20 Jahre danach

K2-Morde an drei Heidenheimer Jugendlichen: Eine Mutter und ein Freund erinnern sich

Die K2-Morde an drei Heidenheimer Jugendlichen sind auch 20 Jahre danach nicht vergessen. Bis heute hat die Bluttat tiefe Spuren in den Familien und bei Freunden hinterlassen. Der 19. Dezember bleibt ein Tag der Trauer. Eine Mutter und ein Freund erinnern sich.

Es war der Freitagabend vor dem Weihnachtsfest, der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien, als Leonhard S. um 23.30 Uhr drei junge Menschen vor der Heidenheimer Disco K2 mit einem Messer angriff und tödlich verletzte. Viktor (15) und Waldemar (16) starben am Tatort, Alex (17) kurz darauf im Krankenhaus. An Heiligabend wurden sie beerdigt. Eine Tat wie diese gab es davor in Heidenheim nicht.

Ein halbes Jahr nach der Tat verhandelte die 2. Jugendkammer des Ellwanger Strafgerichts – wie bei Jugendstrafsachen üblich – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das Gericht verhängte eine Jugendstrafe von neun Jahren. Zehn Jahre wären die Höchststrafe für das Totschlag-Verbrechen gewesen.

Der Täter wurde von Berlin nach Heidenheim geschickt

Über das Motiv und die Umstände wurde viel gerätselt. Womöglich hätte es an diesem Abend auch jeden anderen treffen können. Es sei keine Tötung aus rassistischen Gründen gewesen, sagte Staatsanwalt Armin Burger. Jedoch sei das Verbrechen ohne den ausländerfeindlichen Hintergrund des Angeklagten nicht erklärbar. Aufgewachsen war Leonhard S. in Berlin, seine Eltern schickten ihn zu einem Onkel nach Heidenheim, nachdem er in rechte Kreise abgeglitten war und sie keinen Zugang mehr zu ihrem Sohn fanden.

Der Täter Leonhard S. saß acht Jahre seiner Haftstrafe ab, bevor er entlassen wurde. Ein Jahr später, im Sommer 2012, nahm sich der damals 26-Jährige in Berlin das Leben.

Gedenken in Heidenheim auch 20 Jahre danach

Trost oder Erleichterung schenken kann das den Familien nicht. Für sie ist die Tat immer noch unbegreiflich. Jedes Jahr treffen sich Familie und Freunde am K2, legen Blumen ab und zünden Kerzen an und gehen dann zu den Gräbern der drei Opfer, um gemeinsam zu trauern und an die Söhne, Geschwister und Freunde zu denken. Auch an diesem 19. Dezember 2023 – 20 Jahre danach.

Niemals habe sie gedacht, dass in so einer kleinen Stadt wie Heidenheim so etwas passieren könne, sagt die Mutter von Waldemar und gibt Einblicke, wie die Familien der Opfer die Tatnacht und die Zeit danach bis heute erlebten. „Heiligabend existiert bei uns nicht mehr. Seit wir unsere Kinder verloren haben, ist das der traurigste Tag“, sagt die Mutter. „Wir haben an dem Tag das Allerschönste, was wir gehabt haben, zu Grabe getragen.“

Wie die Familien vom Tod ihrer Kinder erfuhren

Die Tatnacht wieder ins Gedächtnis zu holen, ist auch heute noch mit Trauer, Unverständnis und Wut verbunden. „Die Polizei hat in der Nacht versagt“, so das Urteil der Mutter. Kein Beamter habe ihnen Bescheid gegeben, sondern eine Freundin klingelte nachts um halb drei an einer Haustüre und habe berichtet, dass die Jungs schwer verletzt im Krankenhaus seien. Die Familien fuhren sofort auf den Schlossberg und mussten dort vom Tod ihrer Kinder erfahren.  „Ich wurde bewusstlos“, erinnert sich Waldemars Mutter. In der Tatnacht noch fuhren die Familien zur Polizei, dort habe man ihnen die Sachen ihrer Kinder gezeigt. Was genau passiert war, darüber habe nie jemand die Familien informiert.

„Wir haben alles nur aus der Zeitung erfahren“, sagt die Mutter. Später habe die Familie einen Anwalt eingeschaltet und erst eine Woche vor Beginn der Gerichtsverhandlung Akteneinsicht bekommen, vier Ordner voll mit Berichten und Bildern.

