60 Pfennig kostet im November 1964 ein Liter Most. Wenige Jahre zuvor ist es gerade einmal ein Drittel dessen, aber dann treiben zwei Entwicklungen den Preis nach oben: Weil es den beiden Mostereien im Heidenheimer Stadtgebiet an Arbeitskräften mangelt, muss viel Geld in Maschinen gesteckt werden. Außerdem sorgen Hitze und Trockenheit für eine magere Ernte, sodass der Zukauf teurer Äpfel aus dem Ausland nötig ist.
Die Sektkorken knallen derweil bei den Degenfechtern des TSB Heidenheim. Bei den deutschen Mannschaftsmeisterschaften in Hannover holen sich Paul und Kurt Gnaier, Franz Rompza, Volkmar Würtz sowie Peter-Udo Schönborn durch ein 8:5 im Finale gegen den SC Rei Koblenz den Titel. Es ist der siebte binnen zehn Jahren.
Lyndon B. Johnson zum US-Präsidenten gewählt
Wenige Tage zuvor fährt in den USA ein Mann ebenfalls einen großen Sieg ein: Lyndon B. Johnson wird zum 36. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Die Amtsgeschäfte führt der Demokrat allerdings schon länger. An Bord der Air Force One wird er als amtierender Vizepräsident am 22. November 1963 nur wenige Stunden nach der Ermordung John F. Kennedys als dessen Nachfolger vereidigt.
Eine Nummer kleiner geht es in Heidenheim, aus lokaler Sicht ist die dort anstehende Personalie allerdings deutlich wichtiger. Die Frage lautet: Wer soll künftig im Chefsessel des Rathauses sitzen? Offenkundig rechnet sich niemand Chancen aus, dem Amtsinhaber seinen Posten streitig machen zu können. Elmar Doch ist also alleiniger Kandidat und zeigt sich im Gespräch mit der Heidenheimer Zeitung keineswegs verwundert darüber: „In unseren Kreisen ist es nicht üblich, einem im Amt befindlichen Kollegen Konkurrenz zu machen.“ Nur wenn ganz bestimmte politische Verhältnisse vorlägen, könne es passieren, dass ein zur Wiederwahl stehender Oberbürgermeister Konkurrenz aus den eigenen Reihen bekomme.
Wenig Interesse an Kandidatenvorstellung
Bei der offiziellen Bewerbervorstellung verlieren sich 140 Interessierte im Ottilienhof. Sie vernehmen, welch ambitioniertes Ziel Doch formuliert: In seiner nächsten Amtsperiode solle die Einwohnerzahl Heidenheims auf 70.000 steigen. Der Gang der Geschichte wird ihn widerlegen.
Auf Punkt und Komma zutreffend ist hingegen das Ergebnis der OB-Wahl vom 8. November. Von 13.611 abgegebenen Stimmen entfallen 13.503 auf Doch, der damit für weitere zwölf Jahre zum Stadtoberhaupt gewählt ist. Randnotiz für Statistiker: Abgeschlagen landen Willy Brandt, Franz-Josef Strauß und Konrad Adenauer auf den hinteren Plätzen. Die Fantasie der Heidenheimer kennt offensichtlich kaum Grenzen.
Auf den Kopf gefallen sind sie auch nicht, wie sich am Vorabend der Wahl zeigt. Am 7. November 1964 verwandelt sich das Heidenheimer Rathaus in ein Ratehaus: Die Stadt beteiligt sich an der im ARD-Hörfunk ausgestrahlten Unterhaltungssendung „Allein gegen alle“. Das Konzept ist einfach. Eine Hörerin – Maria Kels aus Worms – stellt fünf Fragen, auf die die Heidenheimer die passenden Antworten finden müssen. Sämtliche Bürger sind aufgerufen, ihre Lösungsvorschläge ins Rathaus zu übermitteln. Dort sind sämtliche 19 Telefonapparate besetzt.
Auch Elmar Doch rätselt fleißig mit und tut die Ergebnisse der gemeinsamen Überlegungen am Mikrofon kund. Freilich mit überschaubarem Erfolg: Sprechen sich 37 Ratefüchse für England und 15 für Deutschland aus, als es darum geht, welches Land am 18. Juli 1949 seine letzten Rationalisierungsbestimmungen aufgehoben hat, dann kann doch niemand ahnen, dass es sich um die lediglich dreimal genannte Schweiz handelt …
Nachweisliche Tatsachen bestimmen derweil das Geschehen auf Heidenheims Straßen. So ist zwei Tage lang versuchsweise erstmals ein Doppeldeckerbus auf der Nord-Süd-Verbindung zwischen Schnaitheim und Mergelstetten unterwegs. Omnibusunternehmer Albert Wahl spielt mit dem Gedanken, mehrere dieser Fahrzeuge anzuschaffen, um die große Zahl der Fahrgäste bei gewünschtem Komfort befördern zu können.
Der Verkehr Richtung Süden rollt unterdessen ab dem 13. November über die Hauptstraße, während es auf Graben-, Marien- und Karlstraße fortan nach Norden geht. Dass es prompt zu mehrere hundert Meter langen Staus kommt, liegt nicht am gewöhnungsbedürftigen Einbahnverkehr. Vielmehr sind noch nicht alle Ampeln in Betrieb.
Wenige Tage später herrscht abermals Stillstand. 25 Zentimeter Neuschnee bremsen sogar die Bundeswehr aus. Mehrere in Dornstadt stationierte Panzer sollen zu Übungszwecken von Steinheim her nach Heidenheim rollen. Doch daraus wird nichts: Die Heubacher Steige erweist sich für die Truppe als nicht zu überwindendes Hindernis.
In Heidenheim stellt die Verwaltung vorsorglich mehrere Behältnisse aus Beton auf und füllt sie mit Streugut, das bei Bedarf auf den Straßen verteilt werden kann. Unbekannte zerstören mutwillig mehrere davon. Ein erzürnter Zeitungsredakteur macht daraufhin seinem Ärger Luft: „Bleibt zu hoffen, dass die Polizei diese Kraftmeier bald schnappt. Wir sind dann gerne bereit, ihre vollen Namen zu veröffentlichen, damit man die Helden auch kennenlernt.“
Warum ausgerechnet 60 Jahre zurück?
Im Dezember 2008 war der Lokschuppen Schauplatz eines Festabends, bei dem eine seit 60 Jahren bestehende freie und unabhängige Presse in Heidenheim im Mittelpunkt stand. Damals mischten sich Aus- und Rückblicke. Unter anderem wurde die Idee geboren, regelmäßig in Erinnerung zu rufen, worüber die HZ jeweils 60 Jahre zuvor berichtet hatte. Die Serie startete mit der Rückschau auf 1949. Mittlerweile gilt das Augenmerk dem Jahr 1964.