Die Hand des Dirigenten

Künstlerpech beim Eröffnungskonzert der Heidenheimer Opernfestspiele

Musik von Haydn und Mozart stand auf dem Programm des Eröffnungskonzertes der Opernfestspiele in Heidenheim, bei dem dem Solisten kurzzeitig der Cellobogen verloren ging.

Mit Haydn hat Heidenheim eigentlich immer Glück. Und zuallererst erinnert man sich da an „Die Jahreszeiten“ von Allerheiligen 2022, als Marcus Bosch, die Cappella Aquileia und grandiose Solisten aber mal so richtig ein Fass aufmachten. Das möglicherweise beste Konzert in einer durchaus ja langen Reihe von besten Konzerten mit der Cappella. Gewaltig. Und eine Vorlage, um gleich im Bild bleiben zu können. Denn während Haydn nur vier Jahreszeiten kannte, kennt Heidenheim bekanntlich fünf. Diese fünfte, die Zeit der Opernfestspiele, hat nun am Montagabend begonnen. Mit Haydn.

Und mit einem anderen Festspielorchester. Denn angetreten im ausverkauften Festspielhaus war nicht die Cappella Aquileia, die man anderweitig im Programm noch erleben können wird, angetreten war das Dresdner Festspielorchester. Erstmals überhaupt in der Festspielstadt Heidenheim. Und als weiterer Hinweis darauf, dass sich Heidenheim so langsam auch zu einer Art Tummelplatz der besten freien Orchester aus Deutschland entwickelt. In dieser Beziehung hat man hier jedenfalls noch einiges vor.

Biblische Geschichten zur Eröffnung der Opernfestspiele

Doch das ist Zukunftsmusik. Deshalb zurück in die Gegenwart: Die Opernfestspiele sind eröffnet! Und das Eröffnungskonzert ist sogar schon wieder Vergangenheit. So schnell geht das. „Götterfunken“ lautete das möglicherweise etwas verwirrende Motto des Abends. Denn wer dieses Stichwort hört, versteht meist nur Beethoven.

Beethoven wiederum, wo er jetzt schon mal mitspielt, steckte übrigens noch buchstäblich in den Kinderschuhen, als Joseph Haydn 1775 in Wien sein Oratorium „Il ritorno di Tobia“ herausbrachte. Biblische Geschichte in Musik verpackt und eingeleitet mit einer Grußbotschaft von Oberbürgermeister Salomo, der es sich, ebenso wie nach ihm Staatssekretär Arne Braun, nicht nehmen ließ, die Eröffnung noch vor der „Tobia“-Ouvertüre mit einem ausführlich dargelegten Bekenntnis zu Kunst und Kultur zu eröffnen.

Die Festgäste aus Dresden, bekanntermaßen gewiefte Spurenleser in Sachen Originalklang, antworteten unter der Leitung von Heidenheims Opernfestspieldirektor Marcus Bosch nicht nur einmal, sondern – einmal Leichtgewicht, einmal Schwergewicht – zweimal mit Haydn. Und auf den „Tobia“ folgte das Cellokonzert in C.

Künstlerpech beim Solo-Cellisten des Abends

Noch gar nicht geboren war Beethoven, der uns jetzt einfach mal weiter im Text begleiten wird, als Joseph Haydn dieses Konzert komponierte. Das war 1765. Wahrscheinlich. Es könnte aber auch schon 1761 gewesen sein. Man weiß es nicht so genau. Das Jahr 1761 allerdings hätte den Charme, dass das Konzert dann genau 200 Jahre nach seiner Entstehung endlich auch wieder im Musikleben aufgetaucht wäre. Vorher galt es nämlich als verschollen. Dann ließ es sich in Prag finden. Und kam am Montag mit nach Heidenheim.

Hier jedoch musste der Solist des Abends, Jan Vogler, seines Zeichens auch Intendant der Dresdner Musikfestspiele, zunächst einmal leider erfahren, dass man mit Haydn in Heidenheim ebenso mal Pech haben kann. Künstlerpech. Und zwar von der Sorte, wie man es wohl nicht zweimal erlebt. Jedenfalls fiel Jan Vogler, als er sich schon zu den einleitenden Takten des Orchesters wiegte, um gleichsam den Groove aufzunehmen, plötzlich der Bogen aus der Hand. Aus einem anderen Blickwinkel berichteten Beobachter sogar davon, dass die Hand des Dirigenten für den Knockout verantwortlich war.

