Interview

So hat die Paul Hartmann AG laut Chefin Britta Fünfstück die Trendwende geschafft

Ein nur leicht gestiegener Umsatz, aber deutlich mehr Gewinn: Die Vorstandsvorsitzende der Paul Hartmann AG Britta Fünfstück führt die gute finanzielle Situation ihres Unternehmens auf eigene Anstrengungen zurück. Was dafür in den vergangenen Jahren alles unternommen wurde, schildert sie im exklusiven HZ-Interview.

Ein nur leicht gestiegener Umsatz, aber deutlich mehr Gewinn: Die Vorstandsvorsitzende der Paul Hartmann AG Britta Fünfstück führt die gute finanzielle Situation ihres Unternehmens auf eigene Anstrengungen zurück. Dazu habe wesentlich das Transformationsprogramm beigetragen. Was sich dadurch alles verändert hat, schildert sie im Gespräch.

Wie hat sich die Lage für Hartmann entwickelt?

Grundsätzlich ist der Gesundheitsmarkt ein Wachstumsmarkt. Die demographische Entwicklung mit einer alternden Bevölkerung wird die Nachfrage nach unseren Produkten sichern. Allerdings bewegen wir uns aktuell in einem sehr schwierigen Umfeld. Es gibt nach wie vor weniger Operationen als vor der Pandemie, weil es auch weniger Pflegekräfte gibt. Außerdem sind die Kosten für Material, Energie und Fracht deutlich gestiegen. Wir haben sehr hohe Mehrkosten von 200 Millionen Euro. Wir sind ein 2,4-Milliarden-Unternehmen, das sind also über acht Prozent des Umsatzes. Wir haben zwar zum Teil die Preise erhöht, aber es ist nicht gelungen, die Mehrkosten dadurch gänzlich auszugleichen. Dazu kommt ein schwaches Konsumklima, die Menschen haben weniger verfügbares Geld aufgrund der hohen Inflation. Das spüren wir in den Bereichen, in denen wir direkt an den Konsumenten verkaufen, wie zum Beispiel bei Kneipp. Der Kunde greift dann einfach zu günstigeren Produkten. Und es gibt Finanzlücken im Gesundheitssektor, die uns belasten und die dazu führen, dass es schwierig ist, sich bei Preisverhandlungen beim Kunden durchzusetzen. Insofern haben wir aktuell wirklich ein sehr herausforderndes Umfeld in einem grundsätzlich aber attraktiven Markt.

Was geht Ihnen durch den Kopf angesichts des aktuellen Milliarden-Finanzpakets des Bundes, das in Verteidigung und Infrastruktur fließen soll, bei dem aber nicht die Rede vom Gesundheitssystem ist?

Es ist jetzt keine Enttäuschung, wir sind nicht davon ausgegangen, dass mehr Geld dafür bereitgestellt wird. Es gibt strukturelle Veränderungen im Gesundheitssektor, die sind gut und notwendig. Nichtsdestotrotz ist es bedauerlich, dass man an manchen Stellen spart, wo man sich als Privatmensch und als Bürger dieses Landes wünschen würde, dass dafür ausreichend finanzielle Mittel bereitgestellt würden.

Wir haben den Turnaround in der Entwicklung des Unternehmens erreicht und entwickeln uns jetzt positiv nach vorne.

Britta Fünfstück

Trotzdem hat sich Hartmann 2024 sehr positiv entwickelt.

Ja, das Umsatzwachstum liegt bei 2,6 Prozent. Das ist moderat, aber trotzdem ist es uns gelungen, eine sehr deutliche Ergebnissteigerung von 58 Millionen Euro oder 28,5 Prozentpunkten zu erreichen. Die Gewinnmarge ist damit von 8,6 Prozent auf 10,9 Prozent gestiegen. Wenn man vom Jahr 2020 absieht, das durch eine Sonderkonjunktur bedingt durch Covid-19 geprägt war, was außergewöhnlich hohe Umsätze und auch Erträge generiert hat, ist 2024 das beste Hartmann-Jahr, das es jemals gab. Darauf sind wir stolz, weil wir das nicht aufgrund von Sondereffekten, sondern trotz schwieriger Rahmenbedingungen geschafft haben. Wir haben den Turnaround in der Entwicklung des Unternehmens erreicht und entwickeln uns jetzt positiv nach vorne.

Betrifft das alle Bereiche von Hartmann?

Wir verzeichnen über alle Segmente hinweg, wenn auch in unterschiedlichem Maße, positive Ergebnisentwicklungen. Ganz deutlich ist das im Bereich der Infektionsprävention mit 32 Millionen Euro. Das freut uns deswegen ganz besonders, weil dieser Bereich nach der Pandemie besonders gelitten hat.

Und wie ist diese Entwicklung trotz der schwierigen Bedingungen gelungen?

Der allergrößte Hebel, um zu den knapp 60 Millionen Euro Ergebnisverbesserung zu kommen, war unser Transformationsprogramm. Dieses umfasst sowohl Kostenverbesserungen als auch neue Produkte, die in den Markt gebracht werden.

