FDP-Verkehrsexperte sieht Nachholbedarf in Heidenheim
Eigentlich müsste in Baden-Württemberg Jahr für Jahr eine halbe Milliarde Euro in die Landesstraßen investiert werden, nur um ihren aktuellen Zustand zu erhalten. Tatsächlich seien es derzeit lediglich 170 Millionen, und damit viel zu wenig. Das sagt Dr. Christian Jung, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Stuttgarter Landtag.
Um seine Behauptung in Sachen Nachholbedarf untermauern zu können, fragt der 45-Jährige landauf, landab den Sachstand ab. So auch im Landkreis Heidenheim, wo er sich jetzt unter anderem auf dem Härtsfeld ein eigenes Bild verschaffte. Bei einem Besuch in der Redaktion der Heidenheimer Zeitung benannte er mehrere aus seiner Sicht für ein funktionierendes Verkehrssystem wesentliche Punkte.
Punkt 1: Verkehrsträger-Mix
„Ich bin ein großer Verfechter individueller Mobilität“, sagt Jung. Heißt: Jeder soll jeden Tag aufs Neue selbst entscheiden, wie er von A nach B kommt. Im Unterschied zu den Grünen, die in Baden-Württemberg mit Winfried Hermann den Verkehrsminister stellen, wolle die FDP „keine Politik gegen den Pkw betreiben, keine generellen Verbote und nicht Verkehrsträger gegeneinander ausspielen“, so Jung, sondern die Entscheidung den Menschen überlassen.
Am Ende steht dann seiner Ansicht nach eine ideologiefreie Kombination verschiedener Verkehrsmittel, die der Vielzahl unterschiedlicher Bedürfnisse gerecht wird. Jung selbst verfügt über ein eigenes Auto, gehört aber auch zu den Car-Sharing-Nutzern und fährt zu zentral gelegenen Terminen mit dem Zug.
Punkt 2: Klimaneutralität
Das Ziel der Bundesregierung, im Jahr 2030 bereits 15 Millionen Elektro-Autos auf deutschen Straßen rollen zu sehen, hält Jung für „massiv gefährdet“. Zum einen seien die Zulassungszahlen auch aufgrund der hohen Preise zu gering, zum anderen gebe es bislang keinen Markt für gebrauchte E-Fahrzeuge. Um eine möglichst klimaneutrale Mobilität zu erreichen, macht er sich daher auch mit Blick auf die auf Dauer große Zahl von Bestandsfahrzeugen mit Verbrennungsmotoren für synthetische Kraftstoffe stark.
Punkt 3: Wirtschaftsfaktor
Mit der Frage des Antriebs ist der Bogen geschlagen zu Aspekten der Beschäftigungssicherung. „Baden-Württemberg kann nicht alles, aber hier werden gute Autos mit modernster Verbrennungstechnologie hergestellt“, so Jung. Die unmittelbar damit verknüpften Arbeitsplätze will er ebenso erhalten sehen wie in der Zulieferindustrie. Insofern sei Verkehrspolitik zugleich angewandte Wirtschaftspolitik, denn ehe Geld ausgegeben werden könne, müsse es verdient sein.
Als weiteren wichtigen Standortfaktor führt Jung den Zustand der Straßen an. Bei der Frage, wo Unternehmen sich auch im Kreis Heidenheim ansiedeln oder Niederlassungen erweitern, spielten der Anschluss ans überörtliche Straßennetz und die Erreichbarkeit durch Schwertransporte, etwa auf dem Härtsfeld, oftmals eine entscheidende Rolle. Jung hält die Lkw-Logistik für unumgänglich, um den Wohlstand zu erhalten, da sich nicht alle Güter schnell genug mit der Bahn befördern ließen und diese auch nicht über ausreichende Kapazitäten verfüge.
Punkt 4: ÖPNV
Als momentan größtes Problem der Busunternehmen erachtet Jung den Mangel an Fahrern. Schon aus diesem Grund scheide die Wunschvorstellung aus, jedes Dorf mit einem den Zeitraum zwischen 5 und 24 Uhr abdeckenden Linienverkehr zu versorgen. Sein Vorschlag: Auf Linien mit großer Nachfrage den Takt verdichten und ihn durch auch im Kreis Heidenheim diskutierte On-Demand-Angebote wie Ruftaxis ergänzen, die die Nebenstrecken abdecken. In absehbarer Zeit sei eine Kombination mit autonomem Fahren denkbar.
Punkt 5: Tempo 30
Den in Heidenheim zuletzt wiederholt lautgewordenen Forderungen nach Tempo 30 entlang der B 466 in der Innenstadt steht Jung mit gemischten Gefühlen gegenüber. Werde ein solches Ansinnen mit dem Lärmschutz begründet, sei es mitunter erfolgreich und nachvollziehbar. Von einer durchgängigen Geschwindigkeitsbegrenzung halte die FDP allerdings nichts: „Generell Tempo 30 führt zu einer Einschränkung des Verkehrsflusses.“