Fluch oder Segen?

Kirche und künstliche Intelligenz: Diese Anwendungsmöglichkeiten sieht die Heidenheimer Pfarrerin Almuth Kummer

Künstliche Intelligenz beeinflusst immer mehr Bereiche des Alltags. Inwieweit das auch in der Kirche der Fall sein kann, beschreibt die Heidenheimer Pfarrerin Almuth Kummer im Interview.

Künstliche Intelligenz und Kirche. Der eine mag darin eine wenig intelligente Kombination sehen, die andere hingegen ein Heilsversprechen. Fluch oder Segen also? Auch Almuth Kummer, Pfarrerin in der Heidenheimer Paulus-Wald-Kirchengemeinde, beschäftigt sich mit dieser Frage. Die 55-Jährige äußert sich allerdings weniger strikt, wenn es um Chancen und Risiken geht, um Nähe und Nüchternheit, Funktionalität und Empathie, den Einsatz technologischer Neuerungen, die weit über die Dienste der Sprach-Assistentin Alexa hinausreichen.

Frau Kummer, haben Sie sich schon mal von künstlicher Intelligenz, beispielsweise ChatGPT, eine Predigt schreiben lassen?

Nein, das habe ich nicht, und ich kann es mir auch nicht vorstellen. Vielleicht ist das ja eine Generationenfrage. Ich habe allerdings mal eine Auslegung zu einem Bibeltext geschickt bekommen, die mit ChatGPT hergestellt war. Und die war tatsächlich nicht schlecht. Darüber war ich erstaunt. Aber es hat doch etwas gefehlt.

Warum machen Sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch?

Ich hätte einfach Hemmungen, KI zu benutzen. Wie mir zu Ohren gekommen ist, wird sie in der Schule beispielsweise bei Gruppenarbeiten schon verwendet. Eine Predigt ist dann aber doch noch mal eine andere Sache. Hinter ihr muss ich voll und ganz stehen können. Sie muss von Herzen kommen und authentisch sein.

Die Erfahrung lehrt, dass sich neue Technologien immer zumindest teilweise durchsetzen. Führt also gar kein Weg daran vorbei, sich darauf einzulassen und Erfahrungen zu sammeln?

Es kommt auf den Arbeitsbereich an. Sinnvoll mag diese Form der Unterstützung meiner Arbeit bei der Verwaltung sein, wenn es um lästige Statistikformulare, Umfragen, Arbeits-, Predigt- und Urlaubspläne geht. Ein Pfarramt besteht aber hauptsächlich aus Beziehungsarbeit, und die kann einem kein Computer abnehmen. Meine Arbeit lebt von der Begegnung. Ich bin da ganz bei Martin Buber, der mal gesagt hat: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Wenn wir aufhören, uns zu begegnen, ist es, als hörten wir auf zu atmen.“

Vieles funktioniert nur im direkten Gegenüber. Denken Sie an Taufgespräche, Trauerbesuche und Besuche zu Hochzeitsjubiläen. Im Religionsunterricht kann ich mir den Einsatz von KI allenfalls in der Oberstufe vorstellen. Aber eigentlich möchte ich, dass die Schülerinnen und Schüler selbst nachdenken, ihre eigenen Empfindungen und Erkenntnisse äußern.

Kollege Computer ersetzt auf der Kanzel theologisches Personal. Ist das mit Blick auf den Fachkräftemangel ein denkbares Szenario?

Es ist schon eine komische Vorstellung, dass ein Avatar von der Leinwand spricht oder eine Art Roboter den Gottesdienst hält. Da fehlt der Glanz in den Augen – so hat es die Generalsekretärin des Kirchentags formuliert. Im Internet gibt es schon lange Predigten, und bereits Martin Luther hat Lesepredigten geschrieben „für die einfältigen Pfarrherren“. Viele Pfarrer, die sich der neuen Lehre zuwandten, hatten nicht studiert und die evangelische Lehre noch gar nicht recht verstanden. Für sie hat Luther die Kirchenpostille und die Hauspostille drucken lassen.

Almuth Kummer, Pfarrerin in der Paulus-Wald-Kirchengemeinde Foto: Markus Brandhuber

Heute haben wir noch andere Möglichkeiten. Es ist seit vielen Jahren möglich, ein Band laufen zu lassen oder in Echtzeit einen Gottesdienst über Beamer und Leinwand oder PC mitzuerleben, der irgendwo auf der Welt gefeiert und gestreamt wird. Und doch wollen die Gemeindeglieder in der Regel ganz persönlich angesprochen werden und ihren eigenen Gottesdienst in ihrer Kirche haben. Automatische Klaviere gab es schon vor über hundert Jahren, und wir haben immer noch einen Organisten auf der Orgelbank sitzen. Auch fürs Musikhören gilt: Livemusik gewährt andere Erfahrungen als Musik aus der Dose.

Corona hat aber viele Gewohnheiten …

… durcheinandergebracht. Das stimmt. Und heute noch schauen mehr Menschen als zuvor Gottesdienste zu Hause vor dem Bildschirm an. Ich bekomme das öfter gesagt von älteren Menschen, denen der Weg zur Kirche zu beschwerlich ist, dass sie gerne den Gottesdienst im Fernsehen anschauen. Mitfeiernd in der gottesdienstlichen Gemeinschaft zu sitzen, ist aber doch etwas anderes. In der Hochzeit der Pandemie gab es große Diskussionen, ob ein gestreamtes Abendmahl gültig mitgefeiert werden kann.

