Bücher schreiben kann Künstliche Intelligenz (KI) nicht erst seit gestern – auch wenn das Endprodukt aus qualitativer Sicht oftmals mehr als fraglich ist. Schritt für Schritt wird KI nun in einem weiteren Bereich der Buchbranche eingesetzt: in der Vermarktung. Das Marktforschungsunternehmen Media Control hat angekündigt, seinen Partnern ein Tool auf Basis Künstlicher Intelligenz zur Verfügung zu stellen. „Demandsens“, so der Name des Programms, soll in der Lage sein, die Verkäufe eines Buches möglichst präzise vorherzusagen. Innerhalb der Sparte sorgt diese Ankündigung für Kritik, und auch in Heidenheim begegnen Branchenvertreter dem KI-Tool mit Skepsis.
Doch zunächst mehr zu „Demandsens“: Mithilfe von sogenannten Machine-Learning-Algorithmen sollen genaue Absatzprognosen erstellt werden. Neben Zahlen zu Verkäufen, Retouren und Vorbestellungen nutzt das Werkzeug etwa Daten wie den Bekanntheitsgrad der Autorin oder des Autors, den Titel oder auch Social-Media-Analysen.
Nicht verkaufte Bücher sind großer Kostenfaktor
Auf Grundlage dieser Daten errechnet die Maschine, wie viele hundert, tausend oder gar zehntausend Exemplare sich aller Voraussicht nach verkaufen werden. Für Verlage könnte das einen äußerst praktischen Nutzen haben. Nicht verkaufte Bücher, sogenannte Remittenden, machen nämlich einen nicht unerheblichen Kostenfaktor aus. Dabei handelt es sich um Bücher, die gedruckt und an Buchhandlungen ausgeliefert wurden, sich letztlich aber nicht verkauft haben und daher wieder bei den Verlagen landen. „Demandsens“, das noch im ersten Quartal dieses Jahres bereitgestellt werden soll, könnte da Abhilfe schaffen.
Weniger enthusiastisch zeigen sich Branchenvertreter. Ein KI-Tool, das aller Voraussicht nach bereits populäre Bücher noch mehr in den Fokus rücke, dränge unbekanntere Autoren und Verlage in den Schatten, lautet ein häufiger Kritikpunkt. Die Vielfalt des Buchmarkts, sie sei in Gefahr, sagen die einen.
Es ist ein kleines, inzestuöses Business.
Silvia Stolzenburg, Autorin aus Heidenheim
Ist sie nicht, sagt hingegen Silvia Stolzenburg. Die Heidenheimer Autorin hat eine klare Meinung zu „Demandsens“: „Das Tool interessiert mich gar nicht.“ Eine Bedrohung stellt es für sie wohl kaum dar, denn Stolzenburg ist mit annähernd 40 verfassten Büchern alles andere als ein unbekannter Name in der Szene. „Außerdem habe ich meine Verlage, die mich kennen. Es ist ein kleines, inzestuöses Business“, sagt die Autorin und lacht.
Doch auch für Neulinge in der Autorenlandschaft sieht Stolzenburg in dem KI-Tool keine große Gefahr. Es gebe kaum noch Verlage, die unaufgefordert Manuskripte sichten würden, das geschehe über eine Vorauswahl, die Agenturen treffen. „Die erste Hürde ist also, einen Agenten zu finden.“ Anfänger würden häufig bei kleineren, unbekannteren Verlagen ihre ersten Schritte machen. Solche wird es laut Stolzenburg immer geben, und diese Verlage arbeiten häufig zusammen. Tool hin oder her, Neulinge kommen immer irgendwo unter, da ist sich Silvia Stolzenburg sicher. Und wenn nicht, könne man seine Werke immer noch im Eigenverlag veröffentlichen – für die Heidenheimerin ist das keinesfalls ein No-Go.
Wird neues KI-Tool zum Ladenhüter?
„Ich denke, Media Control versucht hier gerade einfach, ein Produkt zu verkaufen. Allerdings weiß ich von etlichen Verlagen, dass sie kein Interesse daran haben.“ Ein KI-Tool wie „Demandsens“ arbeite formelhaft – das müsse es auch. „Doch für ernste Literatur funktioniert das nicht, außerdem muss diese auch nicht rentabel sein“, sagt Stolzenburg, die sich selbst durchaus als Unterhaltungsliteratin sieht.
