Neues Kompetenzzentrum

So wird im Klinikum Heidenheim Menschen geholfen, die an Inkontinenz leiden

Inkontinenz ist nicht nur unangenehm für die Betroffenen, sondern ein Tabuthema. Am Klinikum Heidenheim gibt es ein neues Fachzentrum, in dem Patientinnen und Patienten geholfen werden kann.

Darüber spricht man nicht gerne: Wer Probleme damit hat, seine Ausscheidungen zu kontrollieren, behält das oft für sich. Viele Menschen hätten sogar Hemmungen, ihre Inkontinenz dem Hausarzt oder der Hausärztin gegenüber anzusprechen, sagt Dr. Petro Tasellari, Oberarzt der Viszeralchirurgie im Heidenheimer Klinikum. Seine Mission, die er zusammen mit der gynäkologischen Oberärztin Angelika Wohlstein-Pecha, Dr. Stephan von Padberg, Oberarzt der Urologie, sowie weiteren Fachkollegen verfolgt: das Thema Inkontinenz aus der Tabuzone zu holen und den Patientinnen und Patienten adäquate Hilfe zukommen zu lassen. Denn Betroffene gibt es viele: Laut einer repräsentativen Erhebung leiden mehr als zwölf Prozent der deutschen Bevölkerung an Harninkontinenz, wobei die Häufigkeit mit dem Alter zunimmt und bei den über 60-Jährigen bei 23 Prozent liegt.

Viele Ursachen, mehrere Disziplinen

Gleichzeitig gibt es viele verschiedene Ursachen für Inkontinenz, die teilweise auch in den anatomischen Unterschieden zwischen Frauen und Männern begründet liegen. Dem Heidenheimer Klinikum ist es Ende 2024 gelungen, sich als Kontinenz- und Beckenbodenzentrum zertifizieren zu lassen. Daran beteiligt sind die medizinischen Disziplinen Chirurgie, Gynäkologie und Urologie, deren Vertreterinnen und Vertreter bei komplexen Fällen auch gemeinsame Therapieansätze finden können. „Eine gute Diagnostik ist dabei auch sehr wichtig, um dann fachübergreifend die richtige Therapie auszuwählen“, sagt Angelika Wohlstein-Pecha.

Eine gute Diagnostik ist dabei auch sehr wichtig, um dann fachübergreifend die richtige Therapie auszuwählen.

Angelika Wohlstein-Pecha, Oberärztin Klinikum Heidenheim

Laut der Oberärztin wurde das Kontinenzzentrum über Jahre hinweg vorbereitet. Seit 2013 wurde eine entsprechende gynäkologische Sprechstunde etabliert, mittlerweile gibt es zwei Hauptsprechstunden in der Gynäkologie. Wichtig sei auch gewesen, Pflege und Physiotherapie einzubinden, da es nicht nur operative Behandlungsmethoden gebe, sondern auch konservative, so Dr. Stephan von Padberg. So müssten Männer beispielsweise nach Prostata-OPs oft erst lernen, ihren Beckenboden aktiv anzusteuern. Dabei kann der Physiotherapeut helfen. Spezielle Fortbildungen sowohl für Ärztinnen und Ärzte als auch für das Pflegepersonal und die Mitarbeitenden der Physiotherapie waren für die Zertifizierung des Kontinenzzentrums auch Voraussetzung.

Frauen sind doppelt so häufig betroffen

Inkontinenz kann viele verschiedene Ursachen haben: Frauen, die doppelt so häufig betroffen sind wie Männer, leiden oft an einer Beckenbodenschwäche. Die Beckenbodensenkung wird von Schwangerschaften und vaginalen Geburten begünstigt und kann zu Harn- und Stuhlinkontinenz führen. „Wir versuchen natürlich, über dieses Thema bereits in der Geburtshilfe aufzuklären“, sagt Dr. Carina Paschold, Chefärztin der Gynäkologie am Klinikum Heidenheim. Mittels Beckenboden- und Inkontinenztraining kann den Problemen entgegengewirkt werden. Wenn konservative Therapien nicht helfen, gibt es verschiedene Operationsmethoden, die für Beschwerdefreiheit sorgen können.

Wir versuchen natürlich, über dieses Thema bereits in der Geburtshilfe aufzuklären.

Dr. Carina Paschold, Chefärztin Gynäkologie am Klinikum Heidenheim

Bei Männern trete Inkontinenz häufig nach Prostata-Operationen auf, berichtet Dr. Stephan von Padberg. Dasselbe gelte auch für Analinkontinenz, die bisweilen als Folge von Operationen auftrete, fügt Prof. Franck Billmann, Chefarzt der Viszeralchirurgie, hinzu. Seit 2024 gibt es im Klinikum die sacrale Neuromodulation als Behandlungsmethode für Stuhlinkontinenz. Dabei wird ein Stimulationssystem im Steißbeinbereich implantiert, das der Patient selbst mit einem Stimulator steuern kann. „Mit dieser Methode stimulieren wir die Nerven, damit der Schließmuskel wieder funktioniert“, erläutert Dr. Tasellari. In 80 Prozent der Fälle sei die Methode erfolgreich, die Hälfte der Patienten könne ihre Darmausscheidung sogar zu 100 Prozent wieder kontrollieren.

Auch ein soziales Problem

Wichtig ist allen beteiligten Ärztinnen und Ärzten zu betonen, dass Inkontinenz nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein soziales Problem sei: „Inkontinenz tritt immer öfter auf, weil die Menschen heutzutage immer älter werden. Aber trotzdem wollen sie am sozialen Leben teilnehmen“, sagt Dr. Carina Paschold. Es sei auch wichtig, sich rechtzeitig um die Probleme zu kümmern, bevor die Patientinnen und Patienten so alt werden, dass eine Operation zu riskant werde. „Wir sind bei diesem Thema noch nicht aus der Tabuzone heraus, deshalb ist es unsere Aufgabe als Arzt, unser Wissen weiterzugeben“, ergänzt Prof. Billmann.

So kommt man zum Kontinenz- und Beckenbodenzentrum

Im Klinikum kann man sich nicht selbst beim Kontinenz- und Beckenbodenzentrum vorstellen, sondern braucht eine Überweisung vom niedergelassenen Facharzt aus den Bereichen Gynäkologie, Urologie oder Chirurgie. Die Beckenboden-Sprechstunden der Gynäkologie finden dienstags und donnerstags von 9 bis 15.30 Uhr statt, Tel. 07321.33-95500. Die private Sprechstunde Urologie ist an jedem zweiten Mittwoch von 8 bis 12 Uhr, Tel. 07321.33-2342. Die Sprechstunde Allgemeinchirurgie findet donnerstags von 9 bis 10.30 Uhr statt, Tel. 07321.33-95702.

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