85. Jahre nach dem Attentat

„Schorsch, was machsch?“: Warum die Performance über Georg Elser so aufwühlend war

Zum 85. Jahrestag des Georg-Elser-Attentats im Münchner Bürgerbräukeller waren im Ökumenischen Gemeindezentrum in Heidenheim eine an die Nieren gehende Lesung und musikalische Erzählung zu erleben.

Was uns heute selbstverständlich erscheint, ist noch gar nicht so lange her: Johann Georg Elser wird weltweit als Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus anerkannt. Er versuchte, am 8. November 1939 mit einem Sprengsatz im Münchner Bürgerbräukeller, Hitler und die nationalsozialistische Führung mit einem in einer Säule versteckten Sprengsatz zu töten und den Krieg zu beenden.

Es ist bekannt: Hitler verließ früher als geplant den Bürgerbräukeller und entging dem Attentat. 13 Minuten zu spät detonierte der Sprengsatz. Georg Elser wurde noch am selben Abend an der Grenze zur Schweiz verhaftet und von der Gestapo verhört. Elser wurde instrumentalisiert und das Gerücht vom „englischen Mordanschlag“ im Auftrag des britischen Geheimdienstes verbreitet. Die Diffamierung Elsers ging noch lange nach dem Krieg weiter und erst 1970, als die Verhörprotokolle veröffentlicht wurden, begann man, seine Bedeutung zu erkennen.

Erschreckend und präzise

Im Ökumenischen Gemeindezentrum wurde an den 85. Jahrestag des Attentats auf Hitler mit einer tief beeindruckenden Lesung und musikalischen Erzählung gedacht. Es war eine Videoinstallation zu sehen, die so erschreckend wie präzise darstellte, in welch kurzer Zeit ab der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 die Demokratie systematisch abgeschafft und der Krieg vorbereitet wurde. Viele waren begeistert und glaubten, was die nationalsozialistische Propaganda verbreitete. Nicht so Georg Elser. Er hinterfragte, las zwischen den Zeilen, ahnte den Krieg schon lange.

Das Ensemble Freywolf mit Engelbert Frey (Gesang), Martin Sandel (Saxofon) sowie Hartmut Schmitt-Wolf (Gitarre) trug jiddische Ghettomusik und eigene Lieder zu Georg Elser vor, die das Publikum in den Bann zogen: „Als alle johlten, verhielt ich mich still. Als alle lobten, ahnte ich das Ziel. Als alle träumten, sah ich die Gefahr. Als sie marschierten, kam die Frage klar: ‚Schorsch, was machsch?‘“

Die Musiker und Sprecher, Klaus-Peter Preußger in der Rolle des Georg Elser bei seinen Verhören durch die Gestapo, und Joachim Ziller, Leiter der Georg-Elser-Gedenkstätte, der die Verhörprotokolle mit historischen Daten ergänzte, boten eine spannende und tief berührende Darstellung. Das Publikum erfuhr, wie Georg Elser dachte, handelte und beinahe den Lauf der Geschichte verändert hätte.

Befragt bis in den letzten Winkel

In den Verhörprotokollen wird deutlich, wie die Gestapo Georg Elser bis in die kleinste Ecke seines Lebens befragte. Zur Sprache kam nicht nur, wie penibel Elser die Bombe plante, wie er sich Hunderte Sprengplättchen besorgte und den Bürgerbräukeller auskundschaftete, wie er sich dort über 30 Mal nachts einschließen ließ und die Säule präparierte. Er wurde auch zu sämtlichen Verwandten und Bekannten befragt einschließlich jedes Sexualverkehrs mit Frauen.

Die Gestapo verhaftete seine Bekannten – was mit dem Lied „Mein Vater wird gesucht, er kommt nicht mehr nach Haus“ eindrucksvoll untermalt wurde. Freywolf gelingt es, die Melodien nie ins allzu Bekannte abdriften zu lassen, z. B. bei dem jiddischen Lied „’Ss brennt, Brider, ’ss brennt“ – wie Frey und das Ensemble jedes einzelne Lied präsentierten, verursachte Gänsehaut. An der Wand war ein Bild Elsers zu sehen, auf dem er unter einem Auge eine deutliche Verletzung trägt. Elser kam als Sonderhäftling schließlich ins KZ Dachau, wo er am 9. April 1945, 20 Tage vor der Befreiung des KZs durch die Amerikaner, hingerichtet, verbrannt und seine Asche verstreut wurde. Freywolf beendete den Abend mit „Nur ein kleiner Finger fehlt, nur ein kleines Wegstück (dass er es in die Schweiz geschafft hätte), nur ein kleiner Moment“ – und er hätte die Welt verändert. Nach langem Applaus ging das Publikum bedrückt, aber auch tief bewegt nach Hause.

Verhörprotokolle in der Elser-Gedenkstätte

Die Georg-Elser-Gedenkstätte in Königsbronn setzt sich seit vielen Jahren für die Würdigung Georg Elsers ein. Die Ausstellung ist sonn- und feiertags von 11 bis 17 Uhr zu besichtigen. Dort können auch die Verhörprotokolle eingesehen und die CD von Freywolf erworben werden.

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