Die Konzentration auf Bestseller bestehe seit vielen Jahren. Unter diesem Gesichtspunkt sei das Ziel von „Demandsens“ nichts Neues. Und doch prognostiziert Silvia Stolzenburg dem Tool vor allem eines: ein Ladenhüter zu werden. „Aber ich kann mich natürlich irren.“
Wir haben Kunden, die explizit von uns beraten werden wollen.
Else Konold, Buchhandlung Konold
Bislang keinen Kontakt zu „Demandsens“ hatte Else Konold von der Heidenheimer Buchhandlung Konold. Doch auch sie sieht darin lediglich die Fortführung eines Trends, der schon lange besteht – was beliebt ist, wird nun noch mehr gepusht. „In der Branche ändert sich gerade sehr vieles“, berichtet Konold. Der Mittelsmann, in diesem Fall etwa der Verlagsvertreter, trete mehr und mehr in den Hintergrund.
Was bleibt, und da ist sich Else Konold sicher, ist die persönliche Beratung. Etwa ein Drittel ihrer Verkäufe, schätzt die Buchhändlerin, gehen auf Empfehlungen zurück, die sie oder andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben. „Wir haben Kunden, die sich nicht an Spiegel-Bestsellerlisten orientieren, sondern ganz explizit von uns beraten werden wollen – manchmal sogar nur von bestimmten Mitarbeitern.“ Man kenne sich, und man vertraue den Empfehlungen des jeweils anderen.
Abseitige Bücher in der Stadtbibliothek Heidenheim
Auf die Stadtbibliothek Heidenheim wird „Demandsens“ laut Bibliotheksleiter Thomas Jentsch wohl höchstens indirekt Auswirkungen haben, sprich über Verlage, die ihre Bücher der Bibliothek schmackhaft machen wollen. „Natürlich ist in Verlagen Markt- und Zielgruppenforschung seit Langem Thema“, erklärt Jentsch. Durch „Demandsens“ würden sie nun wohl ein noch mächtigeres Instrument an die Hand bekommen, um – vermeintliche – Käuferwünsche zu bedienen.
Das Tool ist nicht für Verbraucher, für Leser gedacht. Wird es dennoch spürbare Auswirkungen auf sie haben? Nicht zwangsläufig, findet Thomas Jentsch. Denn viele Titel verkaufen sich rein über den Namen – Angela Merkels „Freiheit“-Memoiren sind das jüngste Beispiel dafür. Natürlich würde ein KI-Tool einem Merkel-Buch große Absatzzahlen prognostizieren. „Das wird aber nichts daran ändern, dass es qualitativ hochwertige Bücher gibt, denen man vielleicht im Vorfeld wenig kommerzielles Potenzial zugetraut hätte und die dann trotzdem megaerfolgreich werden“, argumentiert Jentsch.
Die Stadtbibliothek ist nicht zuletzt ein Ort für Inspiration.
Thomas Jentsch, Leiter der Stadtbibliothek Heidenheim
Umso wichtiger seien daher Vermittler, etwa in Buchhandlungen oder Bibliotheken. Er schaffe gerne abseitige Bücher an, erzählt der Bibliotheksleiter. Denn literarische Vielfalt müsse man aktiv und gezielt füttern – „die Bibliothek ist nicht zuletzt ein Ort für Inspiration“. Soll heißen, dass dort nicht nur die üblichen aktuellen oder vergangenen Bestseller ausleihbar sein sollen, sondern eben auch Bücher, die man gar nicht erwartet – aber am Ende unbedingt lesen möchte. Das Ziel: möglichst viele Sparten abdecken. „Denn auch wir bedienen Zielgruppen. Bei uns findet man natürlich auch Selfpublishing-Bücher.“
Thalia hat eigene KI-Abteilung
In der Heidenheimer Thalia-Filiale wird „Demandsens“ wohl nicht Einzug halten. Aktuell habe Thalia noch keinen vertieften Einblick in das KI-Tool erhalten und es gebe derzeit keine Pläne, es zu nutzen, erklärt Claudia Bachhausen, Sprecherin der Thalia-Zentrale in Hagen auf Anfrage der HZ. „Zudem verfügt Thalia über eine eigene KI-Abteilung, wodurch wir neue Angebote auf dem Markt stets im Vergleich mit unseren internen Entwicklungen bewerten würden“, so Bachhausen.