Heidenheims Landrat Peter Polta: "Wir sind nicht Posemuckel"
Nach dem Corona-Stillstand ist der Landkreis Heideheim im Vollgas-Modus unterwegs. So beschreibt Landrat Peter Polta das Paket an Aufgaben, das geschnürt und erledigt werden will, darunter die Mobilitätswende, Energieversorgung, soziale Absicherung, Flüchtlingsintegration und eine konkurrenzfähige Region in Zeiten des Wirtschaftswandels. Kurz vor der Sommerpause ist Poltas Terminplan rappelvoll, ein Zeitfenster hält er frei für das Sommerinterview mit Silja Kummer, Mitglied der Redaktionsleitung, und Redakteurin Karin Fuchs.
Nach all den Krisen, welche aufmunternden Worte haben Sie für die Menschen hier im Landkreis und ihrem Team im Landratsamt?
Krisen wird es immer geben, aber man darf vor lauter Krisen das Gestalten nicht vergessen. Wir haben wichtige Themen, sei es die Brenzbahn, das Klinikum, aber auch unseren Wirtschaftsstandort. Wir sind ein kompakter Landkreis, aber wir sind durchaus schlagkräftig. Ich lege Wert darauf, dass wir ein gewisses Selbstbewusstsein an den Tag legen.
Wie liegen wir da im Landkreis Heidenheim im Vergleich?
Das kommt darauf an, welche Parameter wir vergleichen. Wir sind gut unterwegs, was die Zukunft Ostwürttembergs anbelangt zusammen mit dem Ostalbkreis und der IHK. Beim Wasserstoffkonzept beispielsweise wollen wir vorne mit dabei sein, wir wollen Wasserstoffregion werden. Zudem bin ich stolz auf unser Klinikum. Wenn wir die Defizite anderer Häuser ansehen und die Debatten, da läuft es bei uns anders. Natürlich kostet das kommunale Klinikum Geld.
Ohne das Mutterschiff Landkreis hätte das Klinikum eine größere Herausforderung.
Peter Polta, Landrat, zum finanziellen Defizit
Wie lange wird sich der Landkreis das kommunale Klinikum noch leisten können?
Ich stehe felsenfest zum kommunalen Klinikum und wiederhole das allerorten. Wir hatten 2021 ein Ergebnis von minus 1,6 Millionen Euro. Im Verbund der kommunalen Kliniken lagen wir damals an zweitbester Stelle. 2022 betrug das Minus schon 3,2 Millionen Euro. Prognostiziert für dieses Jahr sind 6,4 Millionen Euro. Wenn die rund 140 Millionen Euro einmal verbaut sind, fließt die Abschreibung in das jährliche Ergebnis mit ein. Das kann mit weiteren fünf Millionen Euro Minus durchschlagen. Mein Kämmerer geht von einem Korridor von minus 6 bis 13 Millionen Euro pro Jahr aus. Das ist eine starke Belastung. Das Ziel muss sein, dass der Landkreis das Klinikum stemmen kann, ebenso die Städte und Gemeinden über die Kreisumlage. Aber ohne das Mutterschiff Landkreis hätte das Klinikum eine größere Herausforderung.
Wir sind kein kleines Krankenhaus in Posemuckel, sondern das Klinikum in Heidenheim.
Peter Polta, Landrat, über die Stellung des Klinkums
Aber keiner der Akteure macht etwas falsch. Es sind nach wie vor die Rahmenbedingungen, die nicht stimmen.
Gesundheitsminister Lauterbach will in der Krankenhausreform verschiedene Versorgungslevel festlegen. Wir wollen möglichst beim besten Level dabei sein, weil wir unseren Standard halten wollen. Mit rund 550 Betten sind wir im oberen Mittelfeld dabei. Wir sind kein kleines Krankenhaus in Posemuckel, sondern das Klinikum in Heidenheim. Um vorne dabei zu sein, haben wir das Zukunftspaket Medizin geschnürt.
Also mit Landrat Polta wird das Klinikum Heidenheim nicht untergehen?
Das ist ja nicht nur Landrat Polta, sondern das Klinikum wird breit getragen im Kreistag. Viele Kliniken werden es nicht schaffen, in die neue Struktur bei einer Krankenhausreform zu kommen. Wir aber werden es schaffen, weil wir gut sind. Deshalb ist meine Erwartungshaltung, dass Bund und Land uns ausreichend finanzieren.
Wir müssen die Bahn dazu bringen, dass die Brenzbahn priorisiert wird.
Peter Polta, Landrat, zu den laufenden Verhandlungen
Um noch viel mehr Geld geht es bei der Brenzbahn. Nahezu eine halbe Milliarde an Bau-und Planungskosten stehen im Raum. Die spannende Frage ist: Wann folgen den Worten die Taten? Wann wird gebaut?
Die Bahn geht von einer Planungs- und Bauzeit von insgesamt zwölf Jahren aus, allein die Bauzeit beträgt vier Jahre. Wenn man das hochrechnet, wären wir im Jahr 2035 fertig. Ich hoffe, dass wir das an manchen Stellen beschleunigen können. Wir müssen die Bahn dazu bringen, dass die Brenzbahn priorisiert wird. Wir reden von einem Mammutprojekt: 24 Kilometer zweigleisige Strecke müssen gebaut, 72 Kilometer elektrifiziert werden. Wenn alles gut läuft, könnte ich mir einen Baustart schon ab 2030 vorstellen, sicher zusagen lässt sich das nicht. Für uns ist der Ausbau auch deshalb so wichtig, weil wir die B19 entlasten müssen. Das Verkehrsaufkommen wird weiter steigen, deshalb müssen andere Verkehrsträger etwas davon aufnehmen.
