Interview

Neuer Firmenchef Dirk Hoke: „Wir haben das Potenzial von Voith noch nicht ansatzweise gehoben“

Der neue Voith-Chef Dirk Hoke kommt vom Flugtaxi-Startup Volocopter, hat aber auch Erfahrungen in großen Konzernen wie Siemens und Airbus gesammelt. Im HZ-Interview spricht er darüber, was er bei Voith vorhat und welches Potenzial für ihn im Heidenheimer Maschinenbau-Unternehmen steckt.

Sind Sie gut in Heidenheim angekommen?

Ja, die Kollegen haben mich sehr warmherzig und freundlich aufgenommen. Ich bin schon die vergangenen sechs Monate regelmäßig hier gewesen. Ich finde es sehr schön hier, ich mag die hügelige Landschaft und das Städtchen Heidenheim. Die Menschen sind extrem freundlich, alle grüßen, wenn man sich auf der Straße begegnet.

Sie bringen Erfahrung von großen Konzernen wie Siemens und Airbus mit, haben sich beruflich viel mit Mobilität beschäftigt, waren zuletzt beim Startup Volocopter, wo es sehr stark um Innovation ging: Sind Sie die Idealbesetzung für die Konzernspitze von Voith?

Ich glaube schon, dass wir sehr gut zusammenpassen. Nach den vielen Erfahrungen in unterschiedlichen Bereichen, in verschiedenen Ländern, Geschäften und Industrien freue ich mich, jetzt in einem familiengeführten Unternehmen tätig sein zu dürfen. Bei Voith führt eine sehr bodenständige Familie die Firma. Damit haben wir die Möglichkeit, Veränderungen langfristig zu denken. Wir müssen nicht auf jedes Pferd springen, das vorbeigaloppiert, sondern können auf lange Sicht und auch gesellschaftsorientiert planen. Das ist sonst weder in einem großen Konzern noch in einem Startup in dieser Form möglich.

Unbekannt war Ihnen die Firma Voith wahrscheinlich nicht.

Nein, ich kenne viele Geschäftsbereiche von Voith direkt oder indirekt schon, weil ich in denselben Industrien gearbeitet habe. Bis vor einigen Jahren war Voith ja mit Siemens verbunden. (Voith Hydro war früher ein Gemeinschaftsunternehmen von Voith und Siemens Energy, bis sich Siemens 2021 aus dem Joint Venture zurückzog, Anmerkung der Redaktion.). Ich habe das Servicegeschäft für Siemens Industry aufgebaut, und Voith war an vielen Stellen Partner oder Lieferant. Insofern gab es durchaus Berührungspunkte in der Vergangenheit.

Sie sprachen von längerfristigen Strategien. Nun haben wir aber in den vergangenen Jahren so viele gravierende kurzfristige Entwicklungen erlebt, da müssen auch Unternehmen oft schnell reagieren. Ging es Ihnen nicht bei Volocopter auch so, dass sich zwischen Ihrer Zusage für die Geschäftsführung und dem Arbeitsbeginn entscheidende Voraussetzungen verändert hatten?

Bei meinem Start bei Volocopter waren weniger geopolitische Themen die Herausforderung, sondern eher, dass ich ein Wettbewerbsverbot hatte und ein Jahr freigestellt war, bevor ich anfangen konnte. In diesem Jahr sind viele Entscheidungen getroffen worden, die aus meiner Sicht nicht gut für die Firma waren und die ich korrigieren musste. Dadurch habe ich viel Zeit verloren. Bei Voith ist das anders. Wir haben schon in den letzten Monaten begonnen, ein Strategieprogramm vorzubereiten, sodass ich mit meinem Start am 1. April sofort loslegen konnte. Das Programm umfasst drei Säulen: die Effizienz, die Langfriststrategie, die wirklich 20 bis 30 Jahre nach vorne gehen soll, und die Kultur und Führung im Unternehmen. Letzteres bildet das Fundament für die anderen beiden Säulen.

Und dabei spielen aktuelle Entwicklungen wie die Zölle, die Donald Trump gerade erlässt, keine Rolle?

Unsere Analysen werden etwas komplexer durch die aktuelle Situation, aber nur zu einem gewissen Teil. Unsere Hausaufgaben müssen wir so oder so machen. Wir haben den Vorteil, dass Voith schon seit langem eine Local-for-Local-Strategie verfolgt. Das heißt, man kauft dort ein, wo man auch produziert und verkauft. Deshalb sind die Handelsströme, die wir jetzt genau analysieren, zwar beeinträchtigt, aber nicht in den großen Dimensionen wie bei anderen Unternehmen.

