Lose statt Eierstock-Lotterie

Theaterring Heidenheim: So war die Inszenierung der Württembergischen Landesbühne Esslingen von „Jeeps“

Schnell, böse und hintersinnig: Die Württembergische Landesbühne Esslingen gab mit „Jeeps“ ordentlich Stoff zum Lachen und Nachdenken im Heidenheimer Konzerthaus.

Die Titelmelodie von „Dalli Dalli“ – die nicht mehr ganz so jungen Leser werden sich erinnern – leitete die Inszenierung der Württembergischen Landesbühne Esslingen von „Jeeps“ ein, die am Donnerstagabend im Konzerthaus in der Reihe Theaterring Heidenheim gezeigt wurde. Und diese heitere, kleine und so harmlose Melodie könnte darauf schließen lassen, dass nun ein heiteres und harmloses Stück folgt. Es gab auch viel zu lachen. Aber harmlos war das bei Weitem nicht.

Zunächst einmal der Titel „Jeeps“: Die immer größer werdende Zahl an immer größer werdenden Autos hatte Autorin Nora Abdel-Maksoud dazu inspiriert, über Klassenunterschiede, Chancenverteilung und letztlich Gerechtigkeit nachzudenken. Und das mündete in ihr Theaterstück, das landauf, landab gezeigt und als „kleines Meisterwerk“ unter den Gegenwartsstücken gefeiert wird.

Laptop in Lederhose

Das Stück setzt an beim Thema Erben. Wie reagieren diejenigen, die in den Genuss einer Erbschaft kommen? Das Stück nennt drei Alternativen: zum einen mit Schmerz über anfallende Erbschaftssteuer, zum anderen mit Verweis auf die bereits erfolgte Besteuerung des Vermögens, zum anderen, und schließlich die Gründung einer Stiftung zur Förderung von auf John Cage spezialisierte Muschelhornflötistinnen, deren Name sich auf „Crémant“ reimt. Und weil das Erben via „Eierstock-Lotterie“ ungerecht ist, wird die Erbschafts-Lotterie eingeführt. Das Erbe kommt in den Jackpot, und ein Los entscheidet über den Gewinn. Das Los muss freilich beantragt werden. Und wo? Im Jobcenter.

Und da spielt die gesamte Handlung. Da verbünden sich Maude (Cathrin Zellmer), der ein Stechpalmenvorfall Wortfindungsstörungen und damit das Ende ihrer Groschenromanautorinnenkarriere und Langzeitarbeitslosigkeit beschert, und Silke (grandios: Feline Zimmermann), privilegiert von Haus aus und erfolgreiche Designerin von Trachten-Laptoptaschen im Label „Laptop in Lederhose“  und Erbin. Zusammen wollen sie Silkes Erbe aus dem Lostopf zurückerobern. Erst auf vorgegebenem bürokratischem Weg, dabei hilft Maude, denn die Langzeitarbeitslose spricht „fließend Amt“. Weil aber die Jobcenter-Mitarbeiter (Niklas Schmidt-Kosik und Christian A. Koch) immer neue Formularhürden aufbauen, Anträge wegen unzulässiger Verwendung des Fugen-S zurückweisen und ohnehin lieber ganz ohne Kunden über die beste Gummibärchen-Sorte diskutieren, schreiten Maude und Silke zur Gewalt. Und das knallt. Das knallt ordentlich.

Showbühne mit knalligen Lichteffekten

Das ist wörtlich zu nehmen, denn da sind schon Effekte dabei, die zusammenzucken lassen. Es knallt aber auch vor Sprachgewalt und Wortwitz, der auch gerne mal die Grenze zur Derbheit überschreitet. Und das wird wunderbar gespielt, nicht nur im Ensemble, sondern auch mit dem Publikum, denn immer wieder wenden sich die Protagonisten an die Zuschauer wie in einer Erzählerfunktion, die freilich stets die eigenen Befindlichkeiten zum Inhalt haben. Regisseur Tobias Rott hat dafür gesorgt, dass das in großer Dynamik in temporeichem Fluss geschieht in einem Bühnenbild, das in seiner Glattheit und durch die knalligen Lichteffekten wie eine Showbühne wirkt. Dass dann und wann die „Wer-wird-Millionär“-Melodie eingespielt wird und Spannung aufbaut, unterstützt diesen Effekt noch.

Es knallen auch die Pointen, und die zielen nicht nur ins Zwerchfell, sondern auch in Herz und Hirn – und hinterlassen nicht selten ein recht mulmiges Gefühl. Denn wie gesagt: Heiter und harmlos ist das nicht. Zündstoff ist das, hintersinnig, böse, zynisch zuweilen, vor allem in der Frage, was denn nun zynischer ist: Stück oder Wirklichkeit. Und die taucht in all dem rasanten Getümmel doch ganz schön häufig auf – ohne Multiple-Choice-Antworten, ohne Joker. Stück, Spiel und Inszenierung zeigen auf das Beste, wie anregend und auch aufregend Theater sein kann. Oder um es in Dalli-Dalli-Manier zu sagen: Das war spitze.

George Orwell am Start

„Animal Farm“ steht als Nächstes auf dem Programm des Theaterrings Heidenheim. Die Geschehnisse um die beiden Eber Napoleon und Schneeball nach dem Roman von George Orwell zeigt das Landestheater Schwaben am Dienstag, 1. April, im Konzerthaus. Beginn ist um 19:30 Uhr.

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