Neue Altersgrenze bei der Kommunalwahl

Mit 16 in den Gemeinderat: Was die Heidenheimer Stadträte Helmuth Feichtenbeiner und Fabian Rieck dazu sagen

Am 9. Juni 2024 finden in Baden-Württemberg Kommunalwahlen statt. Erstmals können schon 16-Jährige für einen Sitz im Gemeinderat kandidieren. Das sagen die beiden Heidenheimer Stadträte Helmuth Feichtenbeiner und Fabian Rieck dazu.

Früher war manches später. Vor einem guten halben Jahrhundert durfte bei Bundestagswahlen nur abstimmen, wer mindestens 21 Jahre alt war. Doch die Zeiten haben sich geändert. Seit 1972 dürfen 18-Jährige über die Besetzung des Parlaments mitentscheiden. Auf kommunalpolitischer Ebene ging Baden-Württemberg 2014 noch einen Schritt weiter und senkte das aktive Wahlalter, also das Recht zur Stimmabgabe, auf 16 Jahre. Als bislang einziges Bundesland ermöglicht es bei der Kommunalwahl am 9. Juni 2024 erstmals bereits 16-Jährigen, für den Gemeinderat zu kandidieren.

Nachgefragt nach dem Für und Wider der Entscheidung, das sogenannte passive Wahlalter herabzusetzen, bei Helmuth Feichtenbeiner (74) und Fabian Rieck (31) - dem ältesten bzw. jüngsten Mitglied des amtierenden Heidenheimer Gemeinderats.

Herr Feichtenbeiner, mit 16 Jahren Stadtrat. Hätten Sie sich damals reif gefühlt für dieses Amt?

Feichtenbeiner: Ich denke nicht. Ich habe in dem Alter zwar angefangen zu arbeiten, aber die jungen Leute sind heute schon etwas reifer als wir damals.

Sie waren schon 58, als Sie 2008 erstmals für die SPD in den Gemeinderat kamen. Tut man sich da als lebenserfahrener Mensch leichter als ein 16- oder 17-Jähriger?

Feichtenbeiner: Mit Sicherheit. Ich war 20 Jahre Jugendleiter beim HSB, zehn Jahre im Vorstand und habe multifunktionäre Aufgaben wahrgenommen. Da lernt man schon was. Außerdem habe ich immer versucht, übergreifend zu arbeiten – zwischen den Jungen und den Alten, zwischen den Abteilungen, zwischen verschiedenen Vereinen. Ja, man hat da schon mehr Erfahrung.

Finden Sie es grundsätzlich gut, dass bei der nächsten Kommunalwahl erstmals bereits 16-Jährige gewählt werden können?

Feichtenbeiner: Ja, eindeutig. Als ich noch jung war, durfte man erst mit 21 wählen. Das war noch eine ganz andere Zeit.

Rieck: Ich denke, je breiter ein Gemeinderat aufgestellt ist, umso besser kann er die Gesellschaft widerspiegeln. Ich bin mit 31 das jüngste Mitglied, aber ich traue mir nicht mehr zu, für einen 16-Jährigen zu sprechen. Ein ganz Junger tut sich da leichter. Kritisch sehe ich, dass ein 16-Jähriger dem Taschengeldparagrafen unterliegt, aber gleichzeitig über Millionen an öffentlichen Geldern abstimmen soll. Das ist ein Widerspruch in sich. Es stellt sich die Frage, bis zu welcher Summe er mitentscheiden darf, und ob er dann ein vollwertiges Mitglied des Gemeinderats ist. Eigentlich ist er ja gewählt, um Entscheidungen treffen zu können.

Feichtenbeiner: Das sehe ich nicht so, denn er kann sich ja überall einbringen. Und wie oft haben wir denn solche Abstimmungen? In der Regel spricht man sich im Vorfeld ab. Wenn es dann zwei oder drei 16-Jährige gibt, können die sich im konkreten Fall ja enthalten.

Wäre unter diesem Gesichtspunkt ein Jugendgemeinderat der bessere Weg, Jugendliche in die Kommunalpolitik einzubinden?

Feichtenbeiner: Das wäre ohne Frage wünschenswert. Aber wir haben halt ungeheure Schwierigkeiten, so viele Junge zu motivieren. Das müsste über die Schulen gehen, aber es scheitert erfahrungsgemäß immer wieder. Nächstes Problem: die Finanzen. Man muss einen Haushalt aufstellen, der sich auch auf das nächste und übernächste Jahr auswirkt. Da sind viele Junge aber schon nicht mehr im Amt, sondern beim Studieren.