Eingangs sprachen wir von Krisen, der Ukraine-Krieg dauert an, aber um das Flüchtlingsthema ist es zuletzt stiller geworden. Wie ist die Situation im Landkreis aktuell?
Wir haben rund 480 Geflüchtete an Bord beim Landkreis in der vorläufigen Unterbringung. Davon sind nur noch 170 Ukrainer. Wir sehen aber, dass die Zahl der Asylbewerber ansteigt. Wir bekommen diesen Monat 23 Asylbewerber zugewiesen. Es wären 46, wenn wir das LEA-Privileg durch die Giengener Erstaufnahmestelle nicht hätten. Auch die Zahl der Asylfolgeantragsteller steigt. Wird jemand abgelehnt, reist in die Heimat und wieder zurück, dann wird er wieder uns zugewiesen. Davon kamen im Juli auch neun Menschen.
Aus welchen Ländern kommen die Asylbewerber?
Hauptherkunftsländer der dem Landkreis seit Jahresbeginn zugewiesenen Asylbewerber sind Syrien, Nordmazedonien, Afghanistan und die Türkei. Bei allen Diskussionen darüber, was wir uns leisten können: Das individuelle Recht auf Asyl ist grundgesetzlich verankert und das sollte es auch bleiben. Aber die Landkreise, Städte und Gemeinden sind am Anschlag. Wir müssen darauf achten, dass wir die Integration gewährleisten können. Wir bekommen das gerade noch hin, aber zunehmend wird die sozialpädagogische Arbeit auch in Folge des Fachkräftemangels schwieriger.
Aber Bergenweiler ist noch immer nicht in Betrieb?
Bergenweiler wird als letzte Unterkunft in Betrieb gehen, wenn uns das Wasser bis zum Hals steht. Sie ist ausschließlich für Ukrainer gedacht. Da halte ich mein Wort.
Wenn die Zahlen im Herbst steigen, wie es die Regel ist, kommen wir über unsere Grenzen.
Peter Polta, Landrat, zur Flüchtlingssituation
Die Raumnot ist im Moment also nicht so groß?
Wir bekommen das hin über den Sommer, aber wenn die Zahlen im Herbst steigen würden, wie es die Regel ist, kommen wir über unsere Grenzen. Auch Städte und Gemeinden sind mit der Anschlussunterbringung in einer Daueranstrengung. Wenn man das zusammenrechnet, sind rund 2000 Ukrainer in den Landkreis gekommen. Wir registrieren aber nicht zentral, wer wieder zurückgeht.
Wechseln wir zu einem weiteren wichtigen Thema: das Landratsamt selbst, das aus allen Nähten platzt.
Wir haben 488 Arbeitsplätze an der Felsenstraße, weitere 115 an verschiedenen Dienststellen, davon zum Beispiel 22 Arbeitsplätze an den Asylunterkünften. 18 Arbeitsplätze des Fachbereichs Vermessung und Flurneuordnung sind im Berufsschulzentrum im Heckental, wir haben 41 Arbeitsplätze im so genannten blauen Schiff an der Alten Ulmer Straße, elf Arbeitsplätze an der Bergstraße 8 bei der IG Metall und neun an der Bergstraße 36.
Angekündigt waren neue Landkreis-Büros bei der Kreissparkasse in den Schlossarkaden. Wie ist da der aktuelle Stand?
Dort mieten wir den 3. Stock in Teilen an und werden im Oktober oder November mit 45 Arbeitsplätzen einziehen. Der Standort ist gut fußläufig zu erreichen und wird der Standort der Eingliederungshilfe, Grundsicherung, Sozialhilfe und dem Kompetenzzentrum Pflege und Senioren. Plastisch gesagt, man kann die Beratung beim Pflegestützpunkt mit dem Einkaufen in der Innenstadt verbinden.
Der Kreistag hat ein Clusterkonzept in Auftrag gegeben, um zu ermitteln, wie viel Platz das Landratsamt künftig braucht. Gibt es schon Ergebnisse?
Bis Spätherbst sollen die vorliegen. Wir lassen dabei auch die Folgen von Telearbeit und Homeoffice untersuchen. Nicht jeder in Telearbeit braucht künftig einen vollschichtigen Arbeitsplatz im Landratsamt. Wir haben rund 370 Mitarbeitenden alternierende Telearbeit oder Mobilarbeit genehmigt. Jeder wird mit Laptop ausgestattet und kann dann flexibel zu Hause arbeiten. Ich möchte wissen, wie viel Arbeitsplätze wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren brauchen werden. Dann beantworten wir die Frage, welches Geld wir in die Hand nehmen müssen, um Gebäude zu renovieren und energetisch zu sanieren.
Zur Person Peter Polta
Im Dezember ist Halbzeit der Amtszeit von Peter Polta (56) als Heidenheimer Landrat. Der Kreistag wählte ihn im November 2019 zum Landrat. Bereits seit Juni 2012 war Peter Polta Erster Landesbeamter im Landkreis. Vor seinem Wechsel ins Landratsamt Heidenheim war der Diplom-Verwaltungswirt (FH) und Volljurist unter anderem im Landesamt für Flurneuordnung und Landentwicklung Baden-Württemberg, im Regierungspräsidium Stuttgart, im Innenministerium Baden-Württemberg sowie im Umweltministerium Baden-Württemberg tätig.