Noch haben Sie den Blick auf Voith von jemandem, der von außen kommt. Wie schätzen Sie die Zukunftschancen des Unternehmens ein?

Ich schätze die Chancen für Voith extrem positiv ein. Wir haben aus meiner Sicht das Potenzial von Voith noch nicht einmal ansatzweise gehoben. Voith hat ein tolles Fundament mit sehr, sehr loyalen, freundlichen und motivierten Mitarbeitern und ein Portfolio, das zwar auch Schwächen hat, aber an vielen Stellen auch sehr starke Elemente, und das man definitiv nach vorne weiterentwickeln kann. Das ist genau die Aufgabe, die ich für mich sehe. Wir haben Themen, die wir genau analysieren und an denen wir arbeiten müssen. Aber wenn wir das gerade gezogen und zwischen den Konzernbereichen das Wir-Gefühl gestärkt haben, dann haben wir eine sehr gute Basis, um zu wachsen und die Firma nach vorne zu entwickeln.

Voith braucht jedes Jahr drei bis fünf Prozent Produktivitätssteigerung, um Lohnerhöhungen, Personalkosten und Materialpreiserhöhungen ausgleichen zu können, sagt der neue Konzernchef Dirk Hoke. Rudi Penk

Sie sagen, das Potenzial von Voith sei noch lange nicht ausgeschöpft. Was muss aus Ihrer Sicht getan werden, um es zu heben?

Wir müssen uns mehr mit dem Wettbewerb messen und die Märkte viel stärker im Fokus haben. Es gibt bei Voith noch die Mentalität, zu erklären, warum die Situation so ist, wie sie ist. In Zukunft darf nur entscheidend sein, ob wir in der Lage sind, in den wichtigen Geschäftsfeldern die Position der Nummer 1 oder Nummer 2 im Markt zu erreichen. Dann verdient man nämlich Geld und kann die Firma weiterentwickeln. Wenn wir das nicht schaffen, dann müssen wir auch Konsequenzen ziehen.

Voith muss sich an den Wettbewerbern messen – und da sind wir in den letzten Jahren stark zurückgefallen.

Das klingt aber auch nach harten Einschnitten.

Wenn wir uns vergleichbare Firmen anschauen, waren manche vor zehn oder 15 Jahren nur halb so groß wie Voith und sind jetzt doppelt so groß. Sie haben besser akquiriert, besser integriert, sie haben ihre Kostenstruktur deutlich verändert und sie erzielen heute mehr Umsatz und mehr Gewinn. Deshalb reicht es nicht, sich nur selbst zu fragen, ob man zufrieden ist. Voith muss sich an den Wettbewerbern messen – und da sind wir in den letzten Jahren stark zurückgefallen. Voith ist endogen nicht gewachsen, die Margen sind nicht besser geworden, wir haben viele Elfenbeintürme entwickelt.

Und wie wollen Sie das ändern?

Wir müssen die Synergien intern heben, indem wir enger zusammenarbeiten, Doppel-, Dreifach- oder Vierfachfunktionenabbauen und die interne Bürokratie deutlich reduzieren. Ich bin mir sicher, dass wir dadurch unsere Profitabilität verbessern können. Und dann werden wir uns auch sehr intensiv mit dem Wettbewerb und den Märkten beschäftigen.

Setzen Sie auch auf externe Beratung bei diesen Prozessen?

Die Beratungsfirma ist seit dem 1. April im Haus mit einem tollen Team, das uns unterstützt. Dabei geht es uns um zusätzliche Brainpower und den Blick von außen. Ziel ist es, dass wir unser eigenes Team stärken, um in der Zukunft ein kontinuierliches Verbesserungsprogramm zu etablieren. Denn wir brauchen jedes Jahr drei bis fünf Prozent Produktivitätssteigerung, um Lohnerhöhungen, Personalkosten und Materialpreiserhöhungen ausgleichen zu können. Und dabei unterstützen uns die externen Berater in den nächsten Wochen und Monaten, sodass wir das Programm dann aus eigener Kraft in den nächsten Jahren fortführen können.

