Wenn der Neue Kammerchor zum Weihnachtskonzert einlädt, sind die Erwartungen ebenso groß wie die Vorfreude. So verwundert es nicht, dass die Pauluskirche am Donnerstagabend bis auf den letzten Platz besetzt war, um zu sehen und zu hören, was unter dem Titel „Kerzenhelle wird die Nacht“ geboten wurde: Ein Konzerterlebnis, das weit mehr zu bieten hatte als höchstes musikalisches Niveau.
Bereits der ruhige, präzise Einzug des Chors zu den Klängen eines Duetts von Klavier (Kyoko Kanazawa) und Saxophon (Lina Koch) machte deutlich, dass ein außergewöhnliches Programm zu erwarten war. Chorleiter Thomas Kammel zeigte sich bei der Begrüßung von der Größe des Publikums beeindruckt. Noch nie habe er die Pauluskirche so voll gesehen – und das trotz des zeitgleich stattfindenden Fußballspiels. Mit der Moderation wolle er sich zurückhalten, erklärte Kammel, denn das Programm sei „zutiefst weihnachtlich, zutiefst thematisch“ und mache alle Worte überflüssig. Umrahmt wurden die Titel lediglich von der Lesung der Weihnachtsgeschichte durch Johannes Köpf. Zum Titel „Trilo“ erläuterte der Chorleiter jedoch noch, dass es sich um ein schwedisches Volkslied handle, ein thematischer Schlenker also. Es erzählt vom sehnsüchtigen Warten der Frauen an der Küste, die Rückkehr ihrer seefahrenden Männer erhoffend. Sobald die Schiffe in Sicht waren, stimmten sie dieses Lied an: Hier ist er – nahes Land. Die jungen Sängerinnen und Sänger interpretierten vom ersten Ton an mit einer emotionalen Intensität, die dem Publikum Schauer über den Rücken jagte. Wind und Wogen, Hoffnung und Sehnsucht: alles war hörbar, spürbar und der tief berührende Solo-Part Emilia Burkarts zeugte von der Kraft der Empfindungen.
Durchdachtes Liedprogramm
Im Anschluss an den atemberaubenden Auftakt, der sich thematisch gar nicht so weit von weihnachtlichem Hoffen und Sehnen entfernte, wurde es dann gänzlich weihnachtlich. Heidenheims mehrfach preisgekrönter Vorzeigechor präsentierte souverän und auf höchstem Niveau eine durchdachte und abwechslungsreiche Auswahl traditioneller und moderner Weihnachtslieder. Neben bekannten Klassikern wie „Es ist ein Ros entsprungen“ oder „Maria durch ein Dornwald ging“ fanden vor allem zeitgenössische Kompositionen Einzug ins Programm, die sich teils als kleine Juwelen entpuppten.
Mit beeindruckender Mühelosigkeit meisterte der Chor die gesanglichen Herausforderungen von „Even when he is silent“ des jungen norwegischen Komponisten Kim André Arnesen. Bei „The Ground“ seines Landsmans Ola Gjelio schienen die Stimmen jeden kleinsten Winkel des Kirchenraums zu erfüllen und bei Michael John Trottas „Ubi Caritas“ überzeugte nicht nur Thea Haffter mit ihrem schönen Solo, sondern auch eine weitere moderne, auf Latein verfasste Komposition.
Deutsche Uraufführung
Fragloser Höhepunkt des Abends war „The cloths of heaven“ der britischen Komponistin Rebecca Dale, für das der Neue Kammerchor das Recht zur deutschen Uraufführung erhielt. Eine große Ehre und ebenso große Verantwortung, der die rund 70 Sängerinnen und Sänger, Julian Hepp am Cello und Pianist Kyoko Kanazawa vollumfänglich gerecht wurden. Solistin Viviane Steffens breitete ihren sanften, klaren und kraftvollen Sopran wie die besungenen Tücher des Himmels aus. Die Interpretation dieses jungen Werks bot ein Klangerlebnis wie eine kurze Reise in den Himmel und zurück.
Vielleicht zeigt sich hier die Essenz dessen, was den Neuen Kammerchor so erfolgreich macht: Dieser Chor ist nicht nur „saugut“, wie Thomas Kammel es kraftvoll auf den Punkt brachte, sondern strahlt Leidenschaft, Zusammenhalt und Freude aus. Angesichts der Tatsache, dass beim zu Kerzenlicht gesungenen „Stille Nacht“ in allen Bankreihen die Taschentücher gezückt wurden, ist es wohl eben diese authentische Emotionalität, die ein Hoffen und Sehnen in den Menschen anrührt. Kurz vor der „stillen Nacht“, in der dunklen Jahreszeit ganz besonders. Kerzenhell wurde diese Nacht. Für das minutenlang stehend applaudierende Publikum hätte sie sicher noch länger dauern dürfen.