„Frau Postel jubiliert“, so lautete die Ankündigung zum Konzert am Samstagabend in der Waldorfschule. Und Jubilieren ist ja zum Jubiläum der Waldorfschule auch durchaus angebracht. Frau Postel tat aber noch viel mehr: Sie sang und persiflierte, sie lispelte und reflektierte, sie berlinerte und kokettierte, sie scherzte und karikierte.
Und das auf höchstem Niveau: Annette Postel oder besser: „La Postel“ ist eine Diva durch und durch. Aber freilich nicht nur das: Die ausgebildete Opernsängerin beeindruckt mit einem gewaltigen Stimmumfang, und sie kombiniert ihre Stimme mit einer kräftigen Portion komödiantischen Könnens und einer mitreißenden Spielfreude. Ihre feinen Spitzen erreichen nicht nur Sidekick, Stichwortgeber und Pianist Sebastian Matz, sondern die zielen auch sehr häufig auf sie selbst: Nicht nur Opern, Tango, Bühnenleben trifft ihre feine Ironie, sondern sie hat ganz offensichtlich auch sehr viel Spaß daran, sich selbst und ihr Chanteusenleben auf die Schippe zu nehmen, wenn sie beispielsweise ihre Ausbildung an der Musikhochschule Mannheim/Heidelberg als beste Voraussetzung für eine Karriere als Millionärsgattin oder Taxifahrer nennt.
Neandertaler und echte Damen
Bereits der Titel des Programms ist herrlich selbstironisch: „Nabelschau“ sei schließlich, so „La Postel“, stets das Motiv für einen Bühnenauftritt, also auch für ihren. Zur Freude des Publikums gibt ihr dieser Titel die Gelegenheit, alle Register zu ziehen. Und das bedeutet eine gehörige Vielfalt für das Bühnenpublikum. Da wird „Donna Clara“ tanzen gesehen neben der Königin der Nacht, die immer diesen einen Ton nicht trifft und mit ihren Übungen Nachbarn gewaltig auf die Nerven geht. Da gesellt sich der Neandertaler, im gleichnamigen Lied aus den „Enthüllungen einer Striptease-Tänzerin“ von Hanne Wieder nur auf den ersten Blick der perfekte Partner, zur veritablen Dame, schließlich der zweitälteste Beruf der Welt.
Ein Medley durchrast die Gassenhauer der 1920er-Jahre in 120 Sekunden und reiht die schöne Isabella aus Kastilien und den guten Egon, der stete Grund für Alkoholgenuss, neben vielen anderen herrlich zusammengestellt auf. Medley? Natürlich ein Potpourri, um ganz im Jargon der 1920er-Jahre zu bleiben, womit der Eintopf einen salonfähigen Namen erhielt. Apropos Salon: Auch darin bewegt sich Annette Postel wie in einer angestammten Heimat, ebenso wie auf der Opernbühne oder in der kuscheligen – kein Wunder: Lavendel, Oleander, Jasmin – die Worte, die sofort bei der einleitenden Werbemelodie in den Sinn kommen – Ecke der Märchenerzählerin, in der sie Anekdoten aus ihrer Vita zum Besten gibt. Zu köstlich die ungarische Gesangslehrerin, die für so viel mehr Tipps zu geben hat als nur für Stimmbeherrschung, und das alles in entzückendem ungarischem Akzent.
Prickelnd wie Sekt
Was tun, wenn eine lispelnde Sängerin „Meine Lippen, sie küssen so heiß“ singen muss? Dann wird einfach umgetextet: „Meine Lippen, die nippen so warm“, das klingt doch auch schon fast so prickelnd wie Sekt. Bizets Carmen ist hier einmal atypisch besetzt und zeigt sich bebrillt und erotisch eher zurückhaltend, und auch auf Zarah Leanders Spuren wandelt die Allrounderin aus der Pfalz mit „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“. Dazu braucht sie gar nicht viel: ein, zwei Requisiten und fertig ist – ja letztlich auch das Grammophon, das sie so herrlich darstellt. Was Annette Postel mitbringt, ist halt schon eine ganze Menge: Stimme, Witz und Esprit sind bei ihr in reichlichem Maß vorhanden und die Diva steht ihr ganz hervorragend. Es würde auch nicht wundern, wenn sie wie weiland Gloria Swanson nach ihrer Großaufnahme verlangte.
Am Ende jubiliert auch das Publikum, das ruhig hätte zahlreicher sein können, über ein solch köstliches und sehr subtiles Programm und hätte sicher nichts dagegen, wenn Frau Postel das wieder einmal in Heidenheim machen würde. Schließlich gibt es ja da noch die Programme „Affaire Mozart“ oder „Alles Tango, oder was“ zu zeigen. Das müsste doch auch ohne Jubiläum gehen.
Finale der Stumpfes
Das nächste Konzert im Rahmen von 50 Jahren Waldorfschule steht am 9. November an. Auf der Bühne steht dann „Herrn Stumpfes Zieh- und Zupfkapelle“ mit dem Konzert „Finale“ im Rahmen ihrer Abschiedstournee. Denn dann wird ihre skrupellose Hausmusik zum letzten Mal in Heidenheim live zu erleben sein.