Der Voith-Konzerngeschäftsführer Dr. Toralf Haag hat im März bekanntgegeben, dass er seinen Vertrag, der Ende September ausläuft, nicht verlängern wird. Haag verlässt damit das Unternehmen zum Ende des Geschäftsjahres. Im Interview blickt er nicht nur auf das erste Geschäftshalbjahr bei Voith, sondern auch auf seine Zeit im Unternehmen zurück.
Erst Geschäftsführer für Finanzen (ab 2016), dann Vorsitzender der Konzerngeschäftsführung (ab 2018): Wie ist Ihnen dieser Wechsel damals gelungen?
Das hat gut funktioniert, es war ein fließender Übergang. Ich war in den strategischen und operativen Themen schon zuvor involviert, insofern war das eine logische Weiterentwicklung, natürlich mit einer Erweiterung des Verantwortungsbereichs.
Behält man den speziellen Blick auf die finanzielle Seite bei?
Ja, der muss auch bleiben, denn was man nicht messen kann, kann man auch nicht verbessern. Insofern habe ich mich in den letzten Jahren stets bemüht, alle Kennzahlen des Konzerns, auch die operativen Effizienzkennzahlen, weiter zu verbessern.
Wie ist die aktuelle geschäftliche Entwicklung?
Trotz der großen Unsicherheiten, die wir an den Märkten nach wie vor haben, sind wir zufrieden mit der Entwicklung des ersten Geschäftshalbjahres. Wir konnten alle wesentlichen Kennzahlen steigern. Wir haben einen gesteigerten Auftragseingang und einen Rekordauftragsbestand von 8,13 Milliarden Euro, wobei sich nicht nur die absolute Höhe der Aufträge, sondern auch ihre Qualität im Sinne von Profitabilität verbessert hat. Wir konnten das Ergebnis fürs erste Halbjahr nach Steuern auf 38 Millionen Euro und den Cashflow auf 159 Millionen Euro signifikant steigern. Bei der Profitabilität sind wir gewachsen, wenn auch noch nicht so stark, wie wir uns das vorstellen.
Sie haben das Unternehmen durch krisenhafte Zeiten geführt, erst kam Corona, dann der Ukraine-Krieg, nun brennt es weltpolitisch auch in Israel. Welche Bedeutung hatten diese Krisen für Voith?
Das hat uns zum einen selbst stark beeinflusst, vor allem Corona und die Russland- und Chinakrise, zum anderen aber auch unsere Kunden in ihrem Bestellverhalten, vor allem im Servicebereich. Das war eine harte Zeit, und dennoch haben wir unsere strategischen und operativen Verbesserungsprogramme weitergefahren. Wir haben weiterhin in Forschung und Entwicklung investiert, ebenso in neue Geschäftsbereiche und in die Ausbildung. Und nebenbei haben wir das multiple Krisenmanagement gefahren: In einem Jahr kamen Corona, Inflation, Lieferkettenproblematik und die Russlandkrise zusammen und alles musste gleichzeitig gemanagt werden. Und außerdem mussten die Mitarbeitenden motiviert werden. Wir waren so stolz, als wir durch die Coronakrise durch waren und kurz danach kam der Russlandkrieg und die Chinakrise. Es war eine große Anstrengung, da die Mitarbeitenden und das Management bei der Stange zu halten und die Motivation im Unternehmen hochzuhalten.
Hat sich die Kultur im Unternehmen durch Corona verändert?
Wir hatten zuvor schon Angebote zu flexiblen Arbeitszeiten und haben Homeoffice angeboten. Bei Voith sind die Mitarbeitenden aber relativ ausgeprägt wieder zu ihrem Arbeitsplatz zurückgekehrt. Homeoffice spielt bei uns in gewissen Funktionen und gewissen Lebenssituationen eine Rolle, aber die meisten Voithianer kommen gerne an den Arbeitsplatz, um die Kultur weiter zu fördern und die jungen Menschen anzulernen.
Auch im technischen Bereich hat sich viel verändert, etwa der Wechsel von Verbrenner- zu Elektromotoren, und auch die Energiepolitik ist eine andere geworden. Das spielt bei Voith eine Rolle bei den Antrieben, aber auch bei den Papiermaschinen. Wie stellt sich das Unternehmen darauf ein?