Ähnlichkeit zwischen Haydn und den Gebrüdern Blattschuss

Zwar blieb dem Solisten bis zum ersten Einsatz des Cellos – Jan Vogler spielte ein Stradivari Baujahr 1707 – immerhin noch so viel Zeit, um vom Podest zu steigen und den Bogen vom Boden zu fischen, aber der Fokus war selbstverständlich erst mal weg. Das erklärte nicht nur einige Intonationsprobleme, sondern ganz allgemein, weshalb Jan Vogler eine Weile benötigte, um in dieser geradezu tückisch hoch und höchst gefährlich offen notierten Partitur wieder vollends in medias res zu gelangen.

Haydns C-Dur-Cellokonzert erinnert in seinem Aufbau etwas an die freilich viel später in der Musikgeschichte zu einigem Schlagerruhm gelangten Kreuzberger Nächte. „Erst fangse ganz langsam an – aber dann“, genau. Bei Haydn ist es dann auch mit der sogar barock eingekleideten Gemütlichkeit des ersten und dem empfindsamen Seufzen des zweiten Satzes allerspätestens mit Beginn des dritten Satzes so richtig vorbei.

Schnell und schneller

Dieser mit „Allegro molto“ ja nachgerade defensiv überschriebene Parforceritt ist tatsächlich ziemlich beispiellos. Die Solostimme gehört eindeutig mit zum schwierigsten, was die Celloliteratur zu bieten hat, und Jan Vogler demonstrierte hier leidenschaftliches Virtuosentum, das sich nicht etwa selbst genügt, sondern zur Triebfeder avancierte. Spektakulär. Und von allen Musikern und dem Dirigenten punktgenau an den schmalsten Grat der Grenze getrieben, hinter der immer das Gespenst des Umkippens lauert und sich die Teile des Ganzen gegenseitig zu überholen drohen, weil diese Musik dazu einlädt, immer schneller und noch schneller zu spielen. Grandios.

Ob Haydn seinen ihn bewundernden jungen Freund Mozart mit seinen drei im Jahr zuvor in Es, G und C komponierten Sinfonien zu dessen letzten sinfonischen Werken in eben diesen Tonarten inspirierte, ist, wie so Vieles, wenn es um Mozart geht, Spekulation. Jedenfalls schrieb dieser im Sommer 1788 in kürzester Zeit seine von Legenden umraunte und, wie im Heidenheimer Konzertmotto aufscheinend, im Nachhinein als von „Götterfunken“ gezündet gewähnte Trias, deren dritter Teil, die „Jupiter“ gerufene C-Dur-Sinfonie Nr. 41, schließlich schlicht als „göttlich“ eingestuft wurde.

Mozart machte das Beste aus seinem Nomadenleben

Gefühlt haben könnte sich der Komponist zur Entstehungszeit womöglich ganz anders. Die Zeiten waren schlechte, und die Mozarts, denen auch in guten Zeiten das Geld nur so durch die Finger rann, waren mal wieder umgezogen, was sie in acht Wiener Jahren übrigens zehnmal taten. Diesmal in die Vorstadt Alsergrund, übrigens verfolgt vom geprellten Vermieter der vorigen Wohnung. Und ausgerechnet jetzt brauchte die Wiener Welt weniger Mozart, weil auf dem Balkan der sogenannte „kleine Türkenkrieg“ ausgetragen wurde, Krieg Geld kostete und deshalb Spaßmaßnahmen nicht zuletzt das Kulturleben in Teilen lahmlegte.

Mozart machte, wie immer, sein Ding und das Beste daraus, indem er für die Zeitgenossen und den Zeitgeist passende Lieder wie „Beim Auszug in das Feld“ (Köchelverzeichnis 552) herausbrachte und gleichzeitig Wunder wie die g-Moll (550) und die C-Dur-Sinfonie (551) komponierte. Letztere leider eher für eine begeisterte Nachwelt wie jene am Montagabend in Heidenheim, die von Marcus Bosch und dem Dresdner Festspielorchester eine Sinfonie Nr. 41 par excellence geboten bekam, deren vierter Satz derart inspiriert und mit Energie aufgeladen präsentiert wurde, dass dabei am Ende tatsächlich die „Götterfunken“ nur so flogen. So kann’s weitergehen …

Der Zauberer macht weiter

Weiter geht’s bei den Opernfestspielen am Mittwoch nächster Woche, 19. Juni, mit der um 18 Uhr im Zelt der Jungen Oper im Brenzpark beginnenden Wiederaufnahme von „Der Zauberer von Oz“, für die es noch Karten im Vorverkauf im Ticketshop des Pressehauses in Heidenheim gibt.

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