Heidenheimer Paul Hartmann AG machte 2024 deutlich mehr Gewinn als im Vorjahr

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Heidenheim
Unternehmensbilanz

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Beim Inkontinenzmanagement haben wir beispielsweise die Produkte verbessert hinsichtlich der Aufnahmegeschwindigkeit von Flüssigkeit, sodass für den Patienten ein größeres Trockenheitsgefühl entsteht. Wir haben eine gänzlich neue Saugkörper-Technologie entwickelt, die hoch innovativ ist und sich durch einen etwas anderen Materialeinsatz und ein ganz anderes Design auszeichnet. Neue Produkte, die wir mit dieser Technologie bereits in den Markt gebracht haben, verzeichnen teils sehr hohe Wachstumsraten, manche von über 30 Prozent.

Man wappnet sich durch Patente auf jeden Fall, aber man kann nicht gänzlich abwenden, dass ein Konkurrent so ein Produkt in irgendeiner Weise nachahmt.

Britta Fünfstück

Wie gut lässt sich so ein Entwicklungsvorteil durch Patente schützen?

Man wappnet sich durch Patente auf jeden Fall, aber man kann nicht gänzlich abwenden, dass ein Konkurrent so ein Produkt in irgendeiner Weise nachahmt. Der Wettbewerber versucht dann eben, sein Design knapp an unseren Patenten vorbei zu gestalten. Aber trotzdem sind wir mit diesem Produkt und mit dieser Technologie sehr, sehr gut aufgestellt und werden innerhalb dieses Jahres das gesamte Portfolio komplett modernisiert haben. Wenn Patienten sich mit so einem Produkt sehr wohl fühlen, wechseln sie nicht auf ein unbekanntes anderes Produkt.

Und wie funktioniert dann in diesem Bereich die von Ihnen angesprochene Kostenoptimierung?

Beispielsweise optimieren wir das Material, verwenden eine andere, leichtere Folie, die das Gewicht verringert. Das summiert sich dann über die großen Stückzahlen und verringert die Transportkosten. Dasselbe gilt auch für bessere Verpackungstechniken, mit deren Hilfe man weniger Luft mittransportiert. Wenn wir dann weniger Lkw zum Transport und weniger Material brauchen, ist das nicht nur ein wirtschaftlicher Vorteil, sondern auch einer für die Umwelt. Und Kliniken, Pflegeheime und Apotheken brauchen weniger Stauraum. Diese Optimierungen klingen vielleicht ein bisschen banal, aber solch eine Kompression muss technisch derart umgesetzt werden, dass sich das Produkt dadurch nicht hart anfühlt, sondern sich nach wie vor an den Körper anschmiegt. Deswegen ist es ein anspruchsvoller, komplexer Prozess.

Das Transformationsprogramm bei Hartmann ist ja nicht neu, Sie haben es vor fünf Jahren vorgestellt. Was hat es dem Unternehmen gebracht?

Insgesamt hat das Transformationsprogramm bis inklusive des vergangenen Jahres einen positiven Ergebnisbeitrag von über 220 Millionen Euro gebracht. Trotzdem hat sich unser Ergebnis nicht um 220 Millionen Euro verbessert, weil wir Material- und Energiemehrkosten von 200 Millionen Euro tragen mussten, die wir nur teilweise durch höhere Preise weitergeben konnten. Wir haben auch investiert, beispielsweise in den Ausbau unserer Divisionsteams. Deswegen sieht man nur einen Teil der Verbesserung im Ergebnis. Aber trotzdem sind das Maßnahmen, die uns nachhaltig nach vorne bringen. Diese Stärkung kann uns niemand wegnehmen, beispielsweise die Produktinnovationen.

Was hat das Transformationsprogramm noch verändert?

Es geht um Prozesseffizienz, Lieferkettenmanagement und Wachstumsmaßnahmen. Das sind zum Beispiel neue Produkte, die wir erst in den letzten Jahren so richtig in den Markt gebracht haben und die in den nächsten Jahren einen noch viel größeren Anteil an der Ergebnisentwicklung bekommen werden. Dann haben wir vertriebliche Maßnahmen getroffen, die auch beinhalten, dass wir aus dem Vertrieb in Ländern ausgestiegen sind, die nur Verluste gemacht haben. Wir haben viel im Design unserer Produkte optimiert, um hier Kosten zu senken. Und auch die Verlagerung der Produktion der Wundversorgung aus dem Schweizer und dem Heidenheimer Werk nach Polen gehört dazu.

Es ging aber nicht nur um Einsparungen?

Nein, wir haben auch viel investiert. Die Investitionen haben sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt und liegen inzwischen deutlich über der Abschreibungsrate, was ein positiver Indikator ist. Große Investitionen gab es in die Automatisierung der Produktion, aber auch in neue Materialien. Wir haben in große, moderne Maschinen investiert, die teilweise mehr als 20 Millionen Euro kosten.

Der Auslandsanteil des Umsatzes ist seit 2020 gewachsen. Bedeutet das, dass der deutsche Markt für Hartmann an Bedeutung verliert?

