Prozess am Landgericht Ellwangen

Schießerei bei Nattheimer Autohandel: Wie die Waffe zum mutmaßlichen Täter kam

Im Prozess um einen 36-jährigen Heidenheimer, der auf dem Gelände eines Autohandels in Nattheim auf ein wegfahrendes Auto geschossen haben soll, wurden Videoaufzeichnungen vom Tattag nochmal genauer betrachtet.

Am dritten Verhandlungstag gegen einen 36-jährigen Heidenheimer, der nach einer Schießerei in Nattheim wegen versuchten Totschlags und dem unerlaubten Führen einer Waffe angeklagt ist, war ein deutlich größeres Polizeiaufgebot als an den vorherigen Verhandlungstagen rund um das Ellwanger Landgericht zu sehen. Zu Auseinandersetzungen zwischen den Familien O. und Y. wie am vorherigen Verhandlungstag kurz vor Weihnachten kam es diesmal aber nicht.

Im Mittelpunkt des Prozesstags unter Leitung des Vorsitzenden Richters Bernhard Fleischer stand eine genaue Analyse der Videoaufnahmen, die fünf Überwachungskameras auf dem Gelände des Nattheimer Autohandels aufgezeichnet haben. Dort soll der Angeklagte am 5. März vergangenen Jahres nach einer Auseinandersetzung in einem Verkaufscontainer zwischen ihm und seinen beiden Brüdern mit zwei Brüdern aus der Familie Y. auf einen wegfahrenden Audi A6 geschossen haben, in dem die geschädigten 37 und 29 Jahre alten Brüder Y. sowie deren 28-jähriger Cousin saßen.

So gefährlich waren die Schüsse

Zwar wurde niemand verletzt, aber drei Projektile trafen das Auto auf der Beifahrerseite. Ein Waffenexperte vom Landeskriminalamt beschrieb dem Gericht am Donnerstag, welche potenziellen Gefahren bei der Schussabgabe bestanden haben: Die Geschosse des Kalibers 45 ACP hätten noch aus einer Entfernung von bis zu 1500 Metern die Kraft, einen menschlichen Schädel zu durchschlagen, so der Sachverständige. Die Geschosse, die in der hinteren Wagentür und im inneren Türschloss des Autos steckenblieben, hätten durchaus auch ins Wageninnere vordringen können, so der LKA-Beamte. Auf dem hinteren Sitz auf der Beifahrerseite saß der 28-jährige Geschädigte.

Die Geschosse trafen das Auto nur wenige Zentimeter unterhalb der Scheibe. Das Seitenfenster, so der Sachverständige, hätte kein großes Hindernis für die Projektile dargestellt. Außerdem sei im Video eine Person im Hintergrund zu sehen gewesen sowie Fahrzeugverkehr, der auch gefährdet war. Bezüglich von Schüssen, die der Angeklagte einige Sekunden später abgegeben haben soll, als das Auto in rund 50 Metern Entfernung nochmal anhielt, sagte der Waffenexperte, dass diese sehr schnell und damit nicht genau gezielt abgegeben worden seien.

Angebliche Fehlzündungen

Als die Polizei am 5. März nach einem Notruf auf dem Gelände des Autohandels in Nattheim eintraf, hätten die beiden Brüder des Angeklagten zunächst bestritten, dass Schüsse gefallen seien, berichtete ein Polizist, der als Zeuge gehört wurde. Stattdessen wurde behauptet, es handle sich um Fehlzündungen eines amerikanischen Oldtimers, der mit offener Motorhaube auf dem Hof stand. Auf dem Video der Überwachungskamera ist zu sehen, wie der Oldtimer unmittelbar nach der Schussabgabe auf den Hof gefahren wird. Zudem, so der Polizist, wurde ihm gesagt, dass die Überwachungskameras nichts aufgezeichnet hätten, da es Serverprobleme gäbe. Später händigte der Bruder des Angeklagten doch die Festplatten der Kameras an die Polizei aus. Die darauf gelöschten Aufnahmen konnten wiederhergestellt werden.