Wir sind ständig bemüht, unser Portfolio zu transformieren und den neuen Gegebenheiten anzupassen. Wir haben neben dem mechanischen auch einen elektrischen Antriebsstrang entwickelt, mit dem wir mittlerweile relevante Umsätze erzielen. Der Voith-Schneiderpropeller für den Schiffsantrieb wurde durch eine elektrische Variante ergänzt. Das Turbo-Portfolio wird systematisch zu einem dekarbonisierten Portfolio transformiert. Wir haben aber auch mechanische und hybride Lösungen im Angebot, um dem Kunden eine Auswahl anzubieten. Wir wollen unseren Service für die mechanischen und hydraulischen Produkte beibehalten, weil hier der Serviceanteil höher ist als bei den elektrischen.
Ist Nachhaltigkeit bei Voith nur ein Trend, den man mitmachen muss?
Bei Voith können wir mit Fug und Recht sagen, dass wir diese Nachhaltigkeit schon seit 150 Jahren leben. Wir reiten nicht auf dieser Welle, seit es en vogue ist, sondern Voith war in der Wasserkraft und auch in der Papierherstellung schon immer ein nachhaltiges Unternehmen. Insofern ist uns die konsequentere Ausrichtung auf nachhaltige Technologien nicht schwergefallen. Wir haben in den letzten Jahren auch unter Beweis gestellt, dass man mit nachhaltigen Lösungen Geld verdienen kann, zum Beispiel mit effizienteren Turbinen oder Papiermaschinen, die weniger CO2 ausstoßen und weniger Wasser verbrauchen.
In der Landwirtschaft gilt der Slogan: wachsen oder weichen. Ist das in der Industrie auch so? Oder anders gefragt: Wie wichtig sind für Voith Zukäufe und wie findet man die richtigen Unternehmen dafür?
Die Strategie ist bei Firmenzukäufen, durch das externe Wachstum das interne Wachstum zu ergänzen, denn Voith ist im Stammgeschäft eher in moderat wachsenden Märkten tätig wie Wasserkraft oder Papierindustrie. In den letzten Jahren waren Zukäufe eine sehr sinnvolle Strategie, um das Wachstum zu beschleunigen. Der Umsatz ist von vier auf 5,5 Milliarden Euro gewachsen, dazu haben die Akquisitionen einen wesentlichen Beitrag geleistet. Auf der anderen Seite konnten wir im technologischen Bereich und auch im Vertriebsbereich viele Synergien erzielen, beispielsweise durch die Zukäufe von Toscotec und BTG bei Papiermaschinen, Elin Motoren bei Turbo im Bereich Elektromotoren oder Argo-Hytos im Bereich Landwirtschaft und Baumaschinen, in dem wir vorher nicht tätig waren.
Es geht aber eher um eine Verbreiterung des Portfolios und nicht um komplett neue Bereiche wie bei der Robotik?
Unsere Erfahrung ist, dass wir mittlere bis größere Zukäufe besser vornehmlich in unseren Kernmärkten machen. Hier kennen wir uns aus und können die Risiken besser beherrschen. In junge Unternehmen investieren wir niedrigere Beträge wie jetzt beispielsweise in die Wasserstoffspeichersysteme für LKWs. Wenn diese Bereiche dann gewachsen sind, werden sie in die Konzernbereiche integriert.
2020/21 wies die Bilanz bei Voith eine Million Euro an Gewinn aus, ein historischer Tiefstand. Wie haben Sie den Konzern aus diesem Tal wieder herausgeführt?
Wir haben in den Krisenzeiten einige Abschreibungen vorgenommen und uns von Produktbereichen getrennt, die nicht profitabel waren. Wir haben jetzt ein Portfolio, das aus Produkten besteht, die mehrheitlich profitabel sind. Außerdem haben wir sowohl den Umsatz als auch die Kosten verbessert, durch Optimierung der Produktion in Deutschland, aber auch durch den Aufbau von Produktionsstätten, vor allem in Osteuropa und in Indien.
