Sind wir ehrlich: Helden langweilen. In Geschichten sind es die Schurken, die uns faszinieren. Tiefgründiger, realistischer, imperfekt – die Liste der Gründe, sich besser mit fiktiven Bösewichten identifizieren zu können, ist lang. Womöglich ist das eines der Geheimnisse für die bis heute nicht abreißende Popularität von Otfried Preußlers „Der Räuber Hotzenplotz“. Die Helden des Kinderbuchs mögen aus der Welt des Kasperltheaters stammen, den Titel beansprucht hingegen der Schurke für sich. Kein Wunder also, dass das Naturtheater Heidenheim sich einmal mehr des Klassikers angenommen hat. Am Samstag war Premiere und so viel gleich vorweg: Der Schurke stiehlt die Schau.
Markus Hirschbergers Hotzenplotz überzeugt vom Zipfel des Räuberhuts bis zu den löchrigen Strümpfen. Zwei Stunden lang grunzt, ächzt, jauchzt, stöhnt und lacht Hirschberger hämisch. Dabei gelingt ihm der Balanceakt zwischen kinderfreundlichen Slapstick-Einlagen und cholerischen Wutanfällen, bei denen sich die Kleinsten im Publikum vielleicht sogar ein wenig fürchten müssen.
Explosionen und Pyrotechnik im Naturtheater Heidenheim
Apropos fürchten: Es knallt im Naturtheater. Ganz schön laut und ganz schön häufig sogar. Etwa ein halbes Dutzend Mal ertönen in dem Stück Schüsse, Blitze und sonstige Explosionen – so manche Kinder auf den Publikumsrängen schienen davon etwas erschrocken zu sein, denn sie hielten sich anschließend mehrere Minuten lang die Ohren zu.
Die Lauscher aufsperren – und die Augen sowieso – muss man hingegen bei den Auftritten von Kasperl und Seppel. Mit Lara Marie Glatz und Darian Falkenstein stehen hier zwei echte Entdeckungen auf der Bühne, die mit erfahreneren Ensemblemitgliedern mehr als mithalten können. Falkenstein mimt den Seppel verlässlich dümmlich, doch insbesondere Glatz agiert mit einer Dynamik, die der roten Kasperl-Zipfelmütze gerecht wird.
Mit markanten Mützen wartet das von Ben Retetzki inszenierte Stück zuhauf auf, auch das Kostümbild an sich enttäuscht nie. Zwei Charaktere stechen dabei besonders ins Auge: Zum einen die verzauberte Unke (Samira Frank), deren moosgrün-froschige Kluft samt Glupschaugen sofort in die – vermutlich normalgroßen – Publikumsaugen sticht. Zum anderen ist da die Zauberin Petrosilia Zwackelmann (Julia Frank), deren Kostüm irgendwo zwischen Ziggy Stardust und Disco-Dragqueen hindurchzielt und direkt ins Schwarze trifft. Wahlweise auch ins Lila-Orangene.
Optisch etwas karger mutet hingegen in Teilen das Bühnenbild an. Es ist ein altbekanntes Dilemma, mit dem das Naturtheater-Kinderstück jedes Jahr zu kämpfen hat. Die Kulisse orientiert sich primär am Abendstück, das Kinderstück muss sich zwangsweise unterordnen. Zwackelmanns Schloss kann den Raum, den es inmitten der Bühne einnimmt, nicht so recht ausfüllen. Hier wirken sowohl die Requisiten als auch die lebendig gewordenen Gegenstände des Schlosses bisweilen etwas verloren. Deutlich gelungener sind die Teile des Bühnenbilds, die in kleinerem Rahmen stattfinden, darunter Hotzenplotzs Räuberhöhle und Wahrsagerin Schlotterbecks (Anke Rißmann-Eckle) Laden.
„Der Räuber Hotzenplotz“: funktioniert im Großen, im Ganzen und im Kleinen
Im Großen, im Ganzen, vor allem aber im Kleinen macht „Der Räuber Hotzenplotz“ alles richtig. Mehr noch, es lehrt uns eine Sache: Schurken sind scheußlich faszinierend, klar. Markus Hirschberger beweist das auf ganzer Linie. Doch auch Helden müssen keinesfalls immer langweilig sein. Vor allem nicht, wenn sie eine rote Zipfelmütze und einen grünen Hut tragen.
Vorstellungen von „Hotzenplotz“ und „Annie“
Das Kinderstück „Der Räuber Hotzenplotz“ wird in der Regel immer mittwochs und sonntags ab 15 Uhr im Naturtheater aufgeführt. Die beiden finalen Vorstellungen finden am Freitag, 23., sowie Samstag, 24. August, jeweils ab 20 Uhr statt.
Das Abendstück „Annie“ hat am kommenden Freitag, 21. Juni, ab 20.30 Uhr Premiere. Karten für beide Stücke sind unter anderem im Pressehaus in Heidenheim sowie unter laendleevents.de erhältlich.