Last Night

Opernfestspiele: Warum Paris immer eine gute Idee ist

Französischer Abschluss: Leichtigkeit und Leidenschaft herrschten bei der „Last Night“ der Opernfestpiele, die aber noch nicht die letzte Nacht war. Was Solistinnen und Orchester dem begeisterten Publikum boten.

Opernfestspiele: Warum Paris immer eine gute Idee ist

Das Musikstück, mit dem das Eistanzpaar Jayne Torvill und Christopher Dean zur Legende wurde und Bo Derek zur Traumfrau, sollte es der einzige Grund gewesen sein, warum die Zuhörer zuhauf zur „Night in Paris“ ins Festspielhaus strömten? Marcus Bosch jedenfalls schien dieser Ansicht zu sein, wie er scherzend bekundete. Aber das hätte ja bedeutet, dass das Publikum die restlichen eindreiviertel Stunden mit den Hufen gescharrt hätte. Und das war mitnichten so. Möglicherweise, weil Marcus Bosch klug vorgesorgt und ein feines Programm französischer Komponisten zusammengestellt hatte.

Die Zärtlichkeit von Orpheus und Eurydike

Schon der Auftakt hätte jedes Hufescharren verstummen lassen: Die Ouvertüre zu „Orpheus in der Unterwelt“ von Jacques Offenbach – ja, ein Kölner, aber doch mit weitreichendem französischem Wirkungskreis – war der perfekte Einstieg in die französische Lebensart jeglicher Couleur. Die Stuttgarter Philharmoniker boten ihn voll verführerischer Leichtigkeit, zeichneten die Zärtlichkeit, mit der sich Orpheus und seine Eurydike einst geliebt haben mochten, und wann bitte hätte der Cancan je seine Wirkung verfehlt? Da war auch diese „Last Night“ der Opernfestspiele – „Etikettenschwindel“, bemerkte Marcus Bosch angesichts der Tatsache, dass die Festspiele ja noch nicht zu Ende sind – keine Ausnahme. Im Nu versetzte das Orchester unter Boschs Leitung sein Publikum mit so viel Lockerheit und Schwung direkt zum Pigalle mit seinem munteren Treiben.

Kraft, Glanz und viel Gefühl

Und die Pariser Nacht hatte ja erst begonnen. Schließlich waren auch noch zwei Solistinnen am Start, die nicht nur mit ihrer Mode – die gehört ja in Paris dazu – für Furore sorgten. Sopranistin Julia Muzychenko brachte ein junges Mädchen aus der Provinz, eine Italienerin und eine Dänin an die Seine mit ihren Arien aus „Manon“ von Massenet, der Arie der Juliette „Je veux vivre“ aus Charles Gounods „Roméo et Juliette“ und schließlich Ophélie aus „Hamlet“ von Ambroise Thomas. Eine unglaubliche Wandlungsfähigkeit bewies sie da, insbesondere als Ophelia ließ sie mit ihrem feinen Spiel das Publikum an den diversen Gemütszuständen der Hamlet-Freundin teilhaben. Von ihrer Stimme ganz zu schweigen: Kristallklar, mit Kraft, Glanz und viel Gefühl überzeugte sie durchweg.

Bravo-Rufe gab es für die sicheren und virtuosen Darbietungen von Camille Thomas (Violincello) bei “A Night in Paris”. Oliver Vogel

Cellistin Camille Thomas ist in Heidenheim in bester Erinnerung geblieben. Nach ihrem Auftritt in der Pariser Nacht dürfte sich dies verstärkt haben. Als ob sie ganz von ihrer Musik durchflutet wäre, so gab sie sich Camille Saint-Saëns‘ Cellokonzert a-moll op. 33 hin, nicht ohne immer wieder Kontakt zu den einzelnen Musikern des Orchesters herzustellen, und das nicht nur an den Stellen, die quasi einen Dialog zwischen Solist und Orchester vorsehen. Um so eins zu werden mit einem Musikstück, da muss man schon enormes Können aufbieten – und das tat sie zur großen Freude des Publikums, das nicht mit Beifall sparte. 

Mit dem Cello des Komponisten

Das zweite Stück, das sie mitgebracht hatte, kannte ihr Cello noch länger als sie: Das „Deuxième air russe varié“ von Auguste-Joseph Franchomme war es, und ihr Cello gehörte einst keinem geringerem als dem Komponisten selbst, wie sie verriet – mit ihrem charmanten französischen Akzent, der haargenau in diese Nacht passte. Das impulsive Wirbelwind-Stück mit den atemberaubend schnellen Läufen, von Camille Thomas geradezu traumwandlerisch sicher und virtuos gespielt, zog einige „Bravo“-Rufe nach sich.

Die Stuttgarter Philharmoniker standen in nichts nach und gaben mit „La Valse“ von Maurice Ravel die Grundlage für rastlose Tanzschritte in einer brodelnden Leidenschaft – eine Pracht war dieser ungestüme Walzer in all seinem Schwung und Übermut, dann und wann durch Passagen wie Raunen oder Grollen durchsetzt.

Ein Finale mit Ravel und dem „Boléro“

Und auch die letzte Viertelstunde des Konzerts gehörte Ravel – womit wir dann auch bei jenem Stück wären, das eingangs schon Erwähnung gefunden hat. Das wohl längste Crescendo der Musikgeschichte sorgte nochmal für mächtig Furore zum Schluss: Der „Boléro“ erfasste in seiner ganzen ansteigenden Spannung das Publikum, bis die Dissonanzen am Ende in ein erlösendes C-Dur mündeten. Solche immer weiter klimmende Anspannung und die erleichternde Befreiung – das passte hervorragend zu einer Nacht in Paris, das ganz sicher nicht nur von der Liebe träumt. Zumal die Stuttgarter Philharmoniker mit all den Solisten, die es für Ravels Welthit braucht, allen voran der Schlagzeuger, der damit gewissermaßen sein Meisterstück absolviert, hier unter dem souveränen Dirigat von Marcus Bosch wie ein Schweizer Uhrwerk brillierte. Auch Ravel selbst dürfte damit zufrieden gewesen sein – und der hatte ja immer wieder mal am Tempo etwas auszusetzen. Das Publikum mitnichten: Das ließ seiner Begeisterung freien Lauf.

Und dafür bekam es noch eine Zugabe, nach all dem Aufruhr gewissermaßen die Zärtlichkeit danach: Offenbachs „Barcarole“ in einer Bearbeitung für Sopran und Cello, in all seiner berührenden Süße, dargeboten von allen Akteuren des Abends, zum Dahinschmelzen schön. Das wiederum verhinderte eine rassige Spanierin: „Carmen’s Hoedown“ von Felix Slatkin brachte nicht nur die Toreros in Wallung. Auch das Publikum wurde von so viel stürmischer Leidenschaft erfasst und nahm, wunschlos glücklich, ein bisschen Paris mit in die Heidenheimer Nacht. Paris ist eben immer eine gute Idee.

Die allerletzte Nacht und noch mehr

„A Night in Paris“ war zwar als „Last Night“ der Opernfestspiele bezeichnet, beendete diese aber noch nicht. Am Samstag, 29. Juli, steht die Jazzgala „Soul viel mehr“ mit Max Mutzke und der SWR Big Band an und am Sonntag, 30 Juli, servieren Gabriel Mbanda Group feat. Martin Sörös ein Jazzfrühstück am Brunnengarten. Und die allerletzte „Last Night“ findet am Sonntag, 30. Juli, statt. Sie beendet dann wirklich die Opernfestspiele 2023. Mit „Boléro“.