Rieck: Wenn das Land jede Kommune verpflichten würde, einen Jugendgemeinderat zu haben, dann hätten die Jungen ein eigenes Budget, das sie verwalten könnten. Und sie könnten ihre Meinung immer an den Gemeinderat übertragen.

Dass viele junge Menschen Heidenheim wegen eines Studiums, einer Berufsausbildung oder aus anderen Gründen verlassen, könnte in Zukunft auch im Gemeinderat zu häufigeren Wechseln führen.

Rieck: Schade wär´s natürlich, wenn ein junger Kandidat reingewählt wird, nach kurzer Zeit die Stadt verlässt und dann durch jemanden ersetzt wird, der sich nicht für die Jugend äußern kann. Aber es könnte für die Betroffenen natürlich auch ein Grund sein, sich für einen Studiengang zu entscheiden, den man an der DHBW in Heidenheim belegen kann.

Nach der Wahl 2019 hatten Sie, Herr Rieck, anfängliche Bedenken geäußert, mit 26 Jahren vielleicht noch etwas zu jung für die neuen Aufgaben zu sein.

Rieck: Ich bin froh, die Erfahrungen gemacht haben zu dürfen, die ich in den vergangenen fünf Jahren gemacht habe, die Dinge gelernt zu haben, die ich seitdem in der Kommunalpolitik gelernt habe. Aber am Anfang habe ich mir schon schwergetan. Ich komme aus dem elterlichen Betrieb und bin heute selbstständig. Im Gemeinderat geht es aber um andere Summen. Wir sprechen über öffentliche Gelder, bei denen ich heute wie damals manchmal schlucken muss. Und bei denen ich mir denke: Wo kriegen wir denn das Geld her? Dabei macht es keinen Unterschied, ob du 16, 17 oder 30 bist. Die ersten ein, zwei Jahre sind Einarbeitungszeit. Du musst erst einmal Erfahrungen sammeln, wie das mit der Kommunalpolitik, mit der Verwaltung und eben den Finanzen funktioniert.

Nehmen wir mal an, Sie wären vor fünf Jahren nicht auf Anhieb gewählt worden. Hätten Sie Ihre kommunalpolitischen Ambitionen dann postwendend zu den Akten gelegt?

Rieck: Ich glaube nicht. Mich interessiert Kommunalpolitik schon, seit ich 2014 das erste Mal wählen durfte. Ich konnte damals mit den Namen vieler Kandidaten nichts anfangen, geschweige denn mit ihren politischen Überzeugungen. Ich wollte aber nicht Menschen wählen, deren Haltung ich gar nicht teile. Deshalb habe ich mir viele Gemeinderatssitzungen angesehen. Ich saß oft alleine auf der Zuschauertribüne, aber das Interesse ist geblieben. Deshalb, um auf Ihre Frage zurückzukommen, hätte ich dieses Jahr wohl wieder auf der Liste gestanden, auch wenn ich 2019 nicht gewählt worden wäre.

Weshalb können 16-Jährige Ihrer Meinung nach dem Gemeinderat guttun?

Feichtenbeiner: Junge haben oft andere Ansichten und Wünsche, denen man nachgehen kann und sollte. Und bei der ganzen digitalen Vernetzung sind sie uns Älteren voraus. Da ist ihr Wissen ganz wichtig.

Rieck: Neue Ideen sind immer gut. Allerdings müssen die alten Hasen die neuen Fraktionsmitglieder – nicht nur die Jungen – manchmal bremsen, weil sie einfach noch zu unerfahren sind. Manche Dinge kann man halt nicht mal einfach so machen, auch wenn man das als Neuling vielleicht nicht versteht.

Feichtenbeiner: Als Älterer bremst man sich aus diesem Grund schon mal selber. Das ist auch nicht gerade förderlich. Besser ist es, wenn man einen Schritt zurücktritt und einen neuen Anlauf wagt. Fehler kann und darf jeder machen, und die Jungen müssen aus ihren eigenen Fehlern lernen.

Manche Kritiker wenden ein, ein 16-Jähriger genieße in der Öffentlichkeit noch gar nicht die erforderliche Akzeptanz, um den Gemeinderat und die Kommune repräsentieren zu können.