Sie haben immer wieder betont, dass Deutschland stark sei bei der Innovation, sich aber sehr schwer tue bei der Kommerzialisierung. Diese Aussage trifft auch auf Voith zu: Es wird sehr viel geforscht und entwickelt, aber große kommerzielle Erfolge gab es in den vergangenen Jahren nicht.

Das ist richtig, und das müssen wir natürlich auch ändern. Wenn wir am Standort Deutschland erfolgreich sein und die Arbeitsplätze hier erhalten wollen, geht das nur durch Innovation. Die andere Lösung wäre Kostenführerschaft, aber das ist am Standort Deutschland eher unwahrscheinlich. Also können wir es nur über Innovation schaffen.

Zu einer guten Unternehmenskultur gehört auch funktionierende Teamarbeit. Kann man ein Zusammengehörigkeitsgefühl in einem Startup einfacher generieren als in einem großen Unternehmen wie Voith?

Hätte man mich das vor Volocopter gefragt, hätte ich das auch vermutet. Nachträglich muss ich sagen: Nein, es ist nicht einfacher. Ich glaube, es wäre anders gewesen, wenn ich in der Phase dazu gekommen wäre, als die Firma nur 50 Mitarbeiter hatte und vor Corona. Als ich kam, war die Mannschaft schon sehr stark gewachsen und es waren schon eher konzernartige Strukturen da. Insofern war Volocopter auch nicht das typische Startup-Unternehmen. In 30 Jahren Führung habe ich Vieles gesehen und ausprobiert. Dabei habe ich eine wertebasierte Kultur und Führung schon immer für zielführend gehalten. Meine Überzeugung ist, dass ein Team, das intrinsisch motiviert ist, jedes Team schlagen wird, das anders geführt wird. Die Grundvoraussetzung dafür ist ein offenes und diverses Team. Wir haben in Konzernen viele Strukturen, Regelungen und Vorschriften. Aber am Ende ist es doch relativ einfach, wenn man sich auf gemeinsame Wertvorstellungen einigt.

Und wie vermittelt man jedem einzelnen Mitarbeiter, wie wichtig er oder sie für das Unternehmen ist?

Das ist letztendlich eine Führungsaufgabe und das sehe ich auch als meine Aufgabe an. Wir haben am 1. April begonnen mit einem weltweiten Townhall-Meeting. Ich möchte jedem von Anfang an die Chance geben, mit mir in Kontakt zu kommen. Deswegen nehme ich mir die Zeit, um durch alle Abteilungen zu gehen. Ich werde auch die ausländischen Standorte besuchen. Ich werde so viel Zeit wie nur möglich dafür aufwenden, die Menschen kennenzulernen und dafür zu gewinnen, was wir vorhaben. Das wird anstrengend, wir werden den Mitarbeitern viel abfordern. Aber wir wollen dafür auch einen Nordstern bieten, damit jeder klar weiß, wo wir hinwollen.

Haben Sie vor, neue Geschäftsbereiche zu erschließen oder wollen Sie sich erstmal auf das konzentrieren, was da ist?

Beides. Mein Ziel ist in den ersten Monaten, die DNA von Voith vollständig zu verstehen. Die drei Konzernbereiche werden wir weiterentwickeln. Sie haben eine gute Substanz, aber auch noch viele Hausaufgaben zu machen, gerade in dem geopolitisch komplexen Umfeld. Und darüber hinaus habe ich der Familie Voith versprochen, dass wir zum Jahresende eine langfristige Strategie präsentieren werden. Und da wird sicherlich mehr enthalten sein als das, was wir heute im Portfolio haben. Denn wir müssen auch berücksichtigen, wie sich die Welt verändert und wie wir uns aufstellen müssen, um auch die nächsten 160 Jahre noch erfolgreich zu sein.

Es gab bereits verschiedene Versuche bei Voith, in neue Geschäftsfelder zu gehen, beispielsweise mit Robotik oder Digital Solutions. Zuletzt hat man sich aber wieder auf die klassischen Geschäftsfelder konzentriert.

Nur weil man Sachen falsch gemacht hat, bedeutet das nicht, dass man sich diese nicht wieder anschauen muss. Wir müssen einfach ehrlich sein: Der Wettbewerb hat besser akquiriert und integriert als wir. Aber wir müssen zuerst die Basis dafür schaffen. Denn wenn die Basis nicht trägt, wird man ziemlich sicher scheitern. Aber die Entscheidungsmatrix für Akquisitionen wird auf jeden Fall deutlich komplexer werden als in der Vergangenheit.

