Bildung

Lehrer, Eltern, „Kompass 4“: Das sagen Schulleiter im Landkreis Heidenheim zur neuen Grundschulempfehlung

Für Viertklässler gilt wieder eine verbindlichere Grundschulempfehlung. Was bedeutet das für Schüler und Eltern – und wie stehen Schulleiter im Landkreis Heidenheim dazu? Ein Stimmungsbild.

Es gibt Veränderungen in der Bildungspolitik: Neben der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium hat die Landesregierung auch eine neue und verbindlichere Grundschulempfehlung eingeführt. Das Gesetz dazu wurde jetzt verabschiedet. Parallel wurde das Verfahren bereits angewandt. Die jetzigen Viertklässler und ihre Eltern haben also schon Erfahrungen damit gemacht.

Kurzer Rückblick: Seit 2012 hatten die Eltern frei entscheiden können, welche weiterführende Schule das Kind besuchen sollte. Zwar hatten die Lehrer beraten, die Entscheidung oblag aber allein den Erziehungsberechtigten. Das hatte den Elternwillen gestärkt, in mancher Augen für mehr Chancengleichheit gesorgt, vielfach aber auch Diskussionen über den Zulauf an die Gymnasien hervorgebracht.

Jetzt gilt eine auf drei Säulen basierende Empfehlung

Nun ruderte die Landesregierung also zurück, stellte die Empfehlung für die weiterführende Schule aber auf eine neue Basis. Jetzt gilt eine „Zwei-aus-drei-Regel“. Dem Verfahren zugrunde liegen die Säulen Lehrerempfehlung, Elternwunsch und ein neuer, landesweit einheitlicher und standardisierter Kompetenztest – der sogenannte „Kompass 4“. Diesen müssen alle Viertklässler ablegen. Abgefragt wird der Leistungsstand in Deutsch und Mathematik.

Stimmen zwei der genannten Säulen überein, ist der Weg zum Gymnasium frei oder eben nicht – möglicherweise auch gegen den Wunsch der Eltern. Wobei es dann wiederum zusätzlich die Möglichkeit gibt, einen Potenzialtest abzulegen, um doch noch an ein Gymnasium gehen zu können. Dieser ist für den 18. Februar terminiert. Das Prozedere gilt für alle Schüler, bindend ist die Empfehlung aber nur für den Übertritt auf ein Gymnasium.

Was sagen Schulleiter im Landkreis Heidenheim zum neuen System?

Allerlei Neues für die Schulen. Ist das ein guter Schritt? Erleichtert das die Entscheidungsfindung? Wo gibt es Hürden? Oder Denkfehler?

Simone Honold ist Schulleiterin der Ostschule in Heidenheim und geschäftsführende Schulleiterin der Heidenheimer Grund-, Werkreal-, Real- und Gemeinschaftsschulen sowie Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ). Sie steht der neuen Empfehlung positiv gegenüber und sagt: „Die Dreigliedrigkeit der neuen Empfehlung ist gut, ebenso schätze ich die Verbindlichkeit.“ Der Großteil der Eltern habe in der Vergangenheit verantwortungsbewusst entschieden, doch „Ausnahmen gab es auch und wird es immer geben“, so Simone Honold.

Unabhängiger Test als neutrale Säule

In der neuen Grundschulempfehlung werde nach wie vor der Elternwille berücksichtigt und die Lehrersicht einbezogen. Dass nun ein unabhängiger und einheitlicher Test für eine neue und neutrale Basis sorge, schätzt die Schulleiterin positiv ein. Ein wichtiges Argument ihrerseits: „So haben Eltern vielleicht nicht mehr das Gefühl, von Lehrern abhängig zu sein. Es gibt nochmal eine neutrale Säule.“

Allerdings war der Kompetenztest „Kompass 4“ schwer in die Kritik geraten, nicht zuletzt, weil insbesondere die Ergebnisse in Mathematik schlecht ausgefallen waren und Kompassergebnis und Lehrereinschätzung oft nicht zusammenpassten. Nach Unsicherheiten, ob der Test trotz großer Kritik und Abweichungen Gültigkeit hat, steht nun offenbar fest: Den jetzigen Viertklässlern soll kein Nachteil entstehen. Simone Honold sagt: „Ja, der Kompass 4 ist vor allem in Mathe übers Ziel hinausgeschossen.“ Doch sie ist guter Dinge: „Das Verfahren ist neu, es wird evaluiert und daran gearbeitet.“

Für Gemeinschaftsschule nicht ausschlaggebend

Heidrun Abele ist Schulleiterin der Dischinger Egauschule, die Gemeinschaftsschule ist. Weil diese Schulform alle Abschlüsse anbietet und auch nach einer anderen Philosophie arbeitet, hat die neue Grundschulempfehlung hier keine große Bedeutung. „Das betrifft uns gar nicht sehr. Bei uns können Schüler aller Schulformen starten“, erklärt Heidrun Abele.

Dem Vergleichstest „Kompass 4“ steht Heidrun Abele skeptisch gegenüber: „Wir haben ja immer zwei Säulen, die den Test überstimmen können, somit hat er kein wesentliches Gewicht.“ Denn die Schulleiterin hat ohnehin die Erfahrung gemacht, dass sich Eltern und Lehrer nur in sehr wenigen Fällen nicht einig waren. Heidrun Abele spürt, dass „viel Wind“ um die Sache gemacht wird. Die drastischen Auswirkungen, die großen Veränderungen für Eltern und Schüler sieht sie aber nicht.