2024 lag das Umsatzwachstum in Deutschland oberhalb der Gesamtumsatzentwicklung bei vier Prozent. In Europa ohne Deutschland wuchs der Umsatz nur schwach um rund ein Prozent, Australien, Asien und der amerikanische Kontinent hatten überproportionale Zuwächse. Man kann also schon sagen, dass das Geschäft sich mehr aus Europa hinaus verlagert. In Australien und einem Teil von Asien haben wir eine Wachstumsrate von rund neun Prozent gehabt und allein das Geschäft in den USA ist um 15 Prozent gewachsen.

Wird Trumps Zollpolitik daran etwas ändern?

Wir gehen nicht davon aus, dass dies viel verändern wird. In der Vergangenheit waren Medizinprodukte von solchen Entwicklungen ausgenommen. Allerdings beziehen wir viele der Zellstoffe für unsere Inkontinenzprodukte aus den USA, in geringerem Umfang auch für die Wundprodukte. In diesem Bereich ist es denkbar, dass die Produkte mit höheren Zöllen belegt werden könnten. Da aber auch unsere Wettbewerber dort einkaufen, würde es alle gleichermaßen betreffen und es würde nicht automatisch bedeuten, dass wir Marktanteile verlieren.

Wie hat sich die Organisation von Hartmann verändert?

Sehr stark. Wir waren früher ein nach Ländern organisiertes Unternehmen. Es gab beispielsweise in Frankreich und der Schweiz jeweils eine eigenständige Produktion und ein Landesleiter war sowohl für den Vertrieb als auch die Produktion verantwortlich. Das haben wir komplett umorganisiert, wir haben uns nach Divisionen und damit stärker am Wettbewerb ausgerichtet. Jetzt werden die Entscheidungen in den Divisionen getroffen. Dadurch arbeiten die Teams viel zielgerichteter daran, Marktanteile zu gewinnen.

Nachdem die Produktion im Bereich Wundversorgung aus Heidenheim nach Polen verlagert wurde, stehen die Produktions- und Lagerhallen (rechts im Bild) leer und sollen vermietet werden. Geyer Luftbild

Gab es nicht auch große Barrieren bei so einer fundamentalen Veränderung der Strukturen?

Eine so umfassende Umorganisation ist natürlich eine Herausforderung. Aber rückblickend stellt niemand die neue Ausrichtung in Frage, weil uns der Erfolg Recht gibt. Sie war notwendig für die Forschungs- und Entwicklungsprojekte sowie für die Kostenmaßnahmen, die wir seitdem umgesetzt haben. So eine Veränderung braucht Stringenz und Klarheit auf der einen Seite, aber auch Feingefühl auf der anderen.

Was hat das alles mit der Unternehmenskultur gemacht?

Sie hat sich nachweislich verbessert. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren drei Befragungen durch die Firma Gallup durchführen lassen. Das ist ein etabliertes Verfahren, bei dem es zwölf feststehende Kernfragen gibt, die sich beispielsweise mit zufriedenstellender Ausstattung mit Arbeitsmitteln, ausreichendem Feedback von den Vorgesetzten oder auch guten Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen befassen. Die durchschnittlichen Bewertungen kann man dann auch in Vergleich stellen mit denen in anderen Unternehmen, da das Institut immer dieselben Fragen verwendet. Zusätzlich stellen wir dann noch einige eigene Fragen, beim letzten Mal ging es beispielsweise um das Thema Diversität.

Zur Diversität gehört auch, dass Frauen und Männer gleiche Chancen in einem Unternehmen haben. Sie als Frau an der Spitze sind da ein Vorbild. Nutzen Sie Ihre Position auch, um Frauen im Unternehmen zu fördern?

Ja, es gibt seit rund drei Jahren ein Netzwerk für Frauen in Führungspositionen im Unternehmen. Wir treffen uns regelmäßig zu Impulsvorträgen und Diskussionen. Zudem haben wir mit einem Mentoringprogramm begonnen, das sich derzeit darauf konzentriert, junge weibliche Talente zu fördern. Das Programm dauert neun Monate und die inhaltliche Ausgestaltung obliegt dem Mentee und dem Mentor. Bei den Treffen tauscht man sich zu individuellen Themen und Problemen aus, bei denen der Mentor oder die Mentorin Ratschläge oder Einblicke geben kann. Manchmal werde ich auch von anderen Unternehmen angefragt, ob ich beispielsweise einen Vortrag für weibliche Führungskräfte halten kann. Dafür nehme ich mir dann gerne Zeit. Frauen sollten sich viel mehr vernetzen.

Hartmann will Produktionshalle in Heidenheim vermieten

Die Produktionsverlagerung aus Heidenheim nach Polen ist nach Aussagen von Britta Fünfstück mittlerweile abgeschlossen, die Maschinen seien umgezogen und dort aufgebaut. Manche Produktionen würden in Polen bereits laufen, andere seien in den Produktionsvorläufen, einige notwendige Zertifizierungen stünden noch aus. Die zukünftige Planung sieht keine weiteren Verlagerungen von Produktionen aus Deutschland nach Polen vor, so die Firmenchefin. Die Produktionshalle in Heidenheim sowie die angrenzende Lagerhalle stehen leer. Angedacht sei, diese zu vermieten.