Ein interessanter Versuch machte vergangenes Jahr während des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Nürnberg und Fürth Schlagzeilen …

… als mehrere Avatare auf einer Leinwand zu sehen waren, die die Schriftlesung hielten, predigten, beteten und den Segen erteilten. Viele bemängelten anschließend, der Ablauf sei zu unpersönlich gewesen. Gestik, Mimik und Herz hätten gefehlt. In Kirchen finden Menschen Halt und Trost. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Roboter ihnen das in gleicher Weise geben könnte.

Früher wäre jemand, der sich mit seinem Computer unterhält, für verrückt erklärt worden. Mittlerweile ist es normal, mit einem sogenannten Chatbot zu sprechen. Können Sie sich Bereiche innerhalb der Kirche vorstellen, in denen das in absehbarer Zeit ganz selbstverständlich ist?

Ist das wirklich normal? Ist man nicht sehr einsam, wenn man so etwas in Anspruch nimmt? Mir reicht manchmal die Zeit kaum, mich in ausreichender Weise mit meiner Familie zu unterhalten, mich öfter bei den Kindern zu melden, die bereits aus dem Haus sind, meine Mutter in der Ferne anzurufen, die alten Freundschaften zu pflegen.

Wie gesagt: Bei reinen Bürotätigkeiten könnte ich mir so etwas vorstellen, nicht aber in anderen Bereichen des Pfarrberufs. Wenn Chatbots zur Seelsorge verwendet würden, müsste kommuniziert werden, dass man es nicht mit einem menschlichen Gegenüber zu tun hat.

Könnte KI so eingesetzt werden, dass sie eine Mischung zwischen Erleichterung und Ersatz Ihrer Arbeit bietet, damit Ihnen mehr Zeit für Wichtigeres bleibt?

Vielleicht bei formalen Tätigkeiten wie dem Erstellen von Layouts für Gemeindebriefe und Plakate. Die Entwicklung wird weitergehen, und es wird vielleicht Arbeitsbereiche geben, in denen der Einsatz von KI irgendwann einmal sinnvoll erscheinen wird.

Das Europäische Parlament definiert künstliche Intelligenz als Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren, um Probleme zu lösen. Klingt eigentlich recht positiv. Gibt es trotzdem Bereiche, für die Sie den Einsatz von KI grundsätzlich ausschließen?

Wenn ich an meine Arbeit denke, dann fällt mir sofort die Seelsorge ein. Nehmen Sie die Begleitung von Sterbenden. Stellen Sie sich Roboter in der Hospizarbeit vor. Könnten diese die Hand des Sterbenden halten, weil er es eh nicht merkt? Ich bin mir sicher, dass er das eben doch tut und menschliche Nähe spürt. Alles andere wäre deshalb würde- und lieblos.

Ähnlich sieht es bei der Telefonseelsorge aus. Dass eine Maschine am anderen Ende der Leitung sitzt, kann und mag ich mir nicht vorstellen. Auch für Kasualien wie Taufen, Trauungen und Beerdigungen, für Sakramente und den Segen ist der Mensch nicht durch einen Avatar zu ersetzen. Doch wer weiß? Es gibt ja auch virtuelle Friedhöfe. Die haben sich in der Masse zwar nicht durchgesetzt, aber für manchen mögen sie doch ein Trost sein.

Chatbots als Seelsorger – hätten Sie Sorgen hinsichtlich des Datenschutzes?

Ja, da hätte ich Sorgen. Jede Verschlüsselung ist irgendwann zu knacken. Der Beauftragte für den Datenschutz der Evangelischen Kirche Deutschlands möchte im Sommer bei den Datenschutz-Infotagen das Thema KI-Systeme aus einer kirchlichen Perspektive erstmals in den Blick nehmen. Grundsätzliche Probleme sind das Urheberrecht, die Datenweitergabe und das Spannungsfeld zwischen Computern und Speicherungen.

Gibt es Anweisungen oder Ratschläge der Evangelischen Landeskirche hinsichtlich des praktischen Umgangs mit KI?

Es werden verschiedene Fortbildungen angeboten. Erst kürzlich fand der Thementag „KI, Ethik, Kirche“ statt. Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl spricht von einer möglichen Machtverschiebung zwischen Mensch und Maschine. Seiner Ansicht nach hat KI das Potenzial, gesellschaftliche Diskriminierungen und Vorurteile abzubauen oder sie zu verstärken. Er rät deshalb zu einem kritischen und reflektierten, aber auch aufmerksam gelassenen Umgang. ChatGPT sei jedenfalls in unserem Alltag angekommen. Und die KI hat ja zweifellos auch positive Aspekte.

Was meinen Sie konkret?

Die simultane Übersetzung einer fremden Sprache ins Deutsche erleichtert zum Beispiel die Arbeit mit Geflüchteten. Im medizinischen Bereich kann die KI künftig bei der Auswertung und Befundung von radiologischen Bildern unterstützen.

Seit 2022 in Heidenheim

Almuth Kummer ist seit zwei Jahren Pfarrerin an der Paulus-Wald-Kirchengemeinde in Heidenheim. Die gebürtige Mainzerin hat in Bonn, Tübingen und Erlangen Evangelische Theologie studiert.

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