Die Polizei stellte aus dem Filmmaterial der fünf Kameras einen Zusammenschnitt her, der die Tat selbst sowie das Geschehen unmittelbar davor und danach aus verschiedenen Perspektiven zeigt, allerdings ohne Ton. Ein 27-jähriger Polizeibeamter aus Heidenheim war damit beauftragt, die Personen, die im Bild zu sehen sind, zu identifizieren. Er war als Zeuge vor Gericht anwesend, als das Video nochmal genauer betrachtet wurde.

Waffe unter einem Auto versteckt

Besonderes Augenmerk galt dabei der Waffe: Auf dem Video ist zu sehen, wie ein Mann, der mit dem Angeklagten befreundet sein soll, eine Waffe unter einem Auto ablegt und unmittelbar daneben sichtbar einen Gegenstand – vermutlich eine Getränkedose – abstellt. Der eigentliche Streit zwischen den Familien Y. und O. ist auf den Videoaufnahmen nicht zu sehen, da im Verkaufscontainer nicht gefilmt wurde. Als die Männer zurück auf den Hof kommen und die Brüder Y. sowie ihr Cousin in den schwarzen Audi A6 steigen, holt derselbe Mann, der die Waffe abgelegt hat, sie unter dem Auto hervor und übergibt sie an den Angeklagten.

Nachdem dieser auf das wegfahrende Auto geschossen hat, nimmt ihm der Freund die Waffe wieder ab. Er geht zunächst zum Verkaufscontainer und wirft sie aufs Dach, kurz danach steigt ein anderer Mann aufs Dach und holt die Waffe wieder herunter. Er steigt dann mit der Waffe in ein Auto und fährt davon. Da die Tatwaffe verschwunden ist, bleibt im Prozess auch unklar, woher diese stammte und um welches Fabrikat es sich handelt. Dies konnte auch der Waffenexperte des LKA nicht feststellen, es kommen verschiedene Modelle infrage.

Diskussion um die Deutungshoheit

Zwischen Oberstaatsanwalt Peter Humburger, Verteidiger Uwe Böhm und der Nebenkläger-Vertreterin Sarah Burkhardt entwickelte sich eine Diskussion um die Deutungshoheit über das Filmgeschehen, das natürlich auch Spielraum für Interpretationen offenlässt. Dabei stand wohl vor allem die Aussage des Angeklagten im Raum, er habe nichts davon gewusst, dass eine Waffe auf dem Hof des Autohandels deponiert worden war. Dies hatte er am ersten Verhandlungstag so zu Protokoll gegeben. Richter Fritsch befand die Frage, wann der Angeklagte von der Waffe wusste, als nicht so brisant, weil er diese nicht sofort benutzte: Auf dem Video ist zu sehen, dass er sich zunächst noch mit den Insassen des Wagens unterhält, als er die Waffe schon in der Hand hat. Er setzt sie erst ein, als der Wagen schon vom Hof gefahren war und auf der Straße nochmal am Gelände vorbeifährt. „Es ist nicht zu erkennen, dass hier eine Falle gestellt wurde mit der Absicht, eine Schusswaffe zu benutzen“, so Fritsch.

Der Angeklagte beschrieb seinen Zustand am Tattag als gestresst, depressiv und belastet. Er habe sich stark unter Druck gefühlt und schlecht geschlafen. Zusätzlich zu einem sedierenden Medikament und einem Opioid, das ihm ein Allgemeinmediziner und Psychiater verschrieben hatte, habe er vor der Tat auch Kokain konsumiert, um sich aufzuputschen, so der 36-Jährige.

Der Prozess vor dem Ellwanger Landgericht wird Anfang nächster Woche fortgesetzt.

Opfer steht auch vor Gericht

Einer der Männer, die in dem beschossenen Auto saßen, steht Ende Januar selbst vor Gericht: Er soll einen Zeugen im Vorfeld des Prozesses geschlagen haben. Deshalb muss sich der Mann am 22. Januar vor dem Amtsgericht Heidenheim wegen Körperverletzung verantworten.

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