Rieck: Ich sehe das anders. Um ins Gremium zu kommen, brauche ich eine gewisse Zahl an Stimmen. Und die würde ich ja nicht bekommen, wenn meine Wählerinnen und Wähler mich nicht akzeptieren oder gar respektieren würden.

Vor Ihrer ersten Gemeinderatssitzung waren Sie bestimmt ziemlich nervös. Wer hat Ihnen damals geholfen, sich einzuarbeiten und dann auch zu etablieren?

Feichtenbeiner: Meine Fraktion hat unwahrscheinlich dazu beigetragen und mich gleich voll akzeptiert.

Rieck: Bei mir waren es auch die Mitglieder der Fraktion. Sie haben sich von Anfang an meine Ideen angehört und in den Sitzungen jede Frage beantwortet. Und das natürlich im eigenen Interesse. Denn die Fraktion ist mitverantwortlich dafür, ob eine Person in ihre neue Funktion hineinwächst oder nicht.

Feichtenbeiner: Ich habe übrigens mehr Probleme mit der Verwaltung als mit den anderen Fraktionen. Die gehen aufeinander zu und sind tolerant genug, das eine oder andere mitzutragen. Wir sind nicht die Abnicker, auch wenn das manchmal so aussieht. Die Dinge werden zuvor in den Fraktionen und Ausschüssen beraten. Am Ende findet man einen Kompromiss, und es ist durchaus mal möglich, dass das Plenum den Verwaltungsvorschlag überstimmt. Man hat nicht mit aller Gewalt recht. Das ist für mich gelebte Demokratie.

Zu dieser gehört aber auch die Öffentlichkeit. Und ihr ist nicht hinreichend Genüge getan, wenn abschließend ohne öffentliche Diskussion nur noch das Ergebnis verkündet wird. So wie unlängst bei der Entscheidung, dass Gastronomen künftig das ganze Jahr über im Freien bewirten dürfen.

Rieck: Das stimmt, in diesem Punkt gebe ich Ihnen recht.

Nochmal zurück zu den Anfängen, Herr Rieck. Hat Ihnen anfangs mal jemand signalisiert: Was will denn der junge Hüpfer hier?

Rieck: Tatsächlich war das 2019 im Wahlkampf der Fall. Da gab es ein, zwei Momente, in denen zum Beispiel der Satz gefallen ist: Was stellst du dir eigentlich vor? Du hast in deinem Alter eh keine Chance. Das tut in dem Moment weh. Aber gleichzeitig motiviert es auch.

Nach der Wahl …

Rieck: … gab es solche Äußerungen nicht mehr. Das hing auch damit zusammen, dass ein Drittel des Gremiums neu war, sehr viele trotz ihres Alters unerfahren waren und sich erst einarbeiten mussten. Auch gegenüber den anderen Fraktionen war es immer eine Kommunikation auf Augenhöhe.

Offen zugeben wird das kaum jemand. Aber könnten sehr junge Kandidatinnen und Kandidaten auch als unliebsame Konkurrenz für altgediente Mitglieder des Gemeinderats angesehen werden?

Rieck: Gegenfrage: Was für einen Unterschied macht es, ob der Konkurrent 16 oder 40 ist? Ich kann meinen Sitz gegen jeden verlieren, der sich bewirbt. Das ist die Demokratie.

Feichtenbeiner: Die Zusammensetzung der Listen ist ein schwieriges Thema. Amtierende Stadträte bekommen schon mal einen hinteren Listenplatz, weil es heißt: Ihr werdet ohnehin gewählt. Aber ich habe selber die Erfahrung gemacht, dass es ganz anders laufen kann. Umgekehrt ist eine vordere Platzierung keine Garantie, gewählt zu werden.

Rieck: Ein Erfolgsfaktor kann heute auch sein, wie man die Leute in den sozialen Medien mitnimmt. Ich habe das getan und wurde trotz Listenplatz 23 gewählt. Die Bürger sehen schon, wer sich mehr einsetzt und den größeren Willen hat, ins Gremium zu kommen.

Auf den Listen, die Sie beide vertreten, stehen keine 16-Jährigen. Bei den Freien Wählern findet sich zumindest ein 17-Jähriger. Hatten Sie überhaupt gezielt nach jungen Bewerberinnen und Bewerbern gesucht?

Feichtenbeiner: Ich war stinksauer, als ich erfuhr, dass man jemandem, der im Jugendhaus arbeitet, untersagt hat, sich auf eine Liste setzen zu lassen. Das geht gar nicht. Wenn es sich um jemanden handelt, der in der Verwaltung oben angesiedelt ist, dann kann man das rechtfertigen. Aber nicht bei jemandem, der in der Ausbildung ist. Das hat mich ungeheuer belastet.

