Wie in Gangsterfilm

Schüsse auf offener Straße in Nattheim: 36-Jähriger steht vor Gericht

Nur durch Glück wurde am 5. März niemand verletzt, als ein 36-jähriger Heidenheimer auf offener Straße ein Auto beschoss. Jetzt steht der Mann, ein früherer Präsident der rockerähnlichen Vereinigung United Tribuns, in Ellwangen vor Gericht.

Wie in einem Gangsterfilm ging es am 5. März im Nattheimer Industriegebiet an der Daimlerstraße zu: Ein schwarzer Audi, in dem drei Männer saßen, fuhr mit quietschenden Reifen vom Gelände eines Autohandels davon. Vom Gehweg aus schoss ein Mann in einer roten Jacke auf das an ihm vorbeifahrende Auto. Als der Wagen an einer mehr als 50 Meter entfernten Tankstelle anhielt, drückte der Schütze nochmals ab.

Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt, weder im Auto noch auf der Straße.
Der Schütze, ein 36-jähriger Heidenheimer, muss sich seit Dienstag vor dem Landgericht Ellwangen wegen versuchten Totschlags und dem unerlaubten Führen einer Waffe verantworten. Er soll bei der Attacke in Kauf genommen haben, die drei Insassen des Audi A6 zu töten, so Oberstaatsanwalt Peter Humburger. Der Angeklagte trat früher als Präsident der rockerähnlichen Gruppierung United Tribuns auf und war zuletzt im November 2018 wegen Drogenhandels und Geldfälschung zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

Verbal aggressiv und ausfallend

Auf dem Gelände des Autohauses in Nattheim trafen sich am 5. März zwei Gruppen von Männern, zwischen denen es zum Streit kam. Die eine Gruppe bestand aus dem Angeklagten und seinen beiden Brüdern, die den Autohandel betreiben. Auf der Gegenseite standen ebenfalls zwei Brüder und deren Cousin. Diese trafen gegen 13.50 Uhr mit einem schwarzen A6 auf dem Gelände ein. Zunächst gingen sie in den Container, der als Büro dient. Nach Aussagen des Angeklagten sei einer der Männer sofort verbal aggressiv und ausfallend geworden.

Im weiteren Verlauf kam es auch zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Der Angeklagte gab an, einer der Brüder habe ein Messer gezogen, welches er diesem weggenommen habe. Schließlich verließen die drei Männer den Container und setzten sich wieder ins Auto, der Angeklagte folgte ihnen. Als er sich in das Auto beugte, habe der Mann auf dem Beifahrersitz eine Waffe gezogen. Daraufhin habe er sich auch eine Waffe geben lassen. Diese habe er am Lauf gehalten und dem Mann auf dem Beifahrersitz angeboten mit den Worten, er solle ihn „wie ein Mann“ erschießen.

Angeblich auf die Reifen gezielt

Als das Auto mit den drei Männern wegfuhr, habe einer der Insassen gerufen: „Ich werde euch alle umbringen und deine Kinder auch“. Daraufhin sei er ausgerastet und habe vom Gehweg aus auf das vorbeifahrende Auto geschossen. „Ich hätte durch die Windschutzscheibe alle treffen können“, sagte der 36-Jährige aus. Stattdessen habe er auf die Reifen gezielt, in der Absicht, das Auto zu stoppen. „Ich hatte nicht die Absicht, jemanden zu töten“, so der Angeklagte.

Einschusslöcher in den Türen, eine zertrümmerte Scheibe: So sah der schwarze A6 aus, nachdem der 36-Jährige auf ihn gezielt hatte. Foto: HZ

Weitere Schüsse gab er ab, als das Auto an einer rund 50 Meter entfernten Tankstelle anhielt. Auch da hätte er treffen können, er sei ein guter Schütze, so der Mann. Er habe die Sache klären wollen und hätte erwartet, dass die Drohung zurückgenommen werden soll. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Bernhard Fleischer, warum er denn die Reifen nicht getroffen habe, wenn er so ein guter Schütze sei, wollte der Angeklagte nicht antworten.

Tatsächlich hatte das Auto Einschusslöcher in den Türen, ein Schuss traf die hintere Scheibe auf der Beifahrerseite und zerschlug diese. „Hatten Sie das alles unter Kontrolle?“, wollte Oberstaatsanwalt Humburger wissen. „Darauf möchte ich keine Antwort geben“, so der Angeklagte, der angegeben hatte, vor der Tat Schmerzmittel und Kokain konsumiert zu haben.

