Der "Woyzeck" als Warnung und Verstörung
Ein Fragment fragmentieren, mit Musik versehen und als Oper präsentieren – kann das funktionieren? Es kann, wie die Pop-up-Oper „Woyzeck“ des Theaters der Stadt Aalen beweist. Am Samstag war Premiere in der voll besetzten Voith-Trainingscenter Heidenheim.
Der Aufführungsort war klug gewählt: Gerade indem sich der Ort in seiner sachlich-nüchternen Atmosphäre nicht in den Vordergrund drängt, ließ er die volle Aufmerksamkeit auf das sehr verdichtete Drama zu lenken. In dieser Verkürzung – die Oper dauert 40 Minuten – müssen Schauspieler besonders viel Können und Einsatz zeigen, um Figuren und Handlung verständlich zu machen. Und das taten sie: Allen voran Tenor Musa Nkuna in der Titelfigur: In jeder Sequenz zeigt er eine verletzliche Getriebenheit Woyzecks, der allen Widrigkeiten zum Trotz das Beste will und doch an dieser Getriebenheit scheitert – dramatisch scheitert.
Hauptfigur als Versuchsobjekt
Daran nicht unschuldig ist die legendäre Erbsendiät, der sich Woyzeck unterwirft, um als Versuchsobjekt zum Lebensunterhalt für Frau und Kind beizutragen. Larissa Wagenhals gibt den Doktor ebenfalls in einer Getriebenheit, herrührend aus wissenschaftlichem Eifer, dem offenbar alles untergeordnet wird. Sehr schön, wie hier sämtliche medizinischen Messungen mit dem Zollstock dargestellt werden, der für den Doktor das Maß aller Dinge darzustellen scheint. Der Doktor wuselt, winkelt, misst und maßregelt um den armen Woyzeck herum, dass nicht nur er Opfer der hochfliegenden Pläne des Arztes wird, sondern auch letzterer selbst. Das macht Larissa Wagenhals mit einer unerhörten Wendigkeit, die umso höher zu bewerten ist, als sie auch den sehr statischen, schneidigen Hauptmann gibt, dem Woyzeck ebenfalls zu Diensten ist – sie hätte gar nicht Arztkittel mit schwarzem Hauptmanns-Mantel tauschen müssen, man hätte die Figuren trotzdem auseinanderhalten können.
Natürlichkeit und Akrobatik
Und schließlich Marie: Mayra Bosshard spielt sie mit einer Natürlichkeit und darüber hinaus einigem akrobatischem Talent. Ihre Marie wird zum Sinnbild des unverfälschten Lebens, das sie ungezügelt in der ihr eigenen unschuldigen Naivität auskostet. Was dann freilich zum Drama führt: Der Verführung des Tambourmajors hätte sie eben doch nicht nachgeben sollen, dann wäre das Drama verhindert worden. Der Tambourmajor ist hier schlicht ein Saxophon, herrlich gespielt von Aubrey Snell, die mit ihrer Musik nicht nur den Verführer darstellt, sondern auch den Puls, die Schlägerei und damit übernimmt das Saxophon wichtige Elemente des Stücks, die so sehr eindringlich wirken.
Musik gibt den Zusammenhang
Und damit wären wir bei der Musik: Marijn Simons Komposition gibt den Figuren, die ansonsten in diesem Bruchstück sehr vereinzelt und vereinsamt wirken könnten, den Zusammenhang und den Zusammenhalt. Freilich für einen sehr verstörenden Zusammenhalt: In der einfühlsamen Musik kommt Woyzecks Seelenleben hervorragend zum Ausdruck. Klavier, Saxophon und Schlagzeug vollführen hier teilweise wilde Wirbel und Aufregung, als wollten sie den Figuren noch jene Warnung zukommen lassen, die vor dem Unheil bewahren könnte. Marijn Simons und Tonio Kleinknechts Libretto bilden hier eine großartige Einheit, die aufwühlend, packend und auch verstörend wirkt.
Eine außergewöhnliche Interpretation des „Woyzeck“ ist diese Oper, und es schadet auch nicht, wenn man das Stück schon kennt und dieses Wissen mitbringt. Aber da „Woyzeck“ zu den meistgespielten Stücken gehört, dürfte das kein Problem sein. Die Pop-up-Oper wird hier in ihrer Skizzenhaftigkeit, in der Wirkung auf den Zuschauer zur Pop-Art-Oper, die gerade in der Verdichtung das Drama schonungslos zeigt und gleichzeitig Kritik an gesellschaftlichen Zuständen übt, die durchaus zeitlos wirken kann. Es wäre rein gar nichts dagegen einzuwenden, eine solche Oper als festen Programmbestandteil der Opernfestspiele aufzunehmen. Geeignete Stücke gibt es ja genug, deren komprimierte Musikfassung sicher ebenso geschätzt und genossen werden kann wie dieser „Woyzeck“.
Weitere Aufführungstermine
Dienstag, 11. Juli, 19 Uhr, Voith-Trainingscenter Heidenheim
Mittwoch, 12. Juli, 19 Uhr, Garten Palais Adelmann, Ellwangen
Freitag, 14. Juli, 20 Uhr, Schloss Wasseralfingen
Samstag, 15. Juli, 20 Uhr, Schloss Wasseralfingen
Sonntag, 16. Juli, 19 Uhr, Schloss Wasseralfingen.