In Ihre Amtszeit fällt das Standortsicherungspaket für Heidenheim. Es verhindert betriebsbedingte Kündigungen, beinhaltet aber auch den Abbau von 600 Stellen am Stammsitz des Unternehmens. Warum war diese Vereinbarung aus Ihrer Sicht notwendig, wie weit ist die Umsetzung?
Wir haben immer noch ein Drittel unserer insgesamt 22.000 Mitarbeitenden in Deutschland. Wenn wir uns mit Wettbewerbern vergleichen, haben diese einen viel kleineren Prozentsatz ihrer Produktion in Deutschland oder in anderen Hochlohnländern. Insofern ist diese Anpassung notwendig, um weiterhin international wettbewerbsfähig zu sein. Aber wir wollen Heidenheim als unseren Hauptstandort behalten, das haben wir mit den Arbeitnehmervertretungen so vereinbart. Wir konnten diese langfristige Vereinbarung abschließen, mit der wir mehr Flexibilität in den Arbeitsbedingungen bekommen haben, aber auch den schrittweisen Abbau von Stellen hin zu 3500 Mitarbeitenden am Standort Heidenheim. Wir sind jetzt bei etwa 4000 Stellen und werden sukzessive bis 2028 ohne betriebsbedingte Kündigungen auf 3500 Stellen reduzieren.
Paper, Hydro, Turbo: Welcher Konzernbereich liegt Ihnen am meisten am Herzen und für welchen sehen Sie die glänzendste Zukunft?
Als CEO habe ich keinen Lieblingskonzernbereich und das ist ernst gemeint. Wir sind bewusst divers aufgestellt und die einzelnen Konzernbereiche gleichen sich auch aus in ihrer Profitabilität über die Jahre hinweg und wir können auch Synergien zwischen den Konzernbereichen erzielen. Alle drei Konzernbereiche haben ihre Existenzberechtigung und ihre Einzigartigkeit, was ihnen Wettbewerbsvorteile verschafft, und auch vielversprechende Wachstumsprojekte für die nächsten Jahre.
Was sind für Sie die Meilensteine, die Sie in Ihrer Zeit als Konzernvorsitzender erreicht haben?
Der größte Meilenstein ist die Transformation des Konzerns von einem klassischen Maschinenbauunternehmen zu einem nachhaltigen Technologiekonzern. Auch wichtig ist der Aufbau der Digital- und Servicestrategie. Wir haben den Anteil der Digitalumsätze signifikant aufgebaut und auch den Serviceanteil am Gesamtumsatz des Unternehmens erhöht. Wir haben das Portfolio zum größten Teil um verlustbringende Aktivitäten bereinigt. Die wesentlichen Kennzahlen wurden gesteigert, insofern ist das Unternehmen stabiler und resilienter aufgestellt als vor sechs Jahren.
Welche zukünftigen Entwicklungen sind für Voith essenziell, um weiterhin bestehen zu können?
Es wird weiter wichtig sein, an der Zukunftsfähigkeit des Portfolios zu arbeiten, um sich an die Marktbedingungen anzupassen. Und auch die Kostenstruktur muss weiter optimiert werden, um international wettbewerbsfähig zu sein.
Warum haben Sie sich dazu entschlossen, Voith zu verlassen?
Der Hauptgrund ist, dass der angesprochene Transformationsprozess größtenteils abgeschlossen ist, Voith ist in einer guten Verfassung. Die Krisen haben wir hinter uns gelassen. Insofern ist jetzt ein guter Zeitpunkt, das Unternehmen an die jüngere Generation zu übergeben.
Wohin geht es jetzt für Sie beruflich?
Ich werde weiterhin unternehmerische Verantwortung übernehmen bei Unternehmen in Europa, aber Genaueres kann ich noch nicht sagen.
Steht Ihr Nachfolger oder Ihre Nachfolgerin schon fest?
Sobald die Nachfolge entschieden ist, wird das Unternehmen sicher darüber berichten.
Inwiefern werden Sie Heidenheim verbunden bleiben?
Ich werde weiterhin einen Wohnsitz in Heidenheim behalten, um Voith, dem 1. FC Heidenheim und den Opernfestspielen treu zu bleiben.
Man sieht Sie also auch in Zukunft in der Stadt?
Auf jeden Fall.
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