Alles auf Video festgehalten

Am Tathergang gibt es wenig Zweifel, da es der Polizei gelungen ist, gelöschte Videos der Überwachungskameras des Autohandels wieder herzustellen. Alles, was sich auf dem Hof abgespielt hat, ist dort im Bild festgehalten. Ein 60-jähriger Kriminalhauptkommissar, der als Zeuge geladen war, sagte: „Ich kann mich nicht daran erinnern, einen Fall gehabt zu haben, der von Anfang bis Ende auf Video dokumentiert war.“ Er bezeichnete dies als Glücksfall für die Polizei, da die Ermittlungen sehr komplex gewesen seien.

Anfangs habe die Seite der Geschädigten noch mit der Polizei gesprochen, allerdings kam es nur zu einer Vernehmung, zu späteren Terminen seien die Zeugen nicht mehr erschienen. „Wir hatten nicht den Eindruck, dass uns immer die Wahrheit gesagt wurde, oft wurde auch überhaupt nicht mit uns gesprochen“, so der Kripobeamte. So blieb eines auch bis zum Schluss im Dunkeln: Warum sich die Männer überhaupt in Nattheim getroffen haben, wurde nie aufgeklärt. Der Angeklagte machte dazu auch eher verwirrende Angaben und sprach von Streitigkeiten zwischen den Familien, zwischen denen es auch Verbindungen gebe. Im ersten Notruf, der die Polizei um 13.57 Uhr erreichte, habe der Anrufer, einer der Geschädigten, gesagt: „Wir sind in eine Falle gelockt worden.“

Nach Bosnien geflüchtet

Direkt nach der Schießerei war der Angeklagte geflüchtet und hatte sich nach eigenen Angaben zunächst im Raum Aalen versteckt, bevor er mit dem Auto über Slowenien und Kroatien nach Bosnien gefahren war. In Sarajevo habe er sich zunächst mit Drogen eingedeckt und in einem Hotel versucht, zur Ruhe zu kommen. Der türkischstämmige Mann mit deutschem Pass gab an, er habe es sehr schlecht verkraftet, von seiner Frau und der Familie in Deutschland getrennt zu sein. Beim Versuch, mit dem Flugzeug in die Türkei weiterzureisen, wurde er am Flughafen in Sarajevo festgenommen.

Über die Haftbedingungen in Bosnien beklagte sich der 36-Jährige massiv. Er sei dort von Vollzugsbeamten geschlagen worden, vom verdorbenen Essen habe er ständig Durchfall gehabt und massiv an Gewicht verloren. Er berichtet von Schmutz, Kakerlaken und beengten Verhältnissen. Nach viereinhalb Monaten wurde er nach Deutschland ausgeliefert. Von der Justizvollzugsanstalt Ulm wurde er später nach Mannheim verlegt. Hintergrund sei ein Bestechungsversuch an einem Vollzugsbeamten gewesen, der ihm ein Handy verschaffen sollte, so der Staatsanwalt.

Die Verhandlung wird am 19. Dezember fortgesetzt. Dann sind unter anderem alle Personen, die während der Auseinandersetzung auf dem Gelände des Autohandels anwesend waren, als Zeugen geladen.

Wo ist die Waffe?

Die Tatwaffe, mit der der 36-Jährige geschossen hat, wurde nicht gefunden. Auf den Überwachungsvideos ist zu sehen, wie ein Mann die Waffe in einem Auto auf dem Hof des Autohandels versteckt. Im Lauf der Auseinandersetzung holt er sie heraus und gibt sie dem Angeklagten. Dieser sagte vor Gericht aus, er habe nicht gewusst, dass einer seiner „Jungs“ eine Waffe deponiert habe.

Ebenfalls auf dem Video zu sehen ist, wie die Waffe auf den Bürocontainer geworfen wird. Dann klettert ein Mann auf das Dach und holt die Waffe offenbar wieder herunter. Er steigt in ein Auto und fährt davon. Auch Patronenhülsen werden aufgesammelt. Da die Personen auf den Aufzeichnungen zu erkennen sind, wurden auch gegen sie Strafverfahren eingeleitet.

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