Hach, draußen! Und dann auch noch das Meer dazu! Ganz ehrlich: Ein bisschen schwierig war es schon, Fernweh bei „Fernweh“ am Donnerstagabend zu bekommen. Denn die „Last Night“ der Opernfestspiele mit diesem Titel fand an einem der schönsten Plätze Heidenheims statt, dem Rittersaal nämlich, und zudem hatten die Stuttgarter Philharmoniker unter der Leitung von Marcus Bosch eine großartige Rundreise vorbereitet, die die Zuhörer pünktlich zum Ferienbeginn von ihrem Plätzchen in luftiger Höhe zu exotischen Orten brachte. Orient – Ceylon – China – Ägypten – Hawaii – Indien war die Reiseroute, die ganz ökologisch wertvoll allein auf den Flügeln der Musik zurückgelegt wurde.
Und es war schon außerordentlich beflügelnd, was die Stuttgarter Philharmoniker da an Reiseinformationen lieferten – vor allem, wie sie es lieferten. Am Vortag waren sie noch mit Herbert Grönemeyer tief im Westen, in Stuttgart in diesem Fall, am nächsten Tag wieder bei „Madama Butterfly“ in Heidenheim, und zwischendrin beförderten sie die Zuhörer im Rittersaal, ohnehin dem Himmel so nah, noch höher, direkt in den Musikhimmel, und dort in jene Regionen, die nur den exquisitesten Leistungen vorbehalten sind.
Schwingende Lianen und Südsee-Perlen
Und eben auch zu den schon erwähnten fernen und gerne fernweherregenden ganz irdischen Stationen. Sie ließen die Zuhörer nach Perlen fischen mit der Ouvertüre von Bizets „Les pêcheurs de perles“ in Ceylon und dabei herrlich schillernde musikalische Exemplare finden. Mit Johann Strauss‘ „Egyptischem Marsch“ zeigten sie, wie man marschieren und gehen kann wie ein Ägypter und dass sie virtuos jede Gangart umsetzen – und obendrein sangen sie noch dazu. Bilder von Schlangenbeschwörern konnten auftauchen bei der Station Indien: Die „Airs de danse“ aus Léo Delibes‘ „Lakme“ flirrten durch die Lüfte, betörend und verführerisch, spannend und aufregend, und so wie Kalkutta nach wie vor am Ganges liegt, so lag das am Orchester und seinem Leiter: Marcus Bosch kitzelte mit seinem Dirigat die feinsten Nuancen heraus, ließ filigrane Luftigkeit entstehen, dass sich das Publikum wie über den Wolken fühlen konnte, und dann auch wieder pompöse Wucht, die selbst Marmor, Stein und Eisen gefährlich werden könnte.
Und dann gab es ja auch noch weitere Reiseführer: Die beiden Solisten Valda Wilson, Sopran, und Nenad Čiča, Tenor, entführten die Zuhörer nach Hawaii, wo es möglicherweise kein Bier gibt, aber doch sehr schöne Blumen. Dass Marcus Bosch diejenige von Paul Abraham offerierte, ist allein schon ein Grund, diese „Last Night“ zu rühmen, ist dessen Operette „Blume von Hawaii“ doch äußerst selten zu hören. Und dabei doch so ein mitreißender Genuss voller Schmiss und Witz. Das wohl witzigste daraus hatte Bosch auch ins Programm genommen: In „Was hat der Gentleman im Dschungel zu tun“ konnte man aus den reichlichen Jazz-Anleihen in der Musik direkt die schwingenden Lianen heraushören und sich zudem am köstlichen Text ergötzen. In diesem Südsee-Paradies mit Perlen und Pointen ließ sich herrlich verweilen, zumal Marcus Bosch zusätzlich zu seinem Dirigat auch in seinen Moderationen glänzend zu unterhalten wusste.
Gassenhauer und Bonustrip
Das galt auch für den Aufenthalt im „Land des Lächelns“: Mit den Gassenhauern aus der Operette von Franz Lehár „Immer nur lächeln“ und „Dein ist mein ganzes Herz“ kann ja auch eigentlich gar nichts schiefgehen, und Tenor Nenad Čiča sorgte dafür, dass sie auch an diesem Abend ihre berührende Wirkung nicht verfehlten. Keck und kess servierte Valda Wilson mit ihrem kräftigen Sopran das frühemanzipatorische Werk aus dieser Operette „Im Salon zur blau’n Pagode“ und das viele Gefühl, von dem im Text die Rede ist, das hob das Orchester in der wirbelnden Musik bestens hervor. Der „Chinesische Hochzeitszug“, vom Orchester so temporeich in Fahrt gebracht, dass die Deutsche Bahn vor Neid erblassen könnte, hätte eigentlich fahrplanmäßig der Schluss der „Last Night“ sein sollen. Aber das ließ das Publikum nicht zu. So stürmisch war der Applaus und so lang, dass das Publikum noch einen Bonustrip in die Südsee spendiert bekam: Das spritzige „Rechts Hawaii, links Hawaii, rings Hawaii“ setzte dem ohnehin schon furiosen Reiseerlebnis noch eins drauf.
Und dann eben auch noch Meer. Zwar spülte das schon in der Südsee fein schäumende Wellen an den Strand, am aufregendsten zeigte es sich an diesem Abend aber im Orient. Mit Rimsky-Korsakovs sinfonischer Suite „Scheherazade“ wurde der erste Teil bestritten, und da rauschten majestätische Wogen ebenso wie ruhige See bis hin zum gewaltig aufbrausenden Wellengang in ersten Teil „Das Meer und Sindbads Schiff“ und im vierten Teil, in dem nach üppiger Feier das Schiff im Meer zerschellt, was in der Musik dargestellt und vom Orchester mit Effet ausgeführt wird. Die Teile mit dem Prinzen Kalender und dem jungen Prinzen und der Prinzessin könnten leicht süßlich-kitschig werden, Marcus Bosch hat aber auch hier das richtige Maß für das Gefühl gefunden. Das, die vielen Soli, die traumhafte Scheherazade mit ihren Geschichten aus 1001 Nacht an der Geige – sie ließen die Zuhörer entzückt und durchaus ein bisschen aufgewühlt in die Pause gehen.
Bravo also allen Mitwirkenden dieses Abends, der von Anfang bis Ende Fernweh zum puren Vergnügen werden ließ – und Bravo auch dem Wetter. Denn nur wenn auch mindestens einmal Musik im Rittersaal genossen werden kann, lässt sich definitiv sagen: Und es war Sommer.
Noch eine letzte "Last Night“
Die „Last Night“ ist nochmals am Sonntag, 28. Juli, zu erleben. Ob dann auch im Rittersaal, das wird sich zeigen. Jedenfalls ist dann wirklich die letzte „Last Night“. Die letzte Chance, „Madama Butterfly“ zu erleben, besteht am Samstag, 27. Juli, und auch dann wird das Wetter entscheiden, ob im Rittersaal oder im Festspielhaus. Beginn ist jeweils um 20 Uhr.