Zwischen Staub und Stein

Letzter Steinmetz in Heidenheim: Warum Johannes Moser das Handwerk am Leben hält

In einer Werkstatt in Schnaitheim treffen Tradition und Kunst aufeinander: Johannes Moser führt den letzten Steinmetzbetrieb Heidenheims in fünfter Generation, während Veronika Bianchi mit Hammer und Meißel Skulpturen zum Leben erweckt. Ein Besuch in einer Welt, in der Handwerk und Kreativität aufeinandertreffen.

Es riecht nach Staub und Stein. Der Klang einer Schleifmaschine durchbricht die Stille, während sich feine Staubpartikel in der Luft verteilen und sich wie ein zarter Schleier auf Werkbänke, Steinblöcke und rau verputzte Wände legen. Hier, in Heidenheims letztem Steinmetzbetrieb, ist der Stein allgegenwärtig – in Form von Marmorblöcken, Sandsteinplatten oder kunstvoll bearbeiteten Grabsteinen.

Mitten im Gewirr aus Lärm und Staub steht Johannes Moser, 43 Jahre alt, umgeben von Skizzen, Werkzeugen und unfertigen Arbeiten. Seit 23 Jahren widmet er sich dem Steinmetzhandwerk – ein Beruf, der in seiner Familie Tradition hat. Vor 135 Jahren gründete sein Ururgroßvater den Schnaitheimer Betrieb, den Moser heute weiterführt.

Schloss Thurn und Taxis restauriert

„Schon als kleiner Junge mochte ich das alles“, sagt er und lehnt sich gegen einen der schweren Steinblöcke. Sein Vater nahm ihn früh mit auf Baustellen, etwa ins Schloss Thurn und Taxis, das einst von der Familie restauriert wurde. Diese Eindrücke prägten den jungen Moser. Nach dem Wirtschaftsgymnasium in Heidenheim folgte eine Ausbildung im väterlichen Betrieb, dann der Meisterbrief als Steinbildhauer und die Weiterbildung zum Steintechniker. Einige Jahre arbeitete Moser im Ausland, kehrte schließlich zurück und übernahm das Familienunternehmen. „Wenn ich Dinge erschaffe, bleiben sie“, sagt er. Diese Beständigkeit fasziniere ihn bis heute, habe und halte ihn gefesselt.

Manche Gesteine sind Millionen Jahre alt, erzählen Geschichten aus längst vergangenen Zeiten. Wer mit ihnen arbeitet, muss ihre Eigenheiten kennen. Moser: „Ein Grabstein ist oft das Letzte, was von einem Menschen bleibt, da muss alles stimmen“. Dennis Straub

Von Denkmalpflege bis Grabstein – die Vielseitigkeit des Berufs

Die Arbeit eines Steinmetzes ist vielfältig. Moser und sein Team übernehmen Restaurierungen an historischen Gebäuden, fertigen Grabsteine an und arbeiten an Denkmälern. Besonders die Denkmalpflege erfordert Fachwissen und Geduld. „Bevor wir ein historisches Bauwerk restaurieren, erstellen wir Kartierungen, die den Schaden erfassen“, erklärt er. So arbeitete er unlängst an der Jugendstil-Fassade des Kunstmuseums Heidenheim.

Ein besonders wichtiger Bereich seiner Arbeit ist die Gestaltung von Grabsteinen. „Wir hören viele Lebensgeschichten, sprechen mit den Angehörigen über die Verstorbenen und das, was sie hinterlassen. Unsere Arbeit schafft einen Ort des Gedenkens.“ Die persönliche Verbindung zu den Kunden ist für Moser essenziell und bedeutet ihm viel: „Man muss mit Fingerspitzengefühl an die Sache herangehen. Ein Grabstein ist oft das letzte sichtbare Zeichen eines Menschen.“

Mosers Werkstatt ist ein Ort voller Gegensätze: Der Lärm von Hammer und Meißel trifft auf meditative Stille, die Schwere des Steins auf die Leichtigkeit kreativer Ideen. Dennis Straub

Veronika Bianchi: Bildhauerin mit internationalem Blick

Seit fünf Jahren arbeitet auch Veronika Bianchi in der Werkstatt. Die 40-jährige Slowakin hat Kunst und figurative Bildhauerei an Akademien in Italien und der Slowakei studiert. Bei einem gemeinsamen Projekt lernten sich Moser und sie kennen – heute sind sie ein Team, geschäftlich wie privat.