Wie die Familien die Gerichtsverhandlung erlebten

Die vier Tage im Gericht seien der Horror für die Familien gewesen, sagt die Mutter. „Die Erinnerung tut auch 20 Jahre danach noch weh.“ Was sie bis heute wütend macht, ist, dass ihre Kinder immer wieder in die Ecke der Täter geschoben, der Täter hingegen als Opfer dargestellt worden sei und von Notwehr gesprochen habe. „Dabei hat er ihnen mitten ins Herz gestochen und ihnen keine Chance gelassen. Er hat sie abgeschlachtet.“ Im Gericht habe sie erfahren, dass der Täter der Neonazi-Szene angehörte. Er habe im Wald in Berlin an Puppen geübt, wie man tödlich zusticht. Für die Frau ist klar, dass es eine politisch motivierte Tat war.

Wehgetan habe der Vorwurf, ihr Sohn sei nicht integriert gewesen. „Mein Sohn war gerade einmal zwei Jahre alt, als wir nach Deutschland kamen. Er ging in Mergelstetten in den Kindergarten, besuchte die Schule, sprach Schwäbisch und verstand kein Wort Russisch. Wie lange muss man denn in Deutschland wohnen, um integriert zu sein?“

Wie ein Freund die Tatnacht in Heidenheim miterlebte

Spuren hat die Tat auch bei den Freunden hinterlassen. „Da war plötzlich ein Riesenloch im Freundeskreis“, erzählt einer, der damals 15 Jahre alt war, als die Tat geschah. Nie werde er die Beerdigung vergessen. „Wir waren alle überfordert an dem Tag, es war kalt, wir hatten schwarze Anzüge an, keine Jacken oder Mützen, alle haben gezittert vor Kälte und Trauer.“ Die Freunde hätten sich danach bei ihm zu Hause getroffen und aufgewärmt, die Mutter habe belegte Brote gemacht. „Niemand hatte mehr Lust auf Weihnachten, obwohl wir ja eigentlich noch Kinder waren und uns sonst auf Geschenke gefreut hätten.“

Es habe lange gedauert, bis das normale Leben weitergehen konnte. Bis heute seien Waldemar, Alex und Viktor präsent, auch wenn man nicht ständig darüber rede. Damals hätten sie das Ritual gehabt, auf die drei Freunde namentlich anzustoßen. „Wenn ich heute mit jemandem anstoße, denke ich an die drei, es ist nie vergessen.“

Wir sind aus drei Familien eine geworden.

Mutter von Waldemar

Ein Bauwagen am Mergelstetter Steinbruch war der Treffpunkt der Clique. Meist freitags sei man gemeinsam ausgegangen, meistens ins „Mom“, eine Innenstadtdisco, so auch am 19. Dezember 2003. Warum die drei dann gegen später ins K2 gegangen seien, wisse er nicht so genau. Plötzlich sei eine Freundin ins „Mom“ gestürmt und habe geheult und geschrien. In der Panik habe er den „Stattgarten“ mit dem „Gesellschaftsgarten“ verwechselt, er sei dorthin gerannt und erleichtert gewesen, dass es dort ruhig war. Erst als er über die Pauluskirche zurückgelaufen sei, habe er am „Stattgarten“ das Blaulicht gesehen. Ein Polizist habe ihm den Weg versperrt. Auf Nachfragen, ob das stimme, dass seine Freunde erstochen worden seien, habe dieser nur gesagt, er solle nach Hause gehen. „Dann habe ich gesehen, dass hinter ihm Viktor lag.“

Das Leben der Familien der Getöteten war seit dem Tag ein anderes. Die Geschwister wuchsen auf, ohne ins Kino oder in die Disco zu gehen, aus Angst, auch ihnen könnte etwas zustoßen. „Wir waren jeden Tag zusammen, haben zusammen geheult, gegessen, geschrien. Wir waren in der Frühe, am Mittag und am Abend auf dem Friedhof und standen an den Gräbern“, erzählt die Mutter von Waldemar. „Wir sind aus drei Familien eine geworden.“

Podcast über die K2-Morde

Ein HZ-Podcast in der Reihe „Unterm Dach“ beschäftigt sich mit den Morden vor dem Heidenheimer Klub K2, Erwin Bachmann, früherer stellvertretender Redaktionsleiter der HZ, und Silja Kummer, heute Mitglied der Redaktionsleitung, erinnern sich und ordnen die Tat ein.

Silja Kummer hatte am Tag nach dem schrecklichen Verbrechen Dienst in der Redaktion und recherchierte als Erste zu dem Geschehen vor der Diskothek. Erwin Bachmann übernahm für die HZ die weitere Berichterstattung über den Fall. „So etwas gab es in Heidenheim vorher nicht in dieser Dimension, die Stadt galt als beschaulich, übersichtlich und sicher“, sagt Erwin Bachmann.

Im Podcast berichten die Journalisten auch, welche Auswirkungen die Tat in der Stadt hatte und wie man der drei getöteten jungen Männer gedachte. Es geht aber auch um die politische Dimension der Tat, wie diese im Nachhinein eingeordnet wurde und wie sich die Stadtverwaltung positionierte.

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