht einen letzten Teil. Und sie bekommt ihn. Eigentlich schon die ganze Zeit, was einem beim Lesen vielleicht gar nicht so auffällt. Allerdings fehlt jetzt noch die Kurve, um aus dieser bisherigen Geschichte wieder herauszukommen, diesen letzten Teil der Serie anständig zu einem Ende zu führen.

Freibad statt Flugzeug

Es ist dies die Zeit, den Joker ins Spiel zu bringen. Aber klein sollte er sein, mikro eben. So klein vielleicht, wie der Erzähler früher gewesen ist, als Knirps. Ein Knirpsabenteuer, das wär’s, erlebt in einer Zeit, als eher die Welt noch klein war und dafür Abenteuer noch grundsätzlich etwas Großes.

Sogar Reisen waren Abenteuer, weshalb man sie selten wagte. Geflogen wurde ja noch kaum, schon gar nicht in Urlaub. Und eine Zugfahrt in ein weit entferntes Land wie Jugoslawien, ein Land vor unserer Zeit, das nicht mehr existiert, konnte schon mal ein paar Tage dauern. So was machte man nicht mehrmals im Jahr. Und in der Tat kann ich mich nur an zwei gemeinsam mit meinen Eltern unternommene Reisen erinnern. Ansonsten blieb man in den Ferien zu Hause. Ins Freibad zu gehen, war damals lustigerweise noch kein Abenteuer.

Nicht mal ein Knirpsabenteuer. Das kommt jetzt. Es erzählt eine Begebenheit aus dem Spätsommer des Jahres 1963 und schildert tatsächlich die allererste Lebenserinnerung eines gerade mal Dreijährigen. Das Knirpsabenteuer. Oder mein allererstes Mikroabenteuer, wenn das besser klingen sollte.

Die letzte Fähre

Es ist Nacht im Hafen der Stadt Rijeka. Am Kai sitzt eine müde Familie auf ihren Koffern. Die letzte Fähre ist längst gefahren. Was jetzt? Womöglich ist die Familie etwas unruhig geworden. Und womöglich hat ja so etwas wie Aufregung das Gedächtnis des Knirpses in Gang gesetzt. Wie er dorthin gekommen war, weiß er heute nicht mehr. Aber wie er heil durch diese Nacht gekommen ist, das schon.

Mein Vater, ein echtes Kind des Ruhrpotts, also auch bar jedweder Berührungsangst, war einfach zum nächstgelegenen Wohnhaus spaziert und hatte die Türklingel betätigt. Das nächste, an was ich mich erinnere, ist dann das große Ehebett der Leute, die der Mann ohne jede Fremdsprachenkenntnis aus dem Schlaf geklingelt hatte, und das diese, gerade mal achtzehn Jahre nach einem Krieg, der hier unter einer deutschen Besatzung und einiger Zerstörung geendet hatte, einer wildfremden deutschen Familie überließ. Einfach so. Eine große Geste unter kleinen Leuten, die ich selbstverständlich erst später verstanden habe, aber offenbar sofort spürte. Sie blieb im Gedächtnis. So wie die nächste Aufregung frühmorgens gleich mit: Eine Fahrt im rasend schnellen Tragflächenboot, einer damals noch recht neuen Erfindung. Der Knirps im Heck gleich unter der im Wind knatternden Trikolore mit dem roten Stern. Das Ziel? Mali Losinj, das kleine Losinj, Mikro-Losinj gewissermaßen . . . Ende der Serie.

Hier gibt es noch einmal alle Teile der Serie "Mikroabenteuer" zum Nachlesen.