Frauen im Blick

Marlene Bolz zum Weltfrauentag: „Es gibt noch immer genug Gründe, für die Gleichberechtigung einzutreten“

Zum Weltfrauentag am 8. März spricht Marlene Bolz, Erste Landesbeamtin, Juristin und Mutter, über Errungenschaften der Frauenbewegung, über noch immer bestehende Ungleichheiten, geschichtliche Entwicklungen – und über Gewalt an Frauen.

Marlene Bolz ist Ehefrau, Mutter dreier Kinder, Juristin und Erste Landesbeamtin am Heidenheimer Landratsamt. Eine Frau, die mit Kindern in einer führenden Position arbeitet, Verantwortung übernimmt und um den mitunter schwer zu leistenden Spagat zwischen Familie und Beruf weiß. Eine Frau, die den Wert kennt von Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Anlässlich des Weltfrauentags spricht sie über große Meilensteine der Frauenbewegung, über noch immer bestehende Missstände – und zeigt auf, wo weiter gehandelt werden muss.

Frau Bolz, heute ist Internationaler Frauentag. Der Tag erinnert an große Errungenschaften der Frauenbewegung und ruft nicht zuletzt manchem ins Gedächtnis, dass heutige Freiheiten hart erkämpft werden mussten. Gleichzeitig wird der Tag genutzt, um auf noch immer bestehende Missstände aufmerksam zu machen. Wie halten Sie es mit dem Weltfrauentag: Grund zum Feiern, zum Nachdenken? Oder geht das einigermaßen unaufgeregt an Ihnen vorbei?

Bei mir ist es wie vielleicht bei vielen: An Tagen wie diesen nimmt man doch manches wieder bewusster wahr oder richtet ein besonderes Augenmerk darauf. Deshalb finde ich es wichtig, dass der Internationale Frauentag mit zahlreichen Veranstaltungen hier bei uns im Landkreis erlebbar gemacht wird und damit ein Austausch und auch eine Auseinandersetzung mit den Themen ermöglicht wird.

Schauen wir es uns konkret an. Bis 1918 durften Frauen nicht wählen, erst 1958 konnten sie ihr eigenes Konto eröffnen. Bis 1958 konnte der Mann über die Berufstätigkeit der Frau entscheiden. Und noch bis 1977 durfte die Frau in Westdeutschland nur dann arbeiten, wenn das mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war. Wie blicken Sie auf diese Zustände zurück? Und was können oder müssen wir daraus lernen?

Ich würde sagen: Es hat sich viel getan, aber es gibt auch noch immer viel zu tun. Unser Grundgesetz schreibt fest, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Fakt ist aber auch, dass zunächst noch viele geltende Gesetze dieser seit 1949 verfassungsrechtlich verankerten Gleichberechtigung von Männern und Frauen widersprachen. Ein wichtiger Schritt war 1958 mit dem sogenannten Gleichberechtigungsgesetz gemacht. Und weiter 1977 mit der Reform des Ehe- und Familienrechts und der Abschaffung der sogenannten „Hausfrauenehe“, der gesetzlich vorgeschriebenen Aufgabenverteilung in der Ehe. 1980 wurde die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz als Rechtsanspruch festgeschrieben. Wir sehen es: Die Durchsetzung der Gleichstellung von Männern und Frauen ist ein fortlaufender Prozess, der bis heute andauert. Es wurde schon vieles erkämpft. Aber es gibt auch noch immer genügend Gründe, unermüdlich weiter für die Gleichberechtigung einzutreten.

Die Durchsetzung der Gleichstellung von Männern und Frauen ist ein fortlaufender Prozess, der bis heute andauert.

Marlene Bolz

Sie sagen es: Es gibt noch immer Ungleichheiten. Frauen werden etwa noch immer schlechter bezahlt als Männer. Und das ist nur ein Beispiel. Es gibt noch viel zu tun: Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Themen?