Test „zeigt die Ansprüche, die ein Gymnasium stellt“

Nadine Nodes ist stellvertretende Schulleiterin an der Königsbronner Georg-Elser-Schule, sie sieht das neue Übertrittsverfahren positiv und sagt: „Ich finde, dass das Kultusministerium hier wirklich eine gute Sache auf den Weg gebracht hat.“

Der Kompetenztest „Kompass 4“ als zusätzliches Instrument sei sinnvoll. Auch wenn es vor allem für den Mathetest viel Kritik gegeben habe, sagt Nadine Nodes unterm Strich: „Es ist gut und hilfreich, zusätzlich zur pädagogischen Gesamtwürdigung der Klassenkonferenz und zum Elternwille einen validierten und einheitlichen Test zu haben.“ Dieser unterstütze als Instrumentarium das Gesamtergebnis. „Hier sieht man eben auch ganz deutlich die Ansprüche, die ein Gymnasium stellt“, so Nodes.

Die Sicht der Gymnasien

Und was sagen die Gymnasien? Ingeborg Fiedler ist Schulleiterin des Heidenheimer Schiller-Gymnasiums und zudem geschäftsführende Schulleiterin der Heidenheimer Gymnasien. Sie sagt zur neuen Grundschulempfehlung: „Ich denke, das ist richtig, weil dann wieder mehr Verbindlichkeit in die Sache kommt.“ Es werde gewährleistet, dass die Kinder an die für sie passende Schule kommen. Wobei Ingeborg Fiedler nicht das Gefühl gehabt habe, dass die Entscheidungsfreiheit seitens der Eltern überstrapaziert worden war.

Axel Krug, Schulleiter des Herbrechtinger Buigen-Gymnasiums sagt: „Von mir aus hätte es die neue verbindlichere Regelung nicht gebraucht.“ Er habe immer großes Vertrauen in die Empfehlung seiner Grundschul-Kollegen gehabt und die Eltern seien bei der Einordnung ihrer Kinder sogar eher zurückhaltend gewesen. Er betont aber: „Wir sind hier immer noch im ländlichen Raum, das kann woanders ganz anders sein.“

Zum landesweiten Test, der ja neu im Übertrittsverfahren ist, sagt er: „Der ging ja offensichtlich reichlich daneben und er hat leider auch für viel Verunsicherung gesorgt. Das ist eine ganz bedauerliche Nebenwirkung.“ Insgesamt ist er sich aber sicher: „Das wird sich schon zurechtruckeln.“

Wie steht es um den neuen Potenzialtest?

Nun blicken die Schulen sicher gespannt auf den Potenzialtest, der für den 18. Februar terminiert ist. Kinder, die trotz einer anderweitigen Empfehlung aufs Gymnasium wechseln wollen, sollen diesen Test absolvieren können. Hierzu müssen Eltern ihre Kinder zwischen 10. und 13. Februar am zugeteilten Gymnasium anmelden. Informationen soll es seitens der Grundschule geben. Ingeborg Fiedler erklärt: „Der Test findet an den Gymnasien statt. Die Grundschulen sind jeweils zugeordnet worden. Das ist unabhängig davon, welches Gymnasium man besuchen möchte.“ Axel Krug vom Buigen-Gymnasium sagt: „Der Kompetenztest ist genauso wie der Kompass eine Blackbox, wir wissen nicht, was da auf die Schüler zukommt.“ Und aktuell weiß auch noch niemand, wie und ob das neue Instrumentarium genutzt wird. Mitte Februar wird es sich zeigen.

Gymnasium hoch im Kurs: So haben sich die Zahlen entwickelt.

Betrachtet man die aktuellsten landesweiten Zahlen aus dem Schuljahr 2023/24, so zeigt sich: 43,6 Prozent der Grundschüler wechselten 23/24 auf ein Gymnasium. Das waren 1,4 Prozentpunkte weniger als im Jahr zuvor. 33,8 Prozent der Kinder wechselte auf die Realschule (0,8 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr) und 13,4 Prozent wechselten an eine Gemeinschaftsschule. 5,3 Prozent der Grundschüler wollten auf eine Werkreal-/Hauptschule gehen.

Vom Schuljahr 2011/12 auf das Schuljahr 2012/13 fiel die verbindliche Grundschulempfehlung, die Zahlen der Statistik zeigen hier einen deutlichen Anstieg der Übergänge auf Gymnasien (plus 3 Prozentpunkte) und Realschulen (plus 3 Prozentpunkte) und einen starken Rückgang der Übergänge auf Werkreal-/Hauptschulen (minus 8 Prozentpunkte).

Nach der Einführung der Gemeinschaftsschule ergaben sich Verschiebungen, doch: „seit dem Schuljahr 2015/16 haben sich die Übergangsquoten auf alle Schularten stabilisiert“, so das Statistische Landesamt. Die Übergangsquoten auf Gymnasien schwanken um 44 %, die auf Realschulen um 34 %, Gemeinschaftsschulen um 13 % und Werkreal-/Hauptschulen um 6 %.

Laut Statistischem Landesamt wechselten zum Schuljahr 2023/24 rund 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler auf ein Gymnasium, die auch eine unverbindliche Gymnasialempfehlung hatten. Ein ähnliches Bild zeigte sich bei Kindern mit Realschulempfehlung: Knapp zwei Drittel der Eltern schickten die Kinder auf eine Realschule. Rund 15 Prozent wechselten aufs Gymnasium. Auch Schüler mit einer Empfehlung für die Werkreal- oder Hauptschule bzw. für die Gemeinschaftsschule wechselten ebenfalls mehrheitlich an eine entsprechende Schule. Laut Statistik war hier die Abweichung von der Empfehlung am größten. Mehr als ein Drittel von ihnen wechselte auf eine Realschule, knapp zwei Prozent auf ein Gymnasium.

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