Und einig wollen sie handeln. Sie, das Volk, in Schillers Drama „Wilhelm Tell“. Aber auch sie, die Mitglieder des Naturtheaters, wenn sie ab 20. September den „Tell“ auf ihrer Freilichtbühne aufführen. Dabei war und ist man sich in dem Verein hin und wieder recht uneinig. Das gehört zum Vereinsleben freilich dazu, mitunter führt es aber auch zum Bruch. So manche Mitglieder des Naturtheaters haben in der Vergangenheit den Verein im Streit verlassen. Und so manche von ihnen kehren nun zurück. Für „Tell“.
Einer, der dem Naturtheater einst den Rücken kehrte, ist Dieter Junginger. 1954 stand er als 14-Jähriger erstmals für „Die Nibelungen“ auf der Naturtheater-Bühne, 1959 spielte er dort schon einmal bei einer „Tell“-Inszenierung mit – als Sohn des Schweizer Freiheitskämpfers. Nun, im Jubiläumsjahr, mimt er den Freiherrn von Attinghausen. Ganz selbstverständlich ist das nicht, zog sich Dieter Junginger doch Mitte der 70er-Jahre nach Diskrepanzen mit der Vorstandschaft aus dem Naturtheater zurück.
Weg vom Naturtheater Heidenheim, hin zur Theatergruppe Königsbronn
Warum kehrt er zurück? „Ich wurde gefragt“, antwortet der 84-Jährige da kurz und knapp. Gefragt hatte ihn Regisseur Oliver von Fürich, der jenes Stück, mit dem vor 100 Jahren alles auf der Heidenheimer Freilichtbühne begann, als modernisierte Fassung inszeniert. Gefragt hat von Fürich zudem einen, den man in diesem Zusammenhang eigentlich immer in einem Atemzug mit Dieter Junginger nennen muss: Rudi Neidlein.
Neidlein war ähnlich wie Junginger viele Jahre Teil des Ensembles auf dem Schlossberg, primär als Regisseur. Und ähnlich wie Junginger verließ Neidlein einst den Verein; eine Abspaltung, die 1981 zur Gründung der Königsbronner Amateurtheatertruppe führte. Erstmals seit vielen Jahren wird der 77-Jährige damit wieder im Naturtheater auftreten. „Aufgedrängt habe ich mich nicht“, versichert Neidlein. „Oliver von Fürich wollte mit dem Stück die Jahre des Naturtheaters abbilden und kam auf uns zu.“ Neidlein willigte ein, unter einer Bedingung: „Bitte nicht zu viel Text.“
Die Leute, mit denen wir damals Knatsch hatten, sind ja alle nicht mehr da.
Rudi Neidlein über frühere Unstimmigkeiten im Naturtheater Heidenheim
Eine Bitte beziehungsweise Beobachtung, die auch Dieter Junginger wiedergibt: „Früher konnte ich zwei Stunden durchspielen, heute bleibe ich bei zehn Sätzen hängen.“ Eine gewisse Textangst verspüre er durchaus. Die habe er damals nie gekannt. „Das Tolle ist, dass ich zum ersten Mal auf der Bühne sterben darf.“ Es gibt sie also noch, die ersten Male für Dieter Junginger.
Sowohl für ihn als auch für Neidlein ist diese Rückkehr keine, die auf Misstrauen oder gar alten Unversöhnlichkeiten fußt. „Die Leute, mit denen wir damals Knatsch hatten, sind ja alle nicht mehr da“, erzählt Rudi Neidlein, der bei „Tell“ den Pfarrer Rösselmann spielt. Außerdem hätten beide Parteien nur wenige Jahre nach der Spaltung bereits wieder Kontakt zueinander aufgenommen.
Gänzlich neu ist die Naturtheater-Umgebung für die beiden also nicht. Höchstens vielleicht unter einem technischen Gesichtspunkt. Das Spielen mit Headsets und Mikrofonen – für Dieter Junginger und Rudi Neidlein ist es eine Umstellung. Nun tritt in „Wilhelm – Tell Me Your Story“, wie die modernisierte Version des Klassikers eigentlich heißt, Technik gleich in vielerlei Hinsicht in den Vordergrund. Gerade auf dieses Zusammenspiel freut sich mit Norbert Sluzalek ein weiterer Rückkehrer.
Rückkehr von Norbert Sluzalek und Lars Helfert
Sluzalek kehrt für die Rolle des Gesslers nach Heidenheim zurück. Für den Profi-Schauspieler ist das letzte Mal noch nicht ganz so lange her. Zuletzt gab er 2015 in „Hexenjagd“ den John Proctor. Auch Sluzalek wurde von Oliver von Fürich gebeten, bei dieser besonderen „Tell“-Fassung mitzumachen. „Bei den Proben konnte ich bislang leider nicht so häufig dabei sein“, erzählt der gebürtige Sontheimer mit Blick auf seine anderweitigen schauspielerischen Engagements. Und doch: Der Anblick des Naturtheaters war ihm vom ersten Moment an wieder vertraut.
Nicht zuletzt die Rolle des Gesslers hat Sluzalek überzeugt, einmal mehr im Naturtheater aufzutreten: „Er ist ein sehr unangenehmer Mensch.“ Eine willkommene Herausforderung für den Schauspieler. Wenn es nach ihm ginge, müsste das Intermezzo nicht sein letztes Erscheinen auf dem Schlossberg sein. „Ich könnte mir hier weitere Rollen vorstellen, wenn es sich bei den Stücken um Klassiker handelt.“
Eindeutig auf ein Gastspiel beschränkt sehen hingegen Junginger und Neidlein ihre Auftritte im Naturtheater. „Natürlich war ich neugierig, hier nach 44 Jahren wieder aufzutreten“, so Neidlein. Er würde die Verbindung zwar gerne weiter intensivieren, aber doch eher von den Publikumsrängen aus.
Etwas zögerlich hinsichtlich der Rückkehr ins Naturtheater war anfangs auch Lars Helfert. Er ist als Letzter dieser Vier abgewandert und heute in führender Position beim Schnaitheimer „Sasse“-Theater tätig. „Als ich gefragt wurde, ob ich für diese Produktion zurückkommen würde, habe ich zunächst eher verhalten reagiert. Letztlich hat meine Frau mich aber überzeugt“, berichtet Helfert. Nun spielt er den Stüssi.
Ein Stück weit ist es für ihn auch ein Heimkommen, schließlich war Helfert 30 Jahre lang Teil der Naturtheater-Gruppe. Besonders spannend an dieser „Tell“-Produktion ist für ihn die Umwandlung des klassischen Textbuchs in moderne Sprache – „das ist aus meiner Sicht mutig.“ Und obwohl er den Einsatz von Videoproduktionen bereits aus der „Sasse“ kenne, sind die beiden LED-Wände der „Tell“-Inszenierung auch für Helfert ein Novum und eine Besonderheit. „Die Qualität ist hier extrem hoch.“ Widersprechen würde Lars Helfert in dieser Hinsicht wohl kaum jemand. Und einig wollen sie denken.
Vier Aufführungen von „Wilhelm – Tell Me Your Story“
„Wilhelm – Tell Me Your Story“ wird am 20., 21., 27. und 28. September jeweils ab 19.30 Uhr im Naturtheater Heidenheim gespielt. Eintrittskarten sind unter anderem im Ticketshop des Pressehauses in Heidenheim sowie online unter laendleevents.de erhältlich.