Das hängt immer davon ab, ob ich auf Deutschland oder die Welt schaue. Weltweit gesehen ist ein wichtiges Thema die Frauengesundheit, aber auch Bildungs- und Berufschancen. Circa 132 Millionen Mädchen weltweit gehen nicht zur Schule, um nur eine Zahl zu nennen. Und auch bei uns gibt es viele Themen, die noch nicht gelöst sind, sei es Gewalt gegen Frauen, Sexismus oder auch die Gender Pay Gap. Dass Frauen beruflich und familiär dieselben Chancen durch passende Rahmenbedingungen erhalten, darin sehe ich eine der Hauptaufgaben.

Ein Thema, das schwer wiegt: In Deutschland wird etwa jede vierte Frau mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner. 2023 gab es laut Familienministerium beinahe jeden Tag einen Femizid in Deutschland.

Die Zahlen sind alarmierend und schockierend. Ich habe mich während meines Studiums mit Kriminologie und der interdisziplinären Kriminalitätserforschung beschäftigt. Deswegen weiß ich auch, dass es hier ein enormes Dunkelfeld gibt. Ein Gespräch, das ich wohl immer in Erinnerung behalten werde, war der Erfahrungsbericht eines Opfers häuslicher Gewalt. Dieser Einblick, die spürbare schiere Angst und das unfassbare Gefühl der Hilflosigkeit, der Ausweglosigkeit, hat mich tief bewegt und sicherlich auch meinen Blick nachhaltig verändert.

Was können wir tun?

Hinschauen! Niederschwellige Beratungsangebote, sei es das Hilfetelefon oder auch das im Landkreis bestehende „Netzwerk gegen Gewalt im sozialen Nahraum“ können ebenfalls Bausteine sein. Wenn man sich aber anschaut, dass erst 1997 die Vergewaltigung in der Ehe strafbar wurde, Vergewaltigung bis dahin per Gesetz nur außerhalb, nicht jedoch in der Ehe existierte, dann zeigt das auch, dass hier noch ein langer Weg zu gehen ist.

Erst 1997 wurde die Vergewaltigung in der Ehe strafbar.

Wir lesen es immer wieder: Die Frauenhäuser, meist einziger Zufluchtsort für Gewaltopfer, sind ausgelastet bis überlastet. Welche Schutzkonzepte brauchen wir? Oder anders gefragt: Tut die Politik genug für den Schutz der Frauen?

Ich denke, ein wichtiger Schritt zum Schutz der Frauen ist das Gewalthilfegesetz, das im Februar vom Bundesrat gebilligt wurde. Es legt einen Rechtsanspruch der betroffenen Frauen und Kinder als Opfer häuslicher Gewalt auf Schutz und Beratung fest und wird damit auch Auswirkungen auf die Anzahl der Frauenhäuser, Schutzwohnungen und Beratungsstellen haben.

Was tut denn der Landkreis hier ganz konkret?

Es gibt das Frauen- und Kinderschutzhaus in Heidenheim in Trägerschaft der Diakonie, dieses wird unter anderem vom Landkreis finanziell unterstützt. Dass viele Menschen gar nicht wissen, dass es solche Einrichtungen gibt, ist sicherlich auch ein Zeichen dafür, dass Information und Präventionsarbeit in jedweder Hinsicht wichtig sind. Informations- und Öffentlichkeitsarbeit zu vielfältigen Themen wird auch durch unsere kommunale Gleichstellungsbeauftragte betrieben. Im Fachbereich Jugend und Familie ist außerdem die „Erstberatung Häusliche Gewalt“ angesiedelt, an die man sich wenden kann. Extern ist zu diesem Thema auch der „Weisse Ring“ ein guter Ansprechpartner.

Mit der „Me-too-Bewegung“ war eine Sexismusdebatte entbrannt. Auch der Landkreis hatte kürzlich eine Vereinbarung unterzeichnet, wonach man sich entschieden gegen Sexismus richte. Ganz ehrlich: Reichen da förmliche Unterschriften und Zugeständnisse?

Ich glaube, es braucht klare Botschaften und Positionsbezug, wenn man sich gemeinsam für oder in diesem Fall gegen etwas einsetzen will. Die unterzeichnete Erklärung hat eben diese Botschaft, dass auch wir im Landratsamt uns dafür einsetzen, dass sich Frauen und Männer an ihrem Arbeitsplatz sicher fühlen, die gleichen Chancen haben und dass die Öffentlichkeit für die Problematik von Sexismus und Geschlechterdiskriminierung sensibilisiert wird. Und dazu gehört es, hinzusehen, Hilfsangebote aufzuzeigen und deutlich zu machen, welche Folgen Sexismus haben kann. Wir müssen Betroffene ermutigen, darüber zu sprechen. Denken Sie nur an Gisèle Pelicot, der Unfassbares angetan wurde und die mit beeindruckendem Mut an die Öffentlichkeit gegangen ist, das Thema sexualisierte Gewalt in den Fokus gerückt und gefordert hat, dass die Scham die Seiten wechseln muss.

Wir müssen Betroffene ermutigen, darüber zu sprechen.

Wir machen einen harten Cut. Lassen Sie uns auf Ihre persönliche Lebensgeschichte schauen. Sie sind als Erste Landesbeamtin die Stellvertreterin des Landrats und somit in einer führenden Rolle. Sie sind Juristin und Mutter von drei Kindern. Wie bekommt man Familie und Beruf unter einen Hut? Wie bekommen Sie das hin?

Ja, ich kenne die Herausforderung, gleichzeitig zu arbeiten und kleine Kinder zu betreuen, und den Druck, wenn man gefühlt keinem gerecht wird, wahrscheinlich auch nicht werden kann. Ein Glück, wenn es Strukturen gibt, auf die man bauen kann. Sei es familiär, durch Kinderbetreuung, oder durch alternative Formen. Ohne das würde es auch bei uns zu Hause nicht funktionieren. Im Moment arbeitet mein Mann Teilzeit, er übernimmt die Kinderbetreuung am Nachmittag. Und das ist oft anstrengender, als den ganzen Tag zu arbeiten. Das ist meine ganz persönliche Meinung. Aber klar, man muss beruflich und privat überhaupt erst mal die Möglichkeiten haben, das alles passend hinzubekommen.

Familienstrukturen brechen auf, Großeltern sind häufig weit weg. Gute Betreuungsangebote sind gefragt. Sind wir im Kreis Heidenheim kreativ genug?

Gebraucht werden Lösungen mit unterschiedlichen Angeboten für die unterschiedlichsten Betreuungsbedarfe. Das macht es gerade so schwierig. Dabei hilft vielleicht Kreativität, aber vor allem sind Verlässlichkeit und die Bezahlbarkeit wichtig, nicht nur bei uns im Kreis.

Ihr Mann macht es vor: Es scheint so, als ob doch nach und nach gesellschaftliche Strukturen aufbrechen und auch der Mann die Rolle zu Hause übernimmt. Ein Gewinn?

Auf jeden Fall!

Frau Bolz, zum Abschluss: Was sagen Sie jungen Frauen, die die Chance haben, etwas zu verändern? Was sagen Sie dem kleinen Mädchen, das große Träume hat – oder der Großmutter, die ihrer Geschichte eine andere Wendung geben möchte?

Um es mit den Worten der amerikanischen Menschenrechtsaktivistin und Diplomatin Eleanor Roosevelt zu sagen: „Die Zukunft gehört denen, die an die Wahrhaftigkeit ihrer Träume glauben.“ Dabei spielt das Alter aus meiner Sicht gar keine Rolle.

Zur Person Marlene Bolz

Marlene Bolz ist seit 2020 Erste Landesbeamtin am Heidenheimer Landratsamt. Sie ist keine gewählte, sondern eine vom Land eingesetzte Beamtin. Sie ist Vertreterin des Landrats und nimmt im Landratsamt vielfältige administrative Aufgaben wahr. Marlene Bolz ist 41 Jahre alt und stammt aus Bielefeld. Dort studierte sie Rechtswissenschaften und war vor ihrer Aufgabe in Heidenheim zuletzt beim Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg tätig. Mit ihrer Berufung zur Landesbeamtin schließt sich für Marlene Bolz der Kreis: Denn die Juristin hatte ihre berufliche Laufbahn in der Landesverwaltung 2012 im Dezernat Bau und Umwelt des Landratsamts Heidenheim begonnen.

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