Rieck: Bei uns haben die Anfragen gefehlt. In unserem Ortsverband haben momentan nur amtierende Gemeinderatsmitglieder die Posten inne. Vielleicht war es auch deshalb schwierig, aktiv die ganz Jungen zu suchen und zu finden. Am Ende war es einer, der sagte: Ich habe Interesse und würde gerne mitmachen. Dass wir niemanden im Alter zwischen 22 und 31 auf der Liste haben, uns da also ein ganzes Jahrzehnt fehlt, finde ich sehr schade. Unser Ziel ist es nämlich, verschiedene Berufe und Altersgruppen anzubieten.

Feichtenbeiner: Ich bedauere das auch. Denn die Jugend ist unsere Zukunft. Aber das ist nicht nur in der Politik so, sondern auch in den Vereinen. Kaum jemand ist bereit, seine Freizeit für andere zu opfern. Das hat es früher so nicht gegeben.

Vielleicht sieht das nach der jetzt erstmals wirksamen Gesetzesänderung in fünf Jahren ja anders aus.

Rieck: Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Vielleicht müssen die Schulen langsam anfangen, nicht nur über Bundes- und Landespolitik zu informieren, sondern auch über Kommunalpolitik. Dann sagt möglicherweise der eine oder andere: Das wär` doch was für mich, da will ich mich einbringen.

Hielten Sie es für konsequent, parallel zum passiven Wahlrecht auch den Zeitpunkt der Volljährigkeit und der Strafmündigkeit nach vorne zu verlegen?

Feichtenbeiner: Wenn es noch ein paar Mal passiert, dass 13-Jährige andere umbringen, dann kommt das garantiert. Die Gesellschaft würde sonst Sturm laufen. Für mich ist das also nur eine Frage der Zeit.

Rieck: Ich kann da nur zustimmen, wenn ich sehe, wie viele Dinge in den letzten 15 Jahren verändert wurden. Denken Sie nur an das begleitete Fahren mit 17.

Im Juni dürfen nun also erstmals 16-Jährige gewählt werden. Sollte es auf der anderen Seite eine Altersobergrenze für Gemeinderäte geben?

Feichtenbeiner: Ich finde nicht, dass man alles per Gesetz regeln muss und zum Beispiel sagen sollte, ab einem bestimmten Tag sei jemand zu alt. Es gibt Leute, die sind mit 60 schon ein Methusalem. Andere dagegen sind mit 90 noch fit, geistig und körperlich voll da. Also muss jeder für sich selbst entscheiden. Für mich persönlich ist klar, dass nach der kommenden Amtszeit Schluss ist, sofern ich jetzt gewählt werden sollte.

Rieck: Die Entscheidung für oder gegen eine Kandidatur muss jeder für sich treffen. Am Ende wäre es doch Altersdiskriminierung, wenn ein Mensch topfit ist, weil er vielleicht ein Leben lang nach sich geschaut hat, und dann gesagt bekommt: Jetzt darfst du nicht mehr kandidieren. Ich kann jedenfalls unendlich viel von der Erfahrung profitieren, die Ältere gemacht haben, und gleichzeitig meine Ideen einbringen.

Durchschnittsalter: 58 Jahre

Helmuth Feichtenbeiner rückte bisher vier Mal für die SPD in den Heidenheimer Gemeinderat nach. Erstmals war das 2008 der Fall. Fabian Rieck, Vorsitzender des Ortsverbands der Freien Wähler, kandidierte 2019 das erste Mal und wurde auf Anhieb gewählt. Das Durchschnittsalter des Gremiums liegt aktuell bei 58 Jahren.

Der sogenannte Taschengeldparagraph bestimmt, dass Minderjährige ohne Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter Verträge abschließen dürfen, wenn die damit verbundene Leistung aus Mitteln bestritten wird, die ihnen dafür überlassen wurden. Im Gemeinderat wird aber über Summen entschieden, die weit über solche Beträge hinausgehen. Was also tun? „Das Land Baden-Württemberg hat hier keine Vorgaben gemacht“, teilt Rathaussprecher Stefan Bentele auf Anfrage mit, „insofern gelten für Jugendliche, die in den Gemeinderat gewählt werden, uneingeschränkt dieselben Rechte und Pflichten wie für Erwachsene.“

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