Bei Voith Turbo geht es derzeit um den Verkauf der Division Commercial Vehicles. Gibt es da etwas Neues?

Es gibt leider noch nichts Neues, das ist ein laufender Prozess. Die Entscheidung ist ja schon vor meiner Zeit getroffen worden. Wir wollen den Mitarbeitern natürlich so schnell wie möglich eine klare Information geben, wo die Reise hingeht.

Aber grundsätzlich sind Antriebe, egal, wie die Mobilität stattfindet, auch in Zukunft ein Thema, oder?

Definitiv. Ich glaube generell, dass das Thema Antrieb sehr gut zu Voith passt und wir das Thema auch weiterentwickeln können. Wir müssen uns aber gezielt auf Elemente konzentrieren, die nicht nur Nischenprodukte sind und bleiben, denn diese brauchen sehr viel Aufmerksamkeit und haben wenig Wachstumspotenzial. Dafür müssen wir Geschäfte finden, wo es einen Markt mit großem Bedarf gibt und wo wir über Innovation eine Differenzierung erreichen können.

Bei Voith Paper läuft gerade genau so ein Projekt, bei dem man versucht, den Papierherstellungsprozess radikal zu verändern, um dabei signifikant weniger Wasser und Energie zu verbrauchen. Das wäre so ein Beispiel, oder?

Das ist definitiv so ein Prozess. Wenn wir hierbei erfolgreich sind, wird das sicherlich einen großen Effekt im Markt haben. Das sind genau die Dinge, die wir brauchen: Wir müssen über Innovation zeigen, dass etwas möglich ist, das niemand für möglich gehalten hat. Damit können wir eine Technologieführerschaft und dann auch eine Marktposition erreichen, die ausbaubar ist.

Voith Paper war bisher der finanzstärkste Bereich von Voith. Aktuell hört man, dass es nicht so toll läuft. Ist da was dran?

Der Markt hat sich im letzten halben Jahr verändert und er wird sich noch stärker verändern. Die Paper-Kollegen unter Andreas Endters haben mit der Analyse begonnen und sind auch schon dabei, die erforderlichen Maßnahmen zu erarbeiten. Ich bin mir sicher, dass wir da vernünftige Lösungen finden werden. Aber grundsätzlich brauchen wir ja längerfristige Veränderungen, die jetzt durch die aktuelle Situation nochmal dringlicher werden. Die Marktsituation hat einen Effekt auf die Investitionsbereitschaft der Kunden. Wer eine Anlage für mehrere 100 Millionen Euro installieren will, überlegt sich schon, ob er das jetzt macht oder besser erst in sechs oder zwölf Monaten. Wir werden auf jeden Fall sehen, dass sich viele Investitionen verschieben werden.

Wo liegt das Innovationspotenzial im Konzernbereich Hydro?

Nun ja, Wasserkraft ist natürlich nicht ganz neu. Dort, wo große Wasserkraftwerke eingesetzt werden können, gibt es sie oft schon. Aber es gibt eben auch das Service-Geschäft mit dem wir weiterhin wachsen können.

Was verraten Sie uns noch über Dirk Hoke privat?

Ich wohne mit meiner Familie in einem kleinen Ort mit 6000 Einwohnern, in der Nähe von Nürnberg. Ich mache gerne Sport, laufe, seitdem ich elf bin. Vor Corona bin ich auch einmal im Jahr einen Marathon gelaufen, das muss ich jetzt wieder auffrischen. Laufen ist ein guter Sport, weil man ihn zeitlich flexibel überall ausüben kann, wo man gerade ist. Ansonsten bauen wir zuhause im Garten immer ein Volleyballnetz auf, da spielt die ganze Familie, wir sind auch begeisterte Skifahrer.

Sie haben in einem Podcast mal gesagt, Sie hätten Ihrer Frau versprochen, dass Sie mit 60 aufhören zu arbeiten. Sie sind jetzt 56, ist nach vier Jahren Schluss bei Voith?

Nein, das wäre etwas knapp (lacht). Ich denke, da lässt meine Frau mit sich reden, vier Jahre sind zu kurz. Aber ich werde sicherlich nicht bis 67 arbeiten und ich werde danach auch keinen anderen Job mehr annehmen.

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