Bianchi liebt es, aus groben Steinblöcken lebendige Formen zu schaffen, auch wenn es anstrengend ist. „Man muss den Stein lesen können“, erklärt sie. Nicht jeder Block eigne sich für jede Figur – Adern, Lufteinschlüsse, Spannungen im Material bestimmen, was aus dem Material werden kann. Ihr Lieblingsmaterial ist Marmor aus Carrara. Anders als bei Moser stehen bei Bianchi abstrakte Formen im Mittelpunkt: Körper, die aus dem Stein zu fließen scheinen, gebogene Linien, die die Härte des Materials vergessen lassen. „Ich suche nach Bewegung im Statischen“, erklärt sie.

Für Bianchi ist es eine Leidenschaft: „Diese Arbeit kannst du nur machen, wenn du sie liebst“, sagt sie und wischt sich mit einer weißen, marmorbestäubten Hand übers Gesicht. „Denn sie ist wirklich anstrengend.“ Hinter ihr rattert eine Schleifmaschine, irgendwo klirrt Metall auf Stein – und vor ihr wächst unter ihren Händen eine Figur aus hartem Marmor, als würde sie nur darauf warten, freigelegt zu werden.

Veronika Bianchi bei der Arbeit: Mit geübtem Blick und präzisem Griff bringt sie die verborgene Figur im Marmor zum Vorschein. Dennis Straub

Ein besonders aufsehenerregendes Projekt ist derzeit in Arbeit: eine lebensgroße Marmorskulptur für einen Rockmusiker aus Buenos Aires. „Er wollte, dass seine gemalten Porträts in 3D zum Leben erweckt werden“, erzählt die 40-Jährige. Die Figur zeigt einen Mann – doch anstelle eines menschlichen Kopfes trägt die Skulptur einen Totenschädel. „Rocker lieben Totenköpfe“, sagt sie lachend. Der prominente Auftraggeber, angeblich ein Freund von Musikgrößen wie Johnny Depp und Slash, hat bereits zehn kleinere Figuren aus Bronze in Auftrag gegeben – und zeigt Interesse an einer längerfristigen Zusammenarbeit.

Vom Handwerk zur Kunst – und zurück

Der Unterschied zwischen einem Steinmetz und einer Bildhauerin? „Als Bildhauerin arbeite ich freier und künstlerischer“, erklärt Bianchi. Moser ergänzt: „Wir Steinmetze halten uns mehr an Maß, Winkel und Form.“ Trotz der unterschiedlichen Herangehensweisen verbindet beide die Leidenschaft für den Stein – und die Überzeugung, dass ihr Handwerk eine Zukunft hat.

Johannes Moser, 43 Jahre alt: Sein Ururgroßvater legte den Grundstein für den Betrieb, jetzt steht Moser an der Werkbank, mit ruhigem Blick auf die Arbeit vor sich. Dennis Straub

„Wir werden immer gebraucht“, sagt Moser. Aber er sieht auch Herausforderungen: Die Bestattungskultur verändert sich. Große Familiengräber verschwinden, Friedhöfe werden leerer. Zudem finden viele Betriebe keine Nachfolger mehr. Moser: „Wir sind der letzte Steinmetz in Heidenheim und einer von nur noch vier im gesamten Landkreis.“

Auch Bianchi sieht die Zukunft ihres Berufs mit gemischten Gefühlen. „Wir leben in einer Welt, in der alles schneller, effizienter, maschineller wird. Aber ich glaube, dass die Menschen die Kunst der Handarbeit gerade deshalb wieder schätzen lernen werden. Und weil sie selten geworden ist.“

Ein Beruf für Macher und Visionäre

Für junge Menschen, die sich für das Handwerk interessieren, hat Moser einen klaren Rat: „Einfach vorbeikommen und ausprobieren.“ Denn eines ist sicher: In seiner Werkstatt gibt es immer etwas zu tun – und genug Staub, um Spuren zu hinterlassen.

Der letzte Schliff

Der Staub legt sich langsam, das Dröhnen der Maschinen verstummt. Johannes Moser betrachtet eine frisch bearbeitete Steinplatte, fährt mit den Fingern über die glatte Oberfläche. In seiner Werkstatt entstehen Werke, die Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte überdauern werden. Das gibt ihm Sinn und Halt, er wirkt zufrieden. Veronika Bianchi tritt einen Schritt zurück, wirft einen kritischen Blick auf ihre Skulptur. Mit geübtem Griff setzt sie den Meißel an, nimmt eine letzte Korrektur vor. Dann nickt auch sie zufrieden. Obwohl ihre Arbeitsweisen unterschiedlich sind, teilen Moser und Bianchi eine Überzeugung: Der Stein hat Bestand. In einer Welt, die immer schneller wird, wirken ihre Arbeiten wie ein Gegenentwurf. Stein ist geduldig.

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