Kriege, Krankheiten, Coronafolgen

Mehr Kinder im Landkreis Heidenheim brauchen Hilfe: Das sind die Gründe

Immer mehr Kinder benötigen wegen seelischer und körperlicher Beeinträchtigungen staatlich finanzierte Hilfen im Lebensalltag sowie beim Besuch von Schule und Kita. Nicht vordergründig wegen der Kosten stößt das System im Landkreis Heidenheim an seine Grenzen.

Mehr Kinder im Landkreis Heidenheim brauchen Hilfe: Das sind die Gründe

Fehlendes Personal bei gleichzeitig steigenden Fallzahlen von hilfebedürftigen Kindern und Jugendlichen: Das ist der Grund dafür, dass das Hilfssystem derzeit auf seine Grenzen zusteuert und es bereits Wartelisten für stationäre und ambulante Hilfen gibt. Wo es überall hakt, welche Entwicklungen erwartet werden und welche Lösungsansätze es gibt, das zeigte Matthias Schauz, Dezernent für Jugend und Soziales, bei den Beratungen im Jugendhilfeausschuss über den Etat für 2024 auf.

Gemessen an den Fallzahlen steht der Landkreis Heidenheim im Landesvergleich gar nicht so schlecht da. Auf 1.000 Einwohner kommen 31,35 Fälle, in denen Hilfe zur Erziehung in Anspruch genommen wurde, rund 3,5 Fälle weniger als im Landesmittel.

Schulbesuch nur mit Begleitung: Immer mehr Fälle im Landkreis Heidenheim

Dennoch steigen die Zahlen aller ambulanten und teilstationärer Hilfsleistungen laut Schauz auch im Landkreis Heidenheim stetig an. Derzeit sind es mehr als 400 Fälle, vor drei Jahren waren es noch rund 350. Auffällig sei ein deutlicher Anstieg bei der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche. Insbesondere sei eine Beschulung ohne Schulbegleitung nicht mehr möglich. Die Anzahl der Schulbegleitungen habe sich seit 2014 im gesamten Land verdoppelt, die Aufwendungen verdreifacht. Schauz schloss sich deshalb der Forderung der Kommunalverbände an das Land an, die Lehrkraftressourcen so anzupassen, dass alle Kinder ohne vom Landkreis finanziertes Personal unterrichtet werden können.

Keine freien Heimplätze mehr im Landkreis Heidenheim

Ambulante Hilfe vor Heimunterbringung sei ein Grundsatz in der Jugendhilfe. Häufig aber seien die Problemlagen so vielschichtig, dass eine kostenintensive Heimunterbringung mit sozialpädagogischer Einzelbetreuung notwendig sei. Hier sinken die Fallzahlen laut Schauz aktuell und lagen zur Jahresmitte bei 152. „Zur Wahrheit gehört jedoch, dass derzeit keine Heimplätze mehr zur Verfügung stehen.“ Aufgrund des Fachkräftemangels müssten im Landkreis Heidenheim Wohngruppen schließen, bundesweite Anfragen seien notwendig. Die Mitarbeiter des Jugendamtes müssten diese Kinder und Jugendlichen sehr intensiv betreuen, bis ein Platz gefunden werde.

Zahl unbegleiteter, minderjähriger Geflüchteter steigt

Rapide steigt laut Schauz derzeit die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge an, denen sich der Landkreis annehmen müsse. 57 Jugendliche seien im Moment in Hilfemaßnahmen, im Jahr 2021 waren es gerade mal sechs. Kaum eine Rolle spielten junge Geflüchtete aus der Ukraine, diese kämen vor allem aus Afghanistan, Syrien und Nigeria. Kosten hierfür würden vom Land zeitversetzt erstattet.

Überlastete Familien und psychische Auffälligkeiten

„Multiple Krisen“ nannte Schauz als Grund, dass immer mehr Familien überlastet seien und Hilfe benötigten. Die Corona-Pandemie habe deutliche Auswirkungen auf das Aufwachsen von Kindern. „Auch Inflation, Energiekrise und Wohnungsnot bedrohen oftmals das Grundbedürfnis nach Stabilität und Sicherheit.“ Weltweite Fluchtbewegungen, der Ukraine-Krieg und neu der Nahost-Konflikt hinterließen ihre Spuren. Psychische Auffälligkeiten und Krankheiten stiegen in der Folge an, daher sei immer mehr und komplexere Unterstützung vonnöten.

Die Kinder- und Jugendhilfe wird vermehrt zum Ausfallbürge.

Matthias Schauz, Sozialdezernent im Landkreis Heidenheim

Hinzu kommt, dass viele gesellschaftliche Bereiche des Bildungs- und Sozialsystems an ihre Grenzen kommen. „Die Kinder- und Jugendhilfe wird vermehrt zum Ausfallbürge.“ Als Beispiel nannte Schauz, dass Kinder teils nur in Begleitung von Integrationsfachkräften den Kindergarten besuchen könnten. Schulbesuch sei nur in Begleitung möglich. Für notwendige Therapien gebe es lange Wartelisten. Dies alles erhöhe den Druck auf das System der Jugendhilfe.

Viel Hilfe ist also notwendig, doch dafür braucht es Fachkräfte. Laut Schauz würden Angebote im Landkreis geschlossen aufgrund von fehlendem Personal. Die Folge seien Wartelisten für die Hilfesuchenden.

Diese Ziele hat die Heidenheimer Jugendhilfe für 2024

Ziel der Jugendhilfe sei es deshalb für 2024, gemeinsam mit den Trägern alle bestehenden Angebote zu erhalten und bedarfsgerecht auszubauen. Aufgebaut werden soll neu ein Jugendgemeindepsychiatrischer Verbund. Im nächsten Jahr eröffnet werden soll die Jugendberufsagentur auf dem ehemaligen DHL-Gelände nahe des Bahnhofs an der Friedrichstraße 2, die Räume würden derzeit umgebaut. Niederschwellige Angebote wie frühe Hilfen sollen ausgebaut werden. Das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz habe Folgen: Für alle behinderten Kinder und deren Familien muss ab 2024 ein Lotse für die Eingliederung bereitgestellt werden. Der Ansatz sei gut, bringe aber das System Jugendhilfe finanziell und personell an die Grenze des Machbaren.

Es bringe wenig, wenn das Jugendamt Fälle identifiziere, bei denen Hilfe notwendig ist, den Trägern jedoch das Personal fehle, um diese zu betreuen, sagte Dr. Stephan Bauer (CDU/FDP-Fraktion). Deshalb sei seine Fraktion pessimistisch. Landrat Peter Polta relativierte den Personaldruck im Vergleich mit anderen Landkreisen, was er auf die Zusammenarbeit mit der Dualen Hochschule vor Ort zurückführte. Vielmehr blickte der Landrat mit Sorge auf die Haushaltsberatungen in Berlin nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts: „Das ist gerade wie auf hoher See. Ich hoffe, dass die Einsparungen nicht zu Lasten des Sozialbereichs gehen und uns Berlin nicht hängen lässt.“

So viel Geld gibt der Landkreis in der Jugendhilfe aus

Rund 212 Millionen Euro umfassen die Ausgaben, mit denen der Landkreis Heidenheim im Haushaltsentwurf für das Jahr 2024 rechnet. Davon macht der Sozialetat mit seinen knapp 94 Millionen Euro den größten Posten aus. Ein Viertel des Sozialetats entfällt dabei auf den Jugendhilfeetat in Höhe von 23